Ein Gastkommentar von Marcus W. Mosen
Als Überraschungscoup wird seit letztem Mittwoch die Entscheidung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages gewertet, die Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie anzupassen. Bei der Anpassung ging es darum, dass Anbieter von technischen Infrastrukturen, die zur Erbringung von Zahlungsdiensten benötigt werden, diese Infrastrukturen auch Dritten (z.B. Banken) zur Verfügung stellen müssen. Schnell geisterte der Begriff „Lex ApplePay“ durch die sozialen Medien und diverse Blogs.
Kurzer Blick zurück: Als Apple vor ca. 11 Monaten ApplePay in Deutschland (endlich) freigab, war die Freude groß – zumindest bei den sogenannten „Apple-Fanboys“ (and -girls), bei allen Fintech-affinen iPhone Usern, sowie bei einigen wenigen Banken. Nachdem im Juni 2018 bereits GooglePay in Deutschland eingeführt wurde, war das Go-live von ApplePay mehr als überfällig. Als heimlicher „ApplePay-Testuser“ hatte ich das Vergnügen, das Produkt mit meinem N26 Konto schon einige Monate vor dem 11.12.2018 nutzen zu können.
Und als bekennender Glaubensbruder der Mobilepayment-Gemeinde erlebe ich jedes Mal eine Sternstunde des digitalen Bezahlens, wenn der blaue Haken mit einem „Ba-bing“ auf meinem iPhone aufpoppt und gleichzeitig das Apple-Wallet sowie N26 mir eine Pushnachricht über die erfolgte Transaktion schicken. Früher war die landläufige Meinung, dass man mit Bargeld die bessere Kontrolle über seine Ausgaben habe. Auch wenn ich diese Auffassung schon immer für Alibiaussagen von Bar- oder Schwarzgeldfetischisten hielt, so ist sie im heutigen Zeitalter der Userexperience im Mobilepayment à la ApplePay mehr als hinfällig.
Mit dem ApplePay-Launch entfachte sich aber auch die z.T. sehr kontrovers geführte Debatte darüber, ob Apple seine angeblich marktführende Stellung missbrauche und Banken und Sparkassen dazu nötige, einen Teil der Interchange für die Nutzung des Apple-Wallets abzugeben. Google hingegen hatte seine NFC-Schnittstelle immer als offen definiert. Im Gegenzug für diese „Offenheit“ darf man wohl davon ausgehen, dass der Datenzugriff auch etwas „offener“ erfolgt. Während die einen debattierten, sammelten andere Banken – auch ausländische – fleißig neue Kunden, die sich ApplePay wünschten, aber kein Angebot von ihrer Bank oder Sparkasse bekamen.
Dass Mobile-Payment eine „Dienstleistung im Spannungsfeld zwischen Finanzdienstleistern und Telekommunikationsanbietern“ sein wird, hatte ich bereits in einem Buchbeitrag im Jahre 2002 herausgearbeitet (siehe: Handbuch Mobile-Commerce, Gora/Röttger-Gerigk (Hrsg.), Springer-Verlag 2002). Damals gab ich mich im Fazit noch der Hoffnung hin, dass „die neuste technologische Entwicklung des Mobilepayment wahrscheinlich von den bereits etablierten (Payment-) Unternehmen im Wettbewerb um das beste, kundenorientierte Produkt vorangetrieben wird.“ Damals gab es in der Tat eine Ausgangslage, bei der etablierte Paymentunternehmen im Konsortium mit Telekommunikationsanbietern an einer zunächst SMS-basierten Lösung arbeiteten, die sehr erfolgsversprechend war. Eine Unterstützung dieses Ansatzes durch die deutsche Bank(en) sowie Sparkassen kam dann aber bedauerlicherweise nicht zustande. Die Hintergründe dazu hätten sicherlich auch ausreichend „Content“ für einen Wirtschaftskrimi oder eine Folge in der Serie „Bad Banks“. Das war damals jedenfalls keine Sternstunde für den bargeldlosen Zahlungsverkehr der deutschen Bankenlandschaft.
Die überwiegende Anzahl der damaligen „Entscheider“ befinden sich inzwischen im wohlverdienten Ruhestand oder in vergleichbaren Lebensphasen. Die Auswirkungen dieser (Fehl-)Entscheidungen von damals beschäftigen uns aber noch heute.
