Kommentar: Web3 und Metaverse im Bundestag. Es gibt klare Konfliktlinien

Vergangene Woche fand eine Anhörung im Digitalausschuss des Bundestags zum Thema „Web3 und Metaverse“ statt. Vor, während und auch nach der Veranstaltung kochten insbesondere die Gemüter der Web3 Community hoch. Hier der Versuch einer möglichst objektiven Darstellung der Gemengelage, wenngleich ich mich als Web3 Anhänger outen muss.

Für die Anhörung wurde ein Fragenkatalog entwickelt, zu dem sich die eingeladenen Experten vorab in einem schriftlichen Statement (auf o.g. Website abrufbar), sowie mit einem 5 Minuten Impuls und Nachfragen vor Ort der Mitglieder des Ausschusses stellen sollten. Anhänger aus dem Web3 Lager, wie etwa der Blockchain Bundesverband, hatten bereits im Vorfeld kritisiert, dass vorwiegend Kritiker als Experten geladen wurden.

Bandbreite der Definitionen zu hoch

In den Digitalausschuss werden Vertreter der Bundestagsparteien entsendet. Diese benennen Experten für bestimmte Themen. Der Fragenkatalog wird dann mit den Experten gemeinsam erstellt. Jede Partei hat eine politische Mission, dementsprechend werden Experten ausgewählt, die in aller Regel in die jeweilige Denkweise der Parteiprogramme fallen. Das ist ja erst einmal nicht verwerflich, doch da ein Großteil der Parteien (mit Ausnahme der FDP) des Bundestags dem Web3 gegenüber skeptisch eingestellt sind, ließ die Art und Weise, wie die Fragen formuliert wurden, schon vorab erahnen, in welche Richtung die Diskussion gehen würde.

Es kam eine große Bandbreite an Themen zur Sprache, denn schließlich werden allein unter dem Begriff Web3 Themen wie Blockchain Technologien, DeFi (Decentralized Finance), Kryptowährungen aber auch digitale Identitäten oder dezentrale Alternativen für Web 2.0 Dienste wie Twitter (Mastodon) in einen Topf geworfen. Das Metaverse lässt sich ähnlich breit fassen: Es reicht von Virtual über Augmented Reality bis hin zu den Plänen von Meta, oder Decentraland.

Blockchain und deren Anwendungsfelder

Zu Recht, denke ich, darf kritisiert werden, dass für die Anhörung ein zu breites Themenfeld gewählt und im Vorfeld nicht klar genug definiert wurde, was mit den Begriffen gemeint ist und welches Spektrum sie umfassen. Web3 habe ich tatsächlich sogar schon damals fast 20 Jahren in der Uni als „Semantic Web“ kennengelernt. Im Kontext von Blockchains wurde Web3 von Gavin Woods als „nächste Iteration des Internets auf Blockchain Basis“ definiert. Um Blockchains und deren Anwendungsfelder drehte es sich in der Sitzung dann auch die meiste Zeit.

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Das „Internet of Information“ wurde zur Übertragung von Informationen erfunden. Im Web2 wurde es interaktiv – Nutzer konnten Inhalte teilen. Im Web3, dem „Internet of Value“, können Nutzer nicht nur lesen, schreiben, und Inhalte teilen, sondern diese auch besitzen. Dies wird mit der Tokenisierung von Inhalten (z.B. in Form von NFTs) erreicht. Man stelle sich das ungefähr so vor: Wenn man einen Beitrag schreibt, ein Lied komponiert oder ein Foto teilt, gehen damit z.B. Verwertungsrechte einher, die in einem Token verkörpert werden.

Web3 löst das Internet nicht ab, es ergänzt

Das Web3 besitzt, im Gegensatz zum normalen Internet, mit Kryptowährungen und Stablecoins eine native Bezahlmöglichkeit. Immerhin, im HTTP Protokoll des Internets war mit dem Status Code 402 „Payment Required“ bereits ein Anknüpfungspunkt für Zahlungen enthalten. Eine Implementierung gab es leider nie. Ausnahme hier waren die vielen, individuellen, nicht-nativen Lösungen von zentralisierten Paymentfirmen wie beispielsweise Paypal und Stripe.

Was in meinen Augen in der Diskussion falsch gesehen wird: Das Web3 soll nicht das Internet ablösen, sondern es wird eher ergänzt. Webseiten basieren auf denselben Standards und Technologien, lediglich die Bezahlung und Übertragung von Werten wird anders erreicht.

Die vorgebrachtet Kritik

Weitere kritische Äußerungen zu Web3 (teilweise auch in dem Wortlaut), die meist ohne irgendwelche Belege genannt wurden:

  1. Blockchains sind zu langsam und technologisch ungeeignet
  2. Blockchains sind nicht mit den europäischen Werten vereinbar und Blockchain Projekte untergraben die demokratische Grundordnung
  3. Blockchains sind nicht mit der DGSVO („Recht auf Vergessen“) vereinbar
  4. Web3 ist die technologische Umsetzung einer autokratischen Ideologie
  5. Die meisten Web3 Projekte sind nicht so dezentral, wie es scheint, sondern nur wenige Stakeholder teilen sich die Macht
  6. Die Blockchain Community hat in 14 Jahren nichts geliefert, außer Scams und Steuerhinterziehung. Außer Spekulation und Geldwäsche gäbe es keine Anwendung
  7. Blockchains sind ungeeignet für Nutzer, da ein Verlust der Zugangsdaten („Private Key“) zu einem Totalverlust führt
  8. Grundsätzlich: die Blockchain Technologie löst keine Probleme, sondern sucht sich nur welche, die schon längst gelöst wurden

Die Web3 Welt und Blockchain Technologie sind aktuell definitiv nicht perfekt, das können selbst Enthusiasten wie ich eingestehen. Aber die Polemik der Argumentation ist vollkommen unangebracht. Zu den einzelnen oben genannten Punkten:

zu 1) Es entstehen längst schnellere Blockchains

Dezentrale Systeme sind grundsätzlich langsamer als zentralisierte Systeme, da sie das Trilemma aus Dezentralität, Skalierbarkeit (Geschwindigkeit) und Sicherheit lösen (vgl. mit dem Internet: anstatt Pakete über verschiedene Routen zu schicken, könnten sie auch alle den gleichen, direkten Weg nehmen. Das wäre schneller, dafür aber weniger ausfallsicher). Das ist technisch nicht trivial und kostet i.d.R. Performance. Dafür bieten offene, dezentrale Systeme den Vorteil, dass jeder sich dazuschalten kann, im Internet mit einem Server, bei der Blockchain mit einem Validator oder Miner.

Was mich an der zugangsfreien („permissionless“) Blockchain Technologie fasziniert: Jeder Mensch kann mitmachen und einen Knoten betreiben. Das wäre im Vergleich mit dem traditionellen Finanzsystem ungefähr so, als würde man einen SEPA Knoten betreiben und mit der Validierung von Transaktionen ein passives Einkommen verdienen. Token oder auch Finanzdienstleistungen, die mit Smart Contracts erstellt werden (DeFi), basieren auf offenen Standards, sodass jeder sie nutzen bzw. „anprogrammieren“ kann. Deshalb entwickelt sich der Bereich aktuell rasant.

Die Bitcoin Blockchain mit ca. 7 Transaktionen pro Sekunde (TPS) ist sehr langsam. In den letzten 5 Jahren sind neue Blockchains (z.B. Solana) entstanden, die bis zu 4400 TPS schaffen. Im Vergleich mit Mastercard (~5000 TPS), VISA (24.000 TPS) oder gar der Nasdaq (> 500k TPS) ist man da zum Teil natürlich noch weit entfernt, aber es wird auch nicht nur eine Blockchain oder einen dezentralen Marktplatz geben, die Last wird sich also verteilen. Außerdem kann man davon ausgehen, dass sich die Technologie in den nächsten Jahren noch weiterentwickeln wird. 

zu 2+3+4) Daten zu besitzen gibt ihnen mehr Souveränität

Technologien sind nie ideologisch, sondern nur die Menschen, die sie nutzen. Der Ursprung des Bitcoins in der Welt der Cypherpunks hatte zwar den Antrieb einer libertären Weltordnung, aber selbst er ist von „einer Untergrabung der demokratischen Grundordnung“ weit entfernt. Blockchain Projekte greifen auch nicht die Grundwerte der Demokratie an und sind vereinbar mit europäischen Werten, wie man an der EBSI oder ESSIF sieht. Das „Recht auf Vergessen“ in der DGSVO kann ebenfalls beachtet werden, indem personenbezogene Daten außerhalb der Blockchain gespeichert werden, und in ihr nur ein Verweis.

Gleichzeitig glaube ich, dass die Möglichkeit, Daten zu besitzen, Menschen in der Zukunft noch mehr Souveränität bieten wird. Web3 als „technologische Umsetzung einer autokratischen Ideologie“ halte ich für sehr weit hergeholt. Jeder kann einer Decentralised Autonomous Organization (DAO) – also einer Art Genossenschaft im Web3 – beitreten und Einfluss nehmen, ggf. sogar den „Autokraten“ überstimmen, wenn es einen gibt.


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zu 5) Dezentralität in Web3 muss sich auch in der Governance widerspiegeln

Der Grad an Dezentralisierung in Web3 Projekten ist definitiv kritisierbar. Auf europäischer Ebene wird schon von sogenannten „DiNOs“ (Decentralized in Name Only) gesprochen. In der Regel haben hier die Gründer und ersten Investoren einen Großteil der Anteile/Token. Wenn Projekte den Anspruch haben, wirklich dezentral zu sein, dann muss sich dies auch in der Governance Struktur widerspiegeln. Ich persönlich sehe aber den Grad der Dezentralisierung als nicht so wichtig an. DeFi basiert auf einer dezentralen Wertschöpfungskette, in der sich verschiedene Projekte und Protokolle miteinander verknüpfen (z.B. das Lending Protokoll, welches Liquidationen über eine dezentrale Exchange abwickelt). Warum sollten nicht einzelne Bausteine in Zukunft von AGs oder anderen Organisationsformen angeboten werden? Das wird ja auch nicht im Web1 und Web2 kritisiert.

zu 6) Innovation braucht seine Zeit, auch das Web3

6. Die Bitcoin Blockchain gibt es seit 14 Jahren. Seitdem haben sich Technologie und Anwendungsfelder kontinuierlich weiterentwickelt. Beispielsweise ist sogar in Deutschland mit dem eWpG die Registerführung von Wertpapieren mit der Blockchain legal möglich. Stablecoins, die auf tokenisiertem E-Geld basieren (z.B. USDC), verbinden die Stabilität einer Währung mit den technischen Parametern einer Zukunftstechnologie. Man kann plötzlich den Dollar programmieren und in Realzeit um die Welt schicken, in Lieferketten einbauen. Das ist ungefähr so, als würde man ihm zwei Raketen auf den Rücken schnallen. Der Vorwurf, dass Blockchains außer „Spekulation und Geldwäsche“ nichts auf die Beine gestellt hätten, ist schlichtweg nicht richtig. Dass die Anwendungen noch nicht in der Masse angekommen sind, darf man nicht auf die Goldwaage legen.

Vom ersten Browser bis zum ersten Online-Banking hat es auch 14 Jahre gedauert. Der mitverpackte Vorwurf, dass es bei Blockchains nur um kriminelle Aktivitäten geht, ist ebenfalls längst widerlegt. Dass der Bereich ein Imageproblem hat, ist aber nicht abzustreiten, wenn man sich die spektakulären Pleite-Fälle von Celsius, FTX, Terra und diversen Hacks anschaut. Allerdings betreffen erstere Fälle CeFi (zentralisierte, bankähnliche Dienstleistungen ohne Lizenz), was kein Teil vom Web3 ist, und gegenüber letzteren Fällen sind die funktionierenden Projekte in der Überzahl.

zu 7) Lösungen, Password Safes überflüssig zu machen

Wenn ein Nutzer seinen Key verliert, dann sind die Guthaben nicht wiederherstellbar, das ist richtig. Die Verwendung eines Password Safes würde bereits Abhilfe schaffen. Die Industrie arbeitet aber auch an anderen technischen Lösungen, z.B. MPC (Multiