Moin Moin Hamburg: Ein Update aus der Fintech-Szene der Hansestadt.

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Neben Berlin, Frankfurt und München gehört auch Hamburg unzweifelhaft zu einem der wichtigsten Standorte der deutschen Fintech-Landschaft. Doch wie ist der Fintech-Szene in Zeiten der Pandemie eigentlich ergangen was hat sich im hohen Norden in den letzten zwei Jahren getan? Ein Überblick.

Gastbeitrag von Clas Beese, Gründer und Geschäftsführer von finletter und Fintech Week, die am 22.11. bis zum 26.11. in Hamburg stattfindet. Payment and Banking ist Medienpartner.

Stürmische Zeiten für die „Big Four“ der Hamburger Fintech-Szene

Zumindest für die vier größten und bekanntesten Hamburger Fintechs waren es äußerst bewegte zwei „Corona“-Jahre. Fangen wir mit Deposit Solutions an. Schon seit Jahren zählte der Hamburger Einlagen-Broker zu den deutschen Top-Fintechs – immer in enger Konkurrenz zu Rasin aus Berlin. Im Juni 2021 kam es nun zu einer Fusion der beiden Wettbewerber, wobei das neue Unternehmen Raisin DS heißt und unter Führung von Raisin CEO Tamaz Georgadze steht. Durch den Zusammenschluss sollten die Kräfte der Zinsplattformen WeltSparen (Raisin) sowie Zinspilot und Savedo (Deposit Solutions) gebündelt werden – auch, um den Durchbruch am US-Markt zu schaffen.

Von der Konsolidierung am deutschen Fintech-Markt war auch ein weiteres Hamburger Schwergewicht betroffen: Im Februar 2021 übernahm Smava die konkurrierende Kreditvergleichsplattform Finanzcheck. Durch die 100-prozentige Übernahme gingen laut damaligen Informationen von Finanz-Szene.de etwa 50 Arbeitsplätze verloren. Zudem verließen die Finanzcheck-Gründer Moritz Thiele und Andreas Kupke ihr Fintech.

Insolvent und wegfusioniert

Ungleich bitterer lief es für einen der deutschen Fintech-Pioniere, Kreditech, der nach einer Umbennnung als Monedo unterwegs war. Im September 2020 rutschte das bereits 2012 gegründete Hamburger Finanz-Startup, das im Kern einen Scoring-Algorithmus mit nach eigener Aussage 20.000 Datenpunkten im Programm hatte, in die Insolvenz. Die Corona-Pandemie wurde damals zwar als Mitgrund für die Pleite genannt, allerdings hatte Kreditech schon in den Jahren zuvor die selbstgeschürten gewaltigen Erwartungen weitgehend nicht erfüllt.

Unter der Kategorie „wegfusioniert“ muss mittlerweile auch das vierte der „Big Four“-Fintechs aus Hamburg geführt werden. Bereits 2019 fusionierte Figo, das unter anderem für Kontowechsel-Anwendungen bekannt wurde, mit dem Konkurrenten Finreach. In der Folge ging es dann nach Berlin, wo unter dem neuen Namen Finleap Connect ein Geschäftskunden-Fintech mit höchsten Ambitionen gedeiht. Zuletzt wurde eine Finanzierungsrunde über 22 Millionen Euro und eine Gesamtbewertung von über 100 Millionen Euro erzielt.

Nächste Generation steht schon auf der Startrampe

Unter dem Strich ist also nicht viel geblieben von Hamburgs „Big Four“-Fintechs der vergangenen Jahre. Umso schöner, dass die nächste Generation bereits in den Startrampen steht bzw. diese schon verlassen hat. So konnte die Immobilien-Investmentplattform Exporo zuletzt ein sehr erfolgreiches drittes Quartal 2021 verkünden: Mit 100 Millionen Euro Ausschüttungen an seine Anleger:innen wurden die Gesamtjahreszahlen aus 2020 bereits nach neun Monaten übertroffen. Als neuer Hamburger Stern am Fintech-Himmel gilt aktuell auch die ökologisch motivierte Neobank Tomorrow, die zumindest auf dem Weg ist, ein nachhaltiges Produktangebot aus Girokonto und Anlagemöglichkeiten zu schaffen, um damit Konkurrenten wie N26 und etablierten Banken Kund:innen abzuluchsen.

wavy ocean during golden hour

Beim eigenen Umfeld steht Tomorrow jedenfalls hoch im Kurs: Zuletzt wurden in einer Fundingrunde in Rekordzeit acht Millionen Euro schwarmfinanziert, mit denen der Aufstieg weitergehen soll. Als weiterer Hamburger Fintech-Aufsteiger sei auch Receeve, mit ihrer tech-getriebenen Plattform für das Forderungsmanagment, genannt. Zuletzt sammelte das Team um die Gründer Paul Jozefak und Michael Backes 13,5 Millionen US-Dollar ein, um das Wachstum zu beschleunigen und weiter zu expandieren.

Übernahmen am Hamburger Fintech-Markt

+++ „Paukenschlag“ und „Fintech-Hammer“ – so und ähnlich wurde 2019 die Fusion von Figo, Finreach und Infinitec unter dem neuen Dach Finleap Connect betitelt +++ Ein weiterer Fintech-Großdeal mit Hamburger Beteiligung war die Konkurrentenverschmelzung von Raisin (Weltsparen) und Deposit Solutions (Zinspilot, Savedo) zu Raisin DS mit Hauptsitz in Berlin. +++ Commerzbank übernimmt Online-Tochter Comdirect hieß es Anfang 2020. Die Integration der Online-Bank-Tochter war nur konsequent und wurde doch von vielen Seiten bedauert. +++ Aus dem Paymentanbieter Heidelpay wurde unlängst Unzer, um die fleißig getätigten Zukäufe (z.B. das Hamburger Fintech Risk 24) unter ein Markendach zu stellen. +++ Exporo zählt mittlerweile zu den Hamburger Fintech-Schwergewichten. Auf dem Weg dahin wurde auch das konkurrierende Crowdinvesting-Immobilienportal Zinsland übernommen. +++ Der Hamburger Anbieter von digitalen Immobilien-Investments Bloxxter wurde im September 2021 von Quirion übernommen. Das Angebot wird unter dem Namen “Sachwerte für alle” weitergeführt. +++ Die Schwarmfinanzierer iFunded und Klickown sind Anfang 2021 in der neuen Mantelgesellschaft aufgegangen. +++ CapInside – wird im Sommer 2020 von Universal Investment übernommen, die Plattform soll aber unabhängig am Markt bleiben.

Neustart-Ticker

+++ Wallis (https://www.wallis.de/de) ist das neue zentrale API-Portal der Sparkassen-Finanzgruppe und wurde als Tochter der Hamburger Star Finanz gegründet. +++ Payla (https://payla.de/) bietet eine White-Label-Lösung im Bereich “Buy Now, Pay Later” für europäische Zahlungsanbieter und Finanzinstitute. +++ Moinflat (https://moinflat.de/) ermöglicht mit einem Flexi-Kauf-Modell eine neue Art des Immobilienerwerbs. +++ Momentum (https://www.momentum.investments/) ermöglicht digitale Investments in limitierte und klassische Automobile. +++ CGift (https://cgift.io/) bietet den Einstieg in die Kryptowelt über Geschenkkarten.

Und auch diese Hamburger Fintechs sind – neben weiteren – seit Neuestem am Start:
Labest (https://labest.online/), Neofin (https://www.neofin-hamburg.de/), Trustlog (https://www.trustlog.de/), Wetterheld (​​https://wetterheld.com/home/),  24finance (https://24finance.de/), Parqet ( https://www.parqet.com/), Smartificate (https://smartificate.de/), Sidecaps (http://sidecaps.com/), Fundir (https://fundlr.de/), Tixl (https://tixl.org), Debiturio (https://www.debiturio.com), Cashforclaim (https://www.cashforclaim.de), Capital Pioneers ( https://www.capitalpioneers.de),  Easyfolio (https://easyfolio.de/), Immo Capital (https://immo.capital), Immorente (https://www.immorente.de), Netbid (https://www.netbid.com/en/), New Shore Invest (https://new-shore-invest.de/en/), Oceanis (https://oceanis.io), Ownr (https://www.ownr.eu/de/), Research Hub (https://research-hub.de), Rubarb (https://www.rubarb.app/), Eco Income (https://www.ecoincome.world/)

Hamburger Fintech-”Fuck-ups”

Das Scheitern gehört genauso zur Fintech- bzw. zur gesamten Start-up-Szene wie das umso seltenere Entstehen von Einhörnern. Hier eine Auswahl von der dunklen Seite der Hamburger Fintech-Medaille:

+++ Handex https://www.northdata.com/HandEX+GmbH,+Hamburg/HRB+153202 +++ Bettercard https://financefwd.com/de/bettercard-ende/ +++ Kentra https://www.northdata.com/Solomia+Solutions+GmbH,+Hamburg/HRB+159554 ++ Kreditech, zuletzt Monedo https://financefwd.com/de/kreditech-monedo-insolvenz-kommentar/ +++ Flexpayment https://financefwd.com/de/flex-payment-insolvenz/ +++

Was passierte im Hamburger Fintech-Ökosystem?

