Jeder fünfte deutsche Online-Shopper ist schon einmal Opfer von Betrügern geworden. Das verrät eine Bitkom-Umfrage, deren Ergebnisse im Januar erschienen sind. Betrug vs. Umsatz: Online-Händler möchten vor allem einen möglichst hohen Umsatz generieren. Ihr Kerngeschäft ist der Vertrieb. Jedoch können Forderungsverluste diesen Umsatz empfindlich treffen, wenn Händler keine smarte Risikomanagement-Steuerung im Checkout implementiert haben.
Eine möglichst hohe Checkout-Conversion und ein möglichst geringes Risiko durch betrügerische Transaktionen – es bleibt ein Balanceakt. Was sollten Händler also beachten, um durch smartes Risikomanagement für mehr Umsatz zu sorgen und ihre Kunden vor Betrügern zu schützen? Dazu habe ich mich mit Louisa Tran unterhalten, Risk- und Fraud-Expertin.
1. Eigene Gefährdung erkennen
Zunächst müssen Händler das eigene Gefährdungsrisiko erkennen. Dazu gehört die umfassende Analyse des eigenen Produktsortimentes und dessen Attraktivität für Betrüger. Einige Produktsortimente sind anfälliger als andere. Beliebt sind vor allem Produktgruppen, die sich schnell auf dem Schwarzmarkt weiterverkaufen lassen und wenig Lagerfläche beanspruchen: Handys, Sneaker, hochwertige Parfums, Spielekonsolen.
Um die eigene Gefährdungslage richtig einzuschätzen, sollte auch der Zahlungsmix unter die Lupe genommen werden: Unsichere Zahlungsarten wie der Rechnungskauf, der Ratenkauf oder der Kauf auf Kreditkarte steigern die Attraktivität für Betrüger, während der Rechnungskauf umgekehrt die beliebteste Zahlungsart in Deutschland und damit ein Umsatzbringer ist.
Wenn Händler betrugsanfällige Produkte in Kombination mit unsicheren Zahlungsarten anbieten, ist eine smarte Risikomanagement-Steuerung unerlässlich.
Bieten Händler einen eigenen Marktplatz an, dann müssen sie beim Onboarding-Prozess der verschieden Marken auch deren Produktsortimente kritisch prüfen. Außerdem müssen sie klären, inwieweit die Partnermarken eine eigene Risikomanagement-Steuerung oder nachgelagerte Betrugsprävention implementiert haben.
2. Status Quo der eigenen Risikomanagement-Lösung prüfen: Ausschreibung, Implementierung, Hypercare
Wie ist das eigene Risikomanagement momentan aufgestellt? Welche Betrugserkennungssoftware ist im Einsatz? Was wird manuell gecheckt, wie viel automatisiert betrieben? Wie sieht die nachgelagerte Betrugsprüfung aus? Was wird intern vom Fachbereich und der IT bewältigt, was an Dienstleister ausgelagert?
Louisa Tran: „Viele große Online-Händler nutzen aufgrund ihrer Gefährdungslage Machine Learning (ML)-basierte Softwarelösungen. Während die Entscheidungslogiken bei der passiven Zahlartensteuerung vollautomatisiert sind (siehe EU-DSGVO), ist das in der Betrugsprävention noch nicht gänzlich der Fall.
Denn die finale Entscheidung darüber, ob eine Bestellung wegen Betrug storniert wird oder nicht, wird oft durch einen Experten und nicht durch die Maschine entschieden. Das menschliche Auge und die manuelle Prüfung bleiben in der Betrugsprävention unverzichtbar.
Bei der Ausschreibung sollten Online-Händler sämtliche Risikomanagement-Lösungen der verschiedenen Anbieter sichten und sich hierfür genügend Zeit nehmen. So mancher Teufel steckt im Detail.
3. Kosten realistisch einschätzen
Gerade am Anfang muss viel Geld investiert werden: Machine Learning-Systeme, Cloud-Lösungen, um Kundeninfos miteinander zu verknüpfen, das richtige Personal… Dazu kommen die Aufwände für professionelle Dienstleister.
Louisa Tran: „Der personelle und finanzielle Aufwand eines smartes Risikomanagements wird von Händlern häufig unterschätzt. Nach der Implementierung darf es nicht heißen „Geschafft! Jetzt können wir uns alle zurücklehnen.“ Smartes Risikomanagement ist eine laufende Kostenstelle, die ausreichend Budget erforderlich macht für personelle Ressourcen (Fachbereich, IT) sowie für externe Kosten wie den angebundenen Dienstleister.
„Der Aufwand eines smartes Risiko-managements wird von Händlern häufig unterschätzt. „
Nachgelagerte Analysen der Risk-Decision-Engine sind erforderlich, um Anpassungen vorzunehmen. Die automatisiert getroffenen Entscheidungen müssen auf Plausibilität geprüft und gegebenenfalls nachjustiert werden.
Ich persönlich sehe hier die gesamtunternehmerische Relevanz eines smarten Risikomanagements. Durch ML-basierte Software ist der Händler in der Lage, individuelle Entscheidungen mit Blick auf den Payment-Mix zu treffen. Dies kann vor allem zu einer höheren Checkout-Conversion und damit zu mehr Umsatz führen. Richtig betrieben, ist ein smartes Risikomangement ein Treiber für profitablen Umsatz.“
4. Interne Kommunikation und Aufklärung verbessern
Louisa Tran: „Die Fachbereiche führen oftmals einen Kampf gegen Windmühlen. Einmal gegen die Betrüger, aber auch innerhalb des Unternehmens. Im Vergleich zum Einkauf oder Marketing hat die Risk-Abteilung wenig Sichtbarkeit, muss um jedes Budget kämpfen.
Risikomanagement wird zu oft als Umsatzkiller und nicht als Umsatztreiber angesehen.
Klar, das Kerngeschäft eines Händlers ist der Verkauf, er möchte kein Betrugsdezernat sein. Aber das Risikomanagement ist so ein großer Treiber, generiert viele kunden-, auftrags- und produktbezogene Daten, die dann noch mit Daten aus dem After Sales (Retourenquote, Mahnstufe, Inkassoabgabe) angereichert werden können.
Oft werden diese wichtigen Datentöpfe nicht ausreichend angezapft. Auch die Verknüpfung mit den vorgelagerten Daten aus der Customer Journey (Marketingkanal, Verweildauer, Klickanzahl, usw.) bleibt häufig leider aus. Dabei schlummern hier so viele wichtige Erkenntnisse.
Viele Optimierungsfälle werden nicht genutzt, die Angst vor Datenschutz führt zu viel Unsicherheit. Dabei müssen wir nicht strenger als das Gesetz sein, sollten uns nicht von Ängsten treiben lassen.“
5. Rolle der Dienstleister richtig definieren
Egal, ob Payment, Scoring, Adressprüfung oder Forderungsmanagement: Alle großen Händler arbeiten mit externen Dienstleistern zusammen. Louisa Tran: „Ich würde mir wünschen, dass sich Dienstleister stärker in die Rolle und die Herausforderungen der Fachbereiche hineinversetzen.
Die Fachbereiche erkennen meist den Mehrwert eines neuen Produkts und damit der angebotenen Dienstleistung. Die Überzeugungsarbeit muss also nicht nur bei den Fachbereichen, sondern eher intern auf höherer Management-Ebene geleistet werden.
Da die Risk-Abteilungen oft unter mangelnder Sichtbarkeit bei den Entscheidungsträgern leiden, haben sie bereits eine schlechte Ausgangsposition, wenn es um Budget für neue Risk-Tools geht.
Um die Prozesse und vor allem den Mehrwert von gutem Risikomanagement aufzuzeigen, ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig, da müssen Fachbereiche und Dienstleister Hand in Hand zusammenarbeiten.
Aber auch die Branchenöffentlichkeit ist gefragt, auch sie muss wichtige Aufklärungsarbeit leisten. Es kann und darf nicht alleine den Fachbereichen und den Dienstleistern überlassen bleiben, die Entscheidungsträger auf Händlerseite von der Relevanz einer smarten Risikosteuerung zu überzeugen.“