Bundestagswahl: „Wir brauchen Rahmenbedingungen, die auf die Finanzindustrie abgestimmt sind.“

Die Bundestagswahl steht unmittelbar bevor, der Wahlkampf der Parteien befindet sich im Endspurt. Viele Wähler sind sich noch unsicher, wo sie am Sonntag ihr Kreuzchen setzen sollen. Wir haben unterdessen Akteure der Branche gefragt: „Was wünscht ihr euch in der kommenden Legislaturperiode von der neuen Bundesregierung?“ Die Antworten veröffentlichen wir täglich an dieser Stelle.

Gastbeitrag von Chris Bartz, CEO & Co-Founder Elinvar sowie Vorsitzender des FinTechRates beim Bundesministerium der Finanzen

Die Erkenntnis, dass Finanztechnologie und Digitalisierung entscheidende Rollen bei der Transformation Deutschlands spielen, ist in der deutschen Politik angekommen. Aber der Handlungsbedarf nach der Bundestagswahl bleibt groß. 

Die Anzahl der Fintechs in Deutschland hat sich seit 2016 mehr als verdoppelt. Berlin ist einer der Fintech-Hotspots in Europa und gerade das Jahr 2021 ist ein absolutes Rekordjahr was das Finanzierungsvolumen angeht. 2,1 Milliarden Euro haben deutsche Fintechs allein in der ersten Jahreshälfte eingeworben, zwei Drittel davon am Standort Berlin. Dafür, dass sich hierzulande ein derart starkes Ökosystem für Finanztechnologie entwickeln konnte, spielt auch die Politik der Bundesregierung eine wichtige Rolle.

Initiativen wie der FinTechRat beim Bundesministerium der Finanzen oder der Digitalrat der Bundesregierung zeigen, dass die Relevanz von Digitalisierung und Technologie für die (Finanz-)Wirtschaft in der Politik angekommen ist. Die Bereitschaft zum Dialog und zu Veränderung ist grundsätzlich vorhanden ist. Das als positive Nachricht vorweg.

Digitalisierung bleibt ein Umsetzungsproblem

Die digitale Transformation ist eine anhaltende Aufgabe. Mit Erkenntnis allein lässt sich wenig bewegen. Der Stand der Digitalisierung in Deutschland zeigt: Bereits 2014 formulierte die Digitale Agenda der Bundesregierung das Ziel, Deutschland zum digitalen Wachstumsland Nummer Eins zu transformieren. Obwohl seit Jahren bekannt ist, was politisch zu tun ist, sind wir von diesem Ziel weit entfernt. Statt auf dem Weg zur Nummer Eins befinden wir uns derzeit in Gefahr, digital abgehängt zu werden. Wir brauchen nach der Bundestagswahl umfassende Digitalisierung, um global wettbewerbsfähig zu bleiben. Dafür wünsche ich mir von der neuen Bundesregierung, dass sie im ersten Schritt ihre digitalen Hausaufgaben macht. 

Für die Transformation der Finanzindustrie und die Stärkung als führender Standort für Finanztechnologie bedeutet das nach der Bundestagswahl konkret, dass wir regulatorische Rahmenbedingungen brauchen, die auf die Anforderungen eines modernen Finanz-Ökosystems abgestimmt sind. Infrastruktur, insbesondere geteilte Infrastruktur, wird zunehmend zum entscheidenden Faktor der Digitalisierung. Dies gilt auch in der Finanzindustrie. Klare Standards entlang der Wertschöpfungskette sind die Grundlage dafür, dass Partner sicher, unkompliziert und nachhaltig zusammenarbeiten können.

„Wir müssen es schaffen, aus Deutschland heraus eigenständige starke Geschäftsmodelle und Unternehmen zu positionieren“

Das digitale Ökosystem braucht verbindliche Standards nach der Bundestagswahl

Die Aufgabe der Politik ist es, hier durch verbindliche Standards Verlässlichkeit und Eindeutigkeit zu schaffen. Das ist notwendig, um Finanzunternehmen einen regulatorisch sicheren Umstieg auf eine moderne IT-Infrastruktur zu ermöglichen und den Wandel hin zu einer Leistungserstellung in Ökosystemen zu begleiten. Als selbst reguliertes Unternehmen und Anbieter einer WealthTech Platform as a Service für eine Vielzahl regulierter Partner wissen wir: Nur die Kombination von moderner Technologie und regulatorischer Verbindlichkeit ermöglicht skalierbare, leistungsfähige und nachhaltige Geschäftsmodelle in der Finanzbranche. Das schafft echten Mehrwert für alle Stakeholder, von den jeweiligen Kund*innen bis zum Finanzstandort Deutschland insgesamt.