Der Coworking-Space Finhaven hat mittlerweile seinen Fintech-Schwerpunkt aufgegeben und bietet seine Open-Space-Arbeitsplätze und Büros nun ohne Branchenfokus an. Dafür hat das Satellite Office zusammen mit der Privatbank Donner & Reuschel einen Coworking-Space in Hamburg gestartet. Zudem eröffnete der Ideen-, Coworking- und Start-up-Space Hammerbrooklyn, wo die gemeinnützige Stiftung „Hammerbrooklyn – Stadt der Zukunft“ gemeinsam mit der Factory Berlin zwar ebenfalls keinen Fintech-Fokus setzt, aber, wenn es nach den Betreibern geht, durchaus auch etwas in diesem Bereich passieren soll.

Masterplan Finanzwirtschaft mit großen Zielen

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Und auch das ist passiert: Die Hamburger Bürgerschaft wurde neu gewählt, wobei dem neuen Senat im rot-grünen Koalitionsvertrag vorgegeben wurde, zu prüfen, ob ein Finanzcluster eine gute Idee sei. Herausgekommen ist ein „Masterplan Finanzwirtschaft“, der den Stellenabbau und Bedeutungsverlust der Finanzwirtschaft in Hamburg stoppen soll. Die Förderung von Fintechs spielt hierbei immerhin auch eine Rolle. Ein Kernziel des Masterplans lautet, dass Fachkräfte für Banken und Versicherungen nach Hamburg gelockt werden. Zudem sollen Finanz-Start-ups Förderungen erhalten und das Grundwissen von jungen Hamburgerinnen und Hamburgern rund um Finanzen soll verbessert werden. Beim Thema „Sustainable Finance“ wird sogar eine Art Vorreiterrolle für Hamburg angepeilt. Hier dürften Anbieter wie das oben genannte Tomorrow gemeint sein, die Anleihen für Klimaprojekte und weitere nachhaltige Investmentmöglichkeiten bieten.

Auch von neun Millionen Euro, die für einen Fintech-Accelerator bereitgestellt werden, ist die Rede. Dabei liegt eine Frage allerdings auf der Hand: Kann man so überhaupt einen Fintech-Standort erfolgreich fördern? Was also entscheidet wirklich über die Fintech-Entwicklung einer Stadt oder einer Region? Reicht es, hier und da Geldmittel zur Verfügung zu stellen, oder muss am Ende nicht doch alles eher aus sich selbst heraus passieren? Der in Hamburg vielfach überstrapazierte Vergleich zwischen der eigenen Hansestadt und der noch immer unbestrittenen deutschen Fintech-Hochburg Berlin deutet jedenfalls eher auf Letzteres hin. Hierzu wäre eine öffentliche Diskussion mindestens wünschenswert.

Payment and Banking ist Medienpartner der Fintech Week in Hamburg. Nach einem pandemie-bedingten Komplettaussetzer im vergagenen Jahr geht es vom 22. bis zum 26. November in Hamburg wieder um das Motto „Eine Woche. Eine Stadt. Das Beste zur Zukunft der Finanzen.“

Über den Autor:

Clas Beese ist Gründer und Geschäftsführer von finletter, dem Branchenmedium für die Fintech-Branche und der Fintech Week, Deutschlands größter Fintech Veranstaltung.

Autor

  • Die studierte Soziologin und Medienwissenschaftlerin beobachtet, analysiert und schreibt als Journalistin seit vielen Jahren über die Startup- und Fintechszene. In der Vergangenheit arbeitete sie für führende on- und offline Gründer- und Wirtschaftsmedien im In- und Ausland, moderiert und schrieb mit Kollegen ein Buch über Unternehmen im Ruhrgebiet. Seit 2019 arbeitet sie für Payment & Banking, seit 2020 ist sie festes Redaktionsmitglied und ist in dieser Position verantwortlich für alle Themen Content, Planung und Entwicklung neuer Medienformate. In ihrer Zeit bei Payment & Banking ist sie zudem eine eifrige Podcasterin geworden.

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