Auch die TK-Unternehmen haben sich bekanntermaßen aus dem Thema Mobilepayment inzwischen wieder verabschiedet. Nur die sogenannten „Big-Tech“ oder Tech-Giganten aus den USA haben vor einigen Jahren Mobilepayment für sich als Kernprodukt im Rahmen ihrer Plattformstrategie entdeckt und offensichtlich sehr erfolgreich umgesetzt.
Wenden wir uns wieder der Gegenwart zu: Twitterkollege und langjähriger Paymentnerd Hanno Bender definierte letzten Freitag in seinem „bargeldlosblog.de“ die Entscheidung des Deutschen Bundestages zur „Lex ApplePay“. Er vermutet, dass das Gesetzgebungsverfahren genügend „Stoff für einen Wirtschafts- und Politkrimi“ bereithält. Damit hat er vielleicht sogar recht. Denn wenn man seine gelungene Zusammenfassung des parteiübergreifenden Schenkel- und Schulterklopfens liest, wird einem schnell klar, auf welchem Niveau und in welchen sogenannten Hinterzimmern der Berliner Politzirkus gewirkt haben muss. Na, endlich mal ein Thema, welches von der Groko rasch durchgeboxt wurde. Das muss gefeiert werden. Da werden die soziale Marktwirtschaft, die Demokratie, der deutsche Mittelstand und natürlich die Digitalisierung als Gewinner über BigTech’s gefeiert und beschworen. Und dass der amerikanische Botschafter sich in dieser Frage bei der Kanzlerin gemeldet haben soll, wird als despektierliches Vorgehen von einigen MdBs kommentiert. Zumindest die Groko stellt sich geschlossen vor das Kanzleramt. Wer hätte damit noch gerechnet?
Diese doch eher künstlich wirkende Aufregung überrascht (nicht), denn zum einen besteht dank des Smartphones von Frau Merkel sowieso eine permanente Verbindung zwischen Botschaft und Kanzleramt, und andererseits kann davon ausgegangen werden, dass auch deutsche Botschafter gelegentlich Interessen deutscher Großunternehmen im Ausland auf der Agenda haben. Aber das Thema ApplePay bietet sich an, um mit zweierlei Maß zu messen.
Viele Kommentare aus den etablierten Kreisen der Finanzszene kamen dann schnell zu dem Schluss, dass mit dieser Entscheidung des Bundestages jetzt viele Fragen im Mobilepayment viel einfacher und schneller gelöst werden können. Daraufhin habe ich in den letzten Tagen mit ein paar Fintechexperten gesprochen, um deren Sicht auf diese Entscheidung zu erfahren. Unisono war die Rückmeldung, dass
- man erstmal abwarten solle, wie Apple mit der Gesetzesvorlage umgeht
- eine Lex-ApplePay-Germany-only weder dem Standort Deutschland noch den dort ansässigen Banken und Sparkassen helfen wird, bessere Produkte zu bauen
- dass die wirklichen Profiteure nicht die deutschen Banken oder Sparkassen sind, sondern junge, innovative sowie etablierte Fintechunternehmen aus dem In- und vor allem aus dem Ausland.
Der dritte Punkt ist besonders interessant: Fintech`s gelten als Nukleus für Kreativität und Agilität. Wenn aber nach Apple jetzt auch Google oder Facebook digitale Kartenprodukte und Girokonten anbieten, dann kann sich die Öffnung der NFC-Schnittstelle bei Apple sehr schnell als ein Eigentor für die deutsche Kreditwirtschaft herausstellen. Denn es zeigt sich, dass Kunden mehr und mehr auf exzellente User Experience achten, die unbestritten von Apple mit seinem Wallet als Benchmark definiert ist. Proprietäre Lösungen bei einem Standardvorgang, wie es Payment nun einmal ist, wird die Akzeptanz nicht unbedingt verbessern. Den Beweis, dass traditionelle Banken kreative und kundenorientierte Lösungen im Mobilepayment entwickeln können, müssen sie erst einmal führen. Die aktuell vorhandenen Android-basierten Versuche konnten bisher keine große Akzeptanz bei den Kunden erreichen. Sie bieten dem Endkunden nur eine auf die jeweilige Bank konzentrierte Lösung und führen aufgrund individueller Umsetzung und Integrationen in der jeweiligen Banking-App bei Kunden sowie Händlern am POS eher zur Verwirrung. Dem Gedanken des open banking entspricht dies meines Erachtens nicht wirklich.
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass das jetzt verabschiedete Gesetz weder dem Kundennutzen noch der Innovation in unserem Land dienen wird. Viele werden jetzt sagen, lass uns doch erst einmal abwarten, bis sich die NFC Schnittstelle öffnet, bevor wir uns auf ApplePay in der derzeitigen Struktur einlassen. Die Fokussierung weiter Teile der DK-Banken auf die Vermeidung eines Interchange-Sharing bei ApplePay halte ich für einen Kampf an der falschen Stelle.
Interessanterweise bieten Smartphonebanken ohne Jammern und Klagen ApplePay ihren Kunden an. Sie sehen auch nicht die Gefahr, dass sie nicht mehr von ihren Kunden wahrgenommen werden. Leider wird bei dieser Frage das Business Development zu sehr in die Hände von Anwälten und Politikern gelegt, als das Entscheider selbst ins Risiko für strategische Entwicklungen gehen, neue Ventures einzugehen oder Innovation zu forcieren.
Eine andere Herangehensweise beim Thema Mobilepayment konnten wir in den letzten Tagen und Wochen bei diversen Fintech-Unicorns beobachten. Sie haben sich keinen Kopf um die NFC-Schnittstelle gemacht, sondern die Herausgabe von neuen digitalen Karten- und Kontomodellen angekündigt. So wollen z.B. Stripe.com und Adyen.com – beide kommen aus dem Händlergeschäft – künftig auch Issuing-Lösungen anbieten. Google hat jetzt angekündigt, dass sie mit der Citibank in den USA Bankkonten ihren Kunden anbieten will. Der Trend zum Mobile- bzw. Smartphone-Banking scheint in den USA von den traditionellen Banken verstanden worden zu sein und vor dem Durchbruch zu stehen. Für Fintech-Startups in diesem Umfeld ist dies eine gute Nachricht, denn sie bedeutet, dass der adressierbare Markt für reine Smartphone-Banken größer wird. Man wird auch dieses Mal den Eindruck nicht los, dass die so oft gescholtenen US-BigTech mit Innovation einfach besser umgehen, bzw. sie schneller skalieren können. Und obwohl Protektionismus derzeit bei einigen Regierungen hoch im Kurs steht, werden wir den Export dieser Innovationen aus den USA nach Europa sicherlich nicht verhindern können. Aber mit Unternehmen wie beispielsweise Weltsparen.de by Raisin oder N26.com haben wir Gottseidank auch Fintech-Unternehmen und Unternehmer, die den Schritt von dieser Seite des Atlantiks in die USA wagen.-)
Und obwohl Protektionismus derzeit bei einigen Regierungen hoch im Kurs steht, werden wir den Export dieser Innovationen aus den USA nach Europa sicherlich nicht verhindern können.
Ich bin gespannt, wie sich in den nächsten Wochen die German Stakeholder bei ApplePay und der NFC-Schnittstelle weiter positionieren und ob sich dieses Gesetz dann doch als Pyrrhussieg herausstellt. Denn auch in Städten wie Hangzhou und Shenzhen kann dieses Gesetz als Segen gewertet werden. Warum dort? Nun, dort sind die Head Offices der Fintechplayer Alipay und WeChat Pay. Beide Unternehmen sind eher früher als später in der Lage, ihre Paymentlösung als integraler Bestandteil ihrer Ökosysteme in der Appleplattform umzusetzen – und das dann u.U. nicht nur für Kunden in Asien.
Aus Sicht von Teilen der deutschen Kreditwirtschaft haben einige Lobbyisten in Berlin letzte Woche einen Achtungserfolg errungen. Ob hier aber der Weg für Innovationen bei deutschen Banken und Sparkassen frei gemacht oder die Büchse der Pandora geöffnet wurde, wird sich noch herausstellen. Zweifel sind angebracht. Und vielleicht sollten wir nicht nur über die Öffnung von Schnittstellen sinnieren, sondern auch über die Öffnung von Hinterzimmern.
Autor:
Marcus W. Mosen ist Payment- und Fintechexperte und u.a. als Senior Advisor bei Raymond James Corporate Finance sowie bei Roland Berger engagiert. In seinen über 20 Jahren Payment- und Fintechpraxis hat er viele Entwicklungen in der deutschen und europäischen Paymentbranche hautnah miterlebt und mitgestaltet. Heute engagiert er sich auch als Ratgeber, Gastdozent, Beirat und Investor bei Startups – sowie gelegentlich als Kommentator.