Die neue Bundesregierung muss diese Aufgabe ernst nehmen, damit wir es schaffen, aus Deutschland heraus eigenständige starke Geschäftsmodelle und Unternehmen zu positionieren, anstatt nur attraktive Übernahmekandidaten für internationale Käufer zu entwickeln. Es muss das explizite Ziel sein, aus Deutschland heraus international erfolgreich sein zu können. Ein bloßes Mithalten im globalen Wettbewerb reicht nicht, um den Standard als einen echten Vorreiter in Sachen Finanztechnologie zu qualifizieren.

Nachhaltigkeit: Jetzt die Voraussetzungen für globale Leadership aufbauen

Wollen wir eine globale Vorreiterrolle erreichen – und die Voraussetzungen dafür sind vorhanden – brauchen wir eine Bundesregierung, die vorausdenkt und wichtige Themen aktiv besetzt.

Auch wenn wir es bei manchen Aspekten der Digitalisierung versäumt haben vor die Wettbewerbskurve zu gelangen: Für das Thema Nachhaltigkeit eröffnet sich genau jetzt diese Chance. Eine Chance, die wir dringend ergreifen sollten, wenn wir es ernst meinen mit dem Anspruch selbst im globalen Wettbewerb Standards zu setzen statt sie nur von anderen zu übernehmen.

Die Transformation zu einer nachhaltigen Gesamtwirtschaft ist elementar mit der Frage der Finanzierung gekoppelt: Das gilt sowohl für Eigen- als auch für Fremdkapital. Banken und Finanzdienstleister werden damit eine, wenn nicht gar die entscheidende, tragende Rolle in der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien spielen: Die Anerkennung als Finanzierungskriterien und die damit verbundenen Auswirkungen auf Kosten und Verfügbarkeit von Finanzierungsmöglichkeiten wird entscheidend beeinflussen, welche Kriterien zur Beurteilung der Nachhaltigkeit sich durchsetzen.

Starke Standards für herausragende Leistungen

Das ist die einmalige Chance für unsere neue Bundesregierung, den Finanzplatz Deutschland als Vordenker und Treiber des Themas Nachhaltigkeit zu positionieren. Damit schaffen wir einen echten USP. Auch hier gilt: Wir brauchen starke Standards und eine Regulierung die nicht auf die Bewahrung des Status Quo sondern die Gestaltung der Zukunft ausgerichtet ist, um vielversprechende Geschäftsmodelle erfolgreich zu skalieren.

Genau das wünsche ich mir von der neuen Bundesregierung: Eine zukunftsgerichtete, innovative Politik, die Nachhaltigkeit genauso wie Digitalisierung nicht nur als Chancen begreift, sondern die Finanzindustrie und die Wirtschaft insgesamt bei der Verwirklichung dieser Chancen durch aktives Handeln positiv begleitet.

In dieser Serie bereits erschienen:

Morgen an dieser Stelle:

Christopher Plantener und Melchior Neumann von Kontist

Headerbild, iStock: Bildnachweis: Christian Ader

Autor

  • Die studierte Soziologin und Medienwissenschaftlerin beobachtet, analysiert und schreibt als Journalistin seit vielen Jahren über die Startup- und Fintechszene. In der Vergangenheit arbeitete sie für führende on- und offline Gründer- und Wirtschaftsmedien im In- und Ausland, moderiert und schrieb mit Kollegen ein Buch über Unternehmen im Ruhrgebiet. Seit 2019 arbeitet sie für Payment & Banking, seit 2020 ist sie festes Redaktionsmitglied und ist in dieser Position verantwortlich für alle Themen Content, Planung und Entwicklung neuer Medienformate. In ihrer Zeit bei Payment & Banking ist sie zudem eine eifrige Podcasterin geworden.

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