Neues Inkasso-Gesetz in Kraft, doch reichen die Vorgaben wirklich aus?

Die Inkassobranche steht immer wieder in der Kritik. Ob berechtigt oder nicht: Ein neues Inkasso-Gesetz soll Schuldner nun besser schützen. Verbraucherzentralen gehen die Regelungen aber noch nicht weit genug. Und auch Finanzdienstleister können ihren Teil beitragen, damit Inkasso fairer abläuft.

Vor einem Monat nörgelte unser Kolumnist Nils Wischmeyer über die Inkasso-Branche, sie mache Konsumenten das Leben schwer. Und Überschuldung ist ein Dauer-Thema, das viele Deutsche seit Jahren betrifft. 6,16 Millionen Menschen in Deutschland sind aktuell nicht in der Lage, ihre Rechnungen zu begleichen; das zeigt der Schuldneratlas 2021, den die Wirtschaftsauskunftei Creditreform vor zwei Wochen veröffentlicht hat.

Viel zu tun also für Geldeintreiber, die jedoch unter einem mitunter schlechten Ruf leiden. Zu Recht? Inkasso sei nicht dazu da, Verbraucher zu knechten, sagt Marco Weber, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Inkassounternehmen (BDIU). „Es geht um Fairness und Gerechtigkeit in beide Richtungen: Ein Gläubiger sollte den Vertrag erfüllen, den er eingegangen ist, ein Schuldner aber auch. Inkasso ist quasi ein Mittler zwischen Gläubiger und Schuldner, wie man die individuelle Zahlungssituation lösen kann.“

Gründe für Überschuldung sind vielfältig

Individuell ist ein wichtiges Stichwort, denn es gibt viele Gründe, warum ein Kunde eine Rechnung nicht bezahlen kann. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, das jährlich erhebt, was Überschuldungen auslöst. Die Hauptgründe 2020: Arbeitslosigkeit (19,7 Prozent), Erkrankung/Sucht/Unfall (16,5 Prozent) und eine unwirtschaftliche Haushaltsführung (14,5 Prozent). Am häufigsten schulden Menschen Kreditinstituten und anderen Menschen Geld, aber auch gegenüber Inkassobüros liegen die Schulden im Schnitt bei 1.703 Euro.

Inkasso, also das Einziehen von fälligen und vor allem fremden Forderungen, ist juristisch eine Rechtsdienstleistung, die im gleichnamigen Gesetz geregelt ist. Anbieter müssen im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen sein, das sind in Deutschland 2.105 Firmen. Sie müssen zudem ihre Sachkunde nachweisen, etwa im Handels-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht. 500 von ihnen sind im BDIU Mitglied, sie bearbeiten jährlich rund 20 Millionen Forderungen – die säumigen Zahler sind in der Mehrheit Verbraucher, nur rund ein Sechstel sind gewerbliche Schuldner. Verbandssprecher Weber stellt klar, dass Inkassounternehmen zwar die Gläubiger vertreten, aber ihr Verhalten falle auch auf die Gläubiger zurück. „Jene haben daher kein Interesse daran, mit unseriösen Unternehmen zusammen zu arbeiten.“

Verbraucherzentrale: Nicht alle Inkasso-Unternehmen arbeiten seriös

Kritik an der Branche gibt es aber immer wieder. 2016 haben die Verbraucherzentralen in Deutschland mehr als 1.100 Verbraucherbeschwerden zu Inkassobriefen untersucht. Bei zwei Dritteln der Briefe standen die Entgelte in keinem Verhältnis zur Leistung. Hinzu kommt, dass die Mahnschreiben sprachlich eher drohend klingen, so dass immer wieder Verbraucher aus Angst zahlen, was sie gar nicht müssten.

Tatjana Halm ist Rechtsanwältin und arbeitet bei der Verbraucherzentrale Bayern schon lange zum Inkasso. Sie unterscheidet die Geldeintreiber in schwarze, graue und weiße Schafe. Schwarz seien all jene, die nicht registriert sind, mit erfundenen Forderungen auftreten, komplett aus der Illegalität agieren. Das ist juristisch kein Inkasso, sondern Betrug. Graue Schafe seien die Firmen, die das Erlaubte auf unethische Weise ausreizen, so weit es geht. Und die weißen Schafe seien eben seriös. Auch wenn Grausein legal ist: “Die Wahrscheinlichkeit, dass man als Schuldner an ein graues Schaf gerät, ist hoch”, sagt Halm.

