New Work und Fintech: Wie neue Organisations-Strukturen Innovationen fördern

New Work und Fintech: Wie neue Organisationsstrukturen Innovationen fördern

Hierarchien abschaffen, situative Führung ermöglichen, in cross-funktionalen Teams arbeiten: In traditionellen Unternehmen der Finanzbranche ist das undenkbar, zumindest mit Blick auf die gesamte Organisation. Fintechs aber können von neuen Organisationsstrukturen im Sinne von New Work profitieren – nicht nur als Arbeitgeber, sondern auch als Innovationstreiber.

Die Menge aller Probleme lässt sich in zwei Arten teilen: in Kasten-Probleme und Wolken-Probleme. Früher gab es vor allem Kasten-Probleme. Sie waren klar eingrenzbar, die daraus resultierende Aufgabenstellung konnte zügig und top-down in einen Arbeitsauftrag übersetzt und mit bewährten Methoden gelöst werden. Heute, unter dem Einfluss einer immer höheren Zahl an Variablen, sind Probleme wie Wolken: schwer abgrenzbar, nicht intuitiv auflösbar und daher nur interdisziplinär zu bearbeiten. Kasten-Probleme waren und sind kompliziert. Wolken-Probleme sind komplex.

Was bedeutet das für die Innovationskraft der Finanzbranche? Was heute als “state of the art” gilt, kann morgen schon “out-dated” sein. Jedem Prozess auf dem Weg zu einem neuen Produkt(-update) muss dieser Gedanke innewohnen; weil es von vornherein kein absolutes Richtig oder Falsch geben kann, muss sich durch Versuch und Irrtum kontinuierlich nach vorne geirrt werden. Always beta.

New Work und Fintech: Wie neue Organisationsstrukturen Innovationen fördern

Dieses Prinzip ist aber nur dann anwendbar, wenn in cross-funktionalen Teams gearbeitet wird, die zudem hierarchieübergreifend sind. Denn um Probleme für die Nutzer*innen zu lösen, müssen heute schließlich die unterschiedlichsten Fachkenntnisse synergetisch zusammengebracht werden. Die große Frage: Kann eine entsprechend neue Organisationsstruktur Fintechs besser machen?

Ja. smartsteuer hat vor einigen Monaten die schon lange gelebte New-Work-Kultur explizit gemacht und Hierarchien – inklusive Personalverantwortung – abgeschafft. Das wurde intern nicht von allen Seiten sofort bejubelt, aber dank zahlreicher Workshops, Retrospektiven und Einzelgespräche konnten Vorbehalte Stück für Stück abgebaut und Neugier geweckt werden. So gibt es nun selbstorganisierte “Verantwortungsdreiecke”, einen Strategiekreis mit wechselnden Teilnehmern sowie einen “Thesenbasar”, in dem über neue Ideen mit den Füßen abgestimmt wird. Seitdem konnten neue Features wie etwa die Soforterstattung der Steuer direkt nach Abgabe der Steuererklärung viel schneller bzw. überhaupt erst auf die Straße gebracht werden.

Wie können Fintech-Unternehmen herausfinden, ob eine neue Organisationsstruktur zu ihnen passt – und wie kann sie eingeführt werden? Folgende Punkte helfen bei der Beantwortung der Frage:

Prinzipien von Slack & Co. verinnerlichen

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Besonderen Einfluss auf die Innovationskraft hat die durch Slack & Co. veränderte Kommunikation. Solche Tools sind als Räume konzipiert, zu denen jede*r Zutritt hat. Wer sich darauf einlässt, wird merken: In den einzelnen Channels etwa bildet sich eine Kommunikations-struktur heraus, die auf Expertise beruht und nach Projekten gegliedert ist, nicht nach einem Organigramm.

Bei smartsteuer werden Channels in Slack grundsätzlich offen angelegt. So können beispielsweise auch Kolleg*innen aus der IT ihre Ideen und Impulse in den Marketing-Channel einbringen und vice versa. So profitiert das Unternehmen enorm von einem Mehr an Perspektiven, aber auch von der Transparenz, die wir über das Tool herstellen.

Damit nicht genug: Die Effekte transparenter Kommunikation können auch Anlass bieten, die abgeleitete Struktur im Büro zu testen, etwa indem sich in Sachen Sitzordnung und Raumnutzung an den Kommunikationsweisen orientiert wird, die sich durch die Verwendung von Slack heraus-kristallisiert haben. Das muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein, aber: Am Ende kann sich das Muster dann auch in den sogenannten “Verantwortungsdreiecken” widerspiegeln, die an die Stelle von starren Abteilungen treten.

Scrum? Gut. Es könnte aber besser gehen

Scrum eignet sich wunderbar, um die Entwicklung von Produkten durch striktes Management in geregelte Bahnen zu leiten. Wesentliche können von unwesentlichen Features getrennt und die Aufgaben entsprechend in sogenannten Backlogs priorisiert werden, sodass Ressourcen effektiv und effizient eingesetzt werden. Soweit die Theorie. Auch bei smartsteuer sollte Scrum genau dafür sorgen: die Planung und Entwicklung von Software-Features besser zu gestalten. Wie in vielen anderen Unternehmen auch haben die Scrum-Prinzipien Stück für Stück auch in anderen als bloß dem IT-Team Anwendung gefunden.

In der Praxis aber hat sich in den Jahren seit der Einführung von Scrum immer öfter das Gefühl im Team breit gemacht, dass die Arbeit damit zu starr ist. Am besten lässt sich das wohl vergleichen mit Stützrädern, die helfen sollen, das Fahrradfahren zu lernen: Am Anfang sind sie unabdingbar, um Sicherheit auf dem Sattel zu gewinnen und nicht hunderte Male zu stürzen.

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Irgendwann aber stören sie dabei, das Gelernte auszureizen, scharfe Kurven zu fahren oder zu beschleunigen. Es lohnt sich also zu hinterfragen, ob es nicht auch noch ein Arbeiten “beyond Scrum” gibt.

Neue Arbeitsweise erst in einzelnen Projekten ausprobieren

Statt nach Scrum oder anderen (agilen) Methoden darüber zu entscheiden, welche Features als nächstes erarbeitet werden sollen, stimmt das Team bei smartsteuer nun in “Thesenbasaren” mit den Füßen ab. Statt die Ideen mit meisten Stimmen umzusetzen, gilt es für die Ideengeber*innen, genügend Mitstreiter*innen für eine “Mission” zu überzeugen.

Um das zu testen, braucht es noch keine manifestierte Neu-Struktur. Es empfiehlt sich, ein Projekt, das sonst – aufgrund von anderen Prioritäten oder zu großen möglichen Hürden – unter den Tisch fallen würde, als Experiment anzugehen und ein cross-funktionales Missionsteam daran über einen gewissen Zeitraum arbeiten zu lassen. So zeigen sich Herausforderungen, hoffentlich aber vor allem Chancen der neuen Arbeitsweise – ohne dass vorher das gesamte System auf den Kopf gestellt wurde.

Externe Beratung einholen

Wenn die Vorzeichen gut stehen und die gemachten Erfahrungen positiv sind, dann steht einer Re-Organisation nichts mehr im Weg – außer die eigene Eitelkeit. Daher ist es fast unabdingbar, dass sich für den Vollzug externe Hilfe ins Haus geholt wird. Der Vorteil: In der täglichen Arbeit verfestigen sich bestimmte Prozesse quasi wie von selbst, ohne das man sich dessen bewusst ist.

„In der täglichen Arbeit verfestigen sich bestimmte Prozesse quasi wie von selbst, ohne das man sich dessen bewusst ist.“

Berater*innen mit einem Fokus auf systemische Organisationsentwicklung können die Gegebenheiten besser, weil unvoreingenommen, analysieren und – so trivial das klingt – die neue Organisationsstruktur überhaupt erst visualisieren.

Moderne Technologien erlauben es Fintechs nicht nur, Produkte und Services viel schlanker und kosteneffektiver zu entwickeln, als es etwa traditionelle Finanzinstitute tun. Weil sich unter anderem durch digitale Kanäle und ein anderes Verständnis von Kooperation die Kommunikation in den Teams verändert, können sie sich auch neu organisieren. Diese Veränderung muss intern gut moderiert werden, da die Akzeptanz neuer Prozesse und Strukturen nicht einfach vorausgesetzt werden kann. Letztendlich eröffnet eine radikal andere Arbeitsweise aber den Blick für weitere, vielleicht noch tiefgreifendere Innovationen im Sinne der Nutzer*innen.

Über den Autor

Björn Waide

Björn Waide ist CEO von smartsteuer (https://www.smartsteuer.de/online/). Gemeinsam mit seinem Team digitalisiert er den analogsten Prozess Deutschlands – die Steuererklärung – und versucht so, Menschen die Angst vor dem Thema Steuern zu nehmen. Waide prägt mit Beiträgen zu Themen wie Selbstwirksamkeit, agilem Arbeiten sowie moderner Führung die Diskussion zu Management und Bildung im digitalen Zeitalter.

Autor

  • Nicole Nitsche ist studierte Theaterwissenschaftlerin und hat mehrere Jahre als Regieassistentin beim Thalia Theater Hamburg gearbeitet. Danach war Nicole Leiterin der Presse-und Marketingabteilung eines Hamburger Musiklabels. Als klassische Quereinsteigerin hat sie die komplette Kommunikation sowie den Aufbau der Redaktion bei Payment & Banking geleitet und verantwortet. Nicole ist seit August 2021 Geschäftsführerin von Payment & Banking und ist verantwortlich für die Bereiche Struktur, Planung, Umsetzung und Konzipierung von allen Events (z.B PEX, BEX, TRX & CryptX).

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