Meine Damen und Herren, liebe Kinder, liebe Haustieren, willkommen im Paymentzirkus! Wir  begeben uns schnurstracks auf die Suche nach den tollkühnen Attraktionen der Fintech-, Banken- und Paymentbranche. Manege frei!

Die Payment and Banking-Szene ist unzweifelhaft niemals langweilig. Kein Monat vergeht, ohne dass neue Produkte, Banken, Fintechs und Payment-Lösungen auf den Markt kommen. Aber wer braucht das eigentlich alles und muss man das alles gut finden? Unser Autor Nils Wischmeyer beleuchtet in seiner Kolumne „Nils nörgelt“ ab monatlich ein Produkt, Thema oder eben den „letzten heißen Scheiß“. Etwas zu meckern gibt es schließlich (fast) immer.

Die ganze Branche brüllt Innovation, doch stecken oftmals Produkte dahinter, die wie Kätzchen sind: süß, aber nutzlos. Hier kommt meine persönliche Auswahl der überholten oder unnötigen Innovationen. Anders als Sie aber vermuten, suchen wir nicht die größten, die gefährlichsten oder die anmutigsten Tiere, sondern suchen die Scheinriesen unter den Produkttieren und Innovationsbestien. Bienvenue, welcome, willkommen!

Sparpläne für 1 Euro

Dieser mächtige Scheinriese ist der funkelnde Star unter den Innovationen: Sparpläne schon ab 1 Euro, ohne jede Gebühr, ohne Kosten – ach, so kann jeder schnell reich werden. Die Banken schauen neidisch auf die Emporkömmlinge, die solche Preise anbieten können und die anderen Broker überlegen schon, wie sie es kopieren sollten, damit die Heerscharen junger Anleger auch in ihre Manege strömt. Doch ist das wirklich eine Innovation?

Für den Anleger jedenfalls haben diese niedrigen Hemmschwellen keinen wirklichen Nutzen, sind allenfalls ein Marketinggag. Oder wollen Sie ihren Jahresurlaub damit bestreiten, jeden Monat einen Euro zurückzulegen? Ich habe das mal nachgerechnet und immerhin hat man am Ende von Jahr 1 schon die vollen 12 Euro gespart. Zuzüglich etwa vier Prozent Rendite kommt der geneigte Anleger auf 12,48 Euro – vor Inflation. Ein satter Gewinn, von dem man sich immerhin ein paar Kaugummis kaufen kann. Reich werden mit dem Aktienplan? Ab zurück in den Käfig außerhalb der Manege!

BNPL für Kleinstkäufe

Nur aber der Geheimtipp für alle Zirkusliebhaber der Finanzen: Wer das Geld nicht in Aktiensparpläne steckt, kann es zum Shoppen ausgeben. Eines der Features, an dem man seit einigen Monaten kaum mehr vorbeikommt: Buy now pay later, und hier insbesondere die Ratenzahlung. Das Instrument ist nun nicht neu und wer mal einen Fernseher bei Mediamarkt gekauft hat, dem wurde die Ratenzahlung bereits angeboten. So weit, so zahm der Löwe in der Manege.

Seit einigen Monaten aber werden Ratenzahlungen für quasi alles angeboten. T-Shirt für 15 Euro? Bezahl es auf Raten. Hose für 30 Euro? Bezahl es auf Raten. Schuhe für 100 Euro? Bezahl es auf Raten. Ein gut gemeinter Rat? Keine Raten. Vielleicht mag ich zu altmodisch sein, aber dieser Trend hat für mich nur zwei Effekte: wahlweise Überschuldung oder übermäßiger Konsum. Mit letzterem werben diverse Firmen schon bei Online-Händlern, den Rest sehen die Schuldnerberater. Steigert womöglich den Profit, für mich als Verbraucher aber absolut nicht zu gebrauchen. Den Drahtseilakt sparen wir uns dann lieber: Nexte Nummer in der Manege!

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Echtzeitüberweisungen & die Bepreisung

Schauen wir, welch anmutiges Tier sich hier verbirgt: Ah, ein Leopard. Ein anmutiges Tier, wie es so voranschreitet und plötzlich in Windeseile los schießt. So oder so ähnlich haben sich das vermutlich auch die Macher der Echtzeitüberweisung gedacht, die ihre Idee für bahnbrechend halten: Geld überweisen und das sofort. Irre, ich sag es euch.

Nun kann man sagen, dass Paypal diese Idee vor mehr als 20 Jahren hatte. Und damit reich geworden ist. Aber gut, wir wollen nicht kleinlich sein. Immerhin bieten einige Banken dieses tolle neue Feature jetzt an. Akzeptable Neuerung, alles klar. Und jetzt der Brüller: Noch immer wollen Sparkassen und andere Finanzinstitute tatsächlich Geld von mir, damit sie Geld sofort verschicken – in einer Gesellschaft, in der ich alles sofort bekomme, das Abo, den Musiktitel, den Film, das Amazon-Paket. Wie lächerlich wollt ihr euch machen? Finanzinstitute: Ja.

Insbesondere, wenn man sich dann auch noch den Use Case anschaut, ist man sicher: Der Leopard ist wohl irgendwie falsch abgebogen. Denn einer der wenigen, die überhaupt noch in Gesprächen genannt werden, ist in etwa der hier: Die eigene Tochter steht an der Kasse von H&M und kann den Pullover nicht bezahlen, also schnell eine Überweisung. Mal unabhängig davon, dass heute sowieso jeder unter 30 Jahren alles Online kauft, verkennen die Banken auch noch, dass ich es dem Kind schlicht per Paypal schicken und es dann mit Apple Pay bezahlen kann. Das hat wohl jemand nicht zu Ende gedacht.

In-Car-Payments

Bleiben wir für den Moment bei Innovationen, die toll klingen, aber fast keinen Use Case haben und schauen uns die In-Car-Payments an. Das stehen gleich zwei dicke Elefanten im Raum: Käufe, die man tatsächlich aus dem Auto heraus tätigt und zum anderen das Bezahlen an der Tankstelle. Letzteres ist an sich schon eine völlig absurde Idee aus Unternehmersicht, weil es das Geschäftsmodell der Tankstellen zerschießt: Welche Tankstelle sollte das freiwillig anbieten, wenn es ihr so die Kunden nicht in den Laden lockt? Ebenso ist die Entwicklungsarbeit, die in dieses System fließt, vermutlich groß, der Fußweg vom Auto in den Laden aber klein – und die tatsächliche Innovation doch eher mau.

Noch unnötiger ist für mich nur In-Car-Payment selbst, vielleicht weil ich selbst kein Auto besitze (wie große Teile meiner Generation). Aber auch sonst sehe ich schlicht keinen Use Case, in dem ich abends mit 180 Kilometern pro Stunde über die Autobahn brettere und Siri entgegenschreie, dass sie bei Amazon dreimal Toilettenpapier und bei iTunes bitte das Album von Dr. Dre kaufen soll. Weder stelle ich mir das entspannt vor, noch zielführend, noch so richtig ungefährlich für die restlichen Straßenteilnehmer. Ich mein: Wer macht denn sowas? Trötet gern schnell durch.

Das digitale Haushaltsbuch

Womit wir am Ende unseres kleinen Zirkusrundgangs wären: dem digitalen Haushaltsbuch. Was habe ich mich gefreut, als das aufkam! Endlich kann ich den Überblick behalten über meine Ausgaben, sehen, dass die Mittagspause immer viel zu viel Geld verschlingt, mich die Abende in der Kneipe eines Tages in den Ruin treiben und das zwölfte Gadget von Amazon eben doch eher unnötig war. All das hätte ich erfahren können, ohne wochenlang ein analoges Haushaltsbuch zu führen, das ich spätestens nach Barzahlung drei und Tag fünf vollkommen schludrig geführt hätte und dessen Ergebnis genauso aussagekräftig wäre wie die meisten Pressemitteilungen der Payment- and Bankingbranche.

Die Ernüchterung aber kam schneller. Denn kein digitales Haushaltsbuch schafft es auch nur ansatzweise (!) mein Konto vernünftig zu ordnen, geschweige denn das grafisch darzustellen. Einkäufe bei Rossman als „Lebensmittel“, Mittagessen im Restaurant als “Investition”, die Buchung zwischen zwei Konten bei der gleichen Bank als Verlust und dann als Gewinn, wodurch die Einnahmen auf dem digitalen Papier plötzlich gigantisch groß wurden: Ich hab’ alles gesehen. Kurz: Die Umsetzung ist grauenvoll. Wo ist denn nun eure KI, liebe Branche, euer Machine Learning, eure tollen Algorithmen und smarten Anwendungen? In der Pfeife rauchen kann man die offenbar und wenn es schon bei so einfachen Dingen scheitert, will ich gar nicht wissen, wie eure KI-gestützte Geldwäscheaufklärung läuft.

Was bleibt?

Wir sehen: Es gibt in der Manege das ein oder andere große Tier, in das die Kinder und Eltern heute große Erwartungen gesteckt haben. Dass es toll laufen kann, Springen, Brüllen. Am Ende waren sie dann doch Enttäuschungen, Scheinriesen, die das Spotlight im Zirkus größer machte, als sie sind. Belassen wir es also heute bei ein wenig schalem Applaus – und gute Nacht.

Headerbild, iStock Bildnachweis: CreativaImages

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