Hauptproblem ist die fehlende Transparenz

Die Juristin sieht vor allem im Masseninkasso ein Problem, weil die Finanzierungsmodelle der Geldeintreiber so intransparent seien. Unter Masseninkasso fällt, was etwa Energieversorger, Mobilfunkanbieter, Supermärkte und Online-Händler anstoßen. Vor der Gesetzesänderung durften die Inkassofirmen selbst für kleine Forderungen bis 50 Euro Gebühren von 76,44 Euro erheben. Dabei haben viele ihre Prozesse so automatisiert, dass ein solch hoher Aufwand schwer zu glauben ist. “Gerade die grauen Schafe machen immer noch Geschäfte auf Kosten der Schuldner”, sagt Halm. “Und natürlich müssen Schuldner Forderung und Gebühren bezahlen, aber die Frage ist: wie viel und wofür?” Die Gebühren sollen die Kosten der Inkassofirmen und Gläubiger decken, sind aber oft pauschal berechnet. “Man weiß als Schuldner nicht, ob das auch wirklich die Kosten sind, die ihnen für den Aufwand entstehen.”

Auch der BDIU-Sprecher könne nicht genau sagen, wie sich Inkassounternehmen finanzieren, das sei sehr individuell, so Weber. “Wer das Inkassounternehmen beauftragt, bezahlt es.” In den seltensten Fällen reagierten Kunden auf das erste Mahnschreiben eines Inkassounternehmens. In den Gebühren sei also enthalten, dass mit dem Schuldner eine Lösung gefunden werden muss, wie der Gläubiger an sein Geld kommt. “Ziel der Inkassodienstleistung ist immer die gütliche Einigung, und der Weg dahin ist individuell sehr unterschiedlich, oft sehr komplex und anspruchsvoll.”

Code of Conduct als Selbstverpflichtung der Inkasso-Unternehme

Mit dem neuen Inkasso-Gesetz, das seit dem 1. Oktober gilt, sollen Verbraucher entlastet werden. Die Regelungen deckeln etwa die Gebühren: Bei den Kleinstforderungen dürfen es maximal 32,40 Euro sein. Auch bei höheren Forderungen dürfen die Geldeintreiber nicht mehr zulangen wie zuvor. Aus Sicht der Verbraucherschützer sind damit aber nur Schuldner besser geschützt, die sofort zahlen können. Für alle anderen kann es weiterhin teuer werden.

So geraten Schuldner etwa durch überzogene Zinsen noch mehr in Not, obwohl sie an sich zahlungswillig sind. Die frühere Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) ist seit April 2019 Ombudsfrau für den BDIU. Sie schildert in einem Interview, wie eine wenig begüterte Frau jahrelang monatlich zehn Euro an die Inkassofirma überwies, aber durch die Zinsen von 13 Prozent kaum die eigentliche Forderung von 2.300 Euro tilgen konnte. Tatjana Halm kritisiert solche Fälle: “Daran verdient kein Gläubiger, das Geld fließt auch nicht in den Wirtschaftskreislauf, sondern daran verdient das Inkassounternehmen.”

Letztere wollen nun selbst mehr für ethisches Verhalten tun, zumindest innerhalb des BDIU. Die Mitglieder haben sich in einem Code of Conduct zu einem fairen und verantwortungsvollen Inkasso verpflichtet. Das klingt gut. Allerdings wurde das Regelwerk bereits im Herbst 2020 verabschiedet. Es entfaltet aber erst seit dem 1. Oktober dieses Jahres seine Wirkung – dem Zeitpunkt also, seitdem auch der Gesetzgeber strenger hinschaut. Zudem ist es wie alle Codes of Conduct eine reine Selbstverpflichtung: Wer dagegen verstößt, wird innerhalb des Verbandes sanktioniert. Davon hat der Verbraucher im konkreten Problemfall nichts.

Immerhin: Auch Zahlungsdienstleister können einiges tun, um Verbraucher vor der Inkasso-Gebührenfalle zu retten. Denn beim Rechnungs- oder Ratenkauf, heute als “Buy now, pay later” ein Hype-Thema, wird nicht immer deutlich genug klar, wer eigentlich der Gläubiger ist. Viele Online-Händler bieten etwa den Rechnungskauf mit Klarna an. Tatjana Halm erklärt: “Dass es zu einer Forderungsabtretung an Klarna kommt, ist den meisten Kundinnen und Kunden nicht klar. Zahlungsdienstleister sollten transparenter sein und sagen: ‘Sie zahlen an Klarna, nicht auf Rechnung’.” Gerade dann, wenn es Lieferprobleme gibt oder Retouren verspätet verbucht werden, haben Kunden schnell eine erste Mahnung am Hals, obwohl das Problem beim Versender liegt.

Autor

  • Katharina Kutsche schreibt für die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, die Hannoversche Allgemeine Zeitung und andere Auftraggeber – am liebsten über Kriminalität, Arbeitsthemen, Lokales und die Gründerszene. Sie ist gelernte Kriminalbeamtin, absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München und hat einen Master in Journalismus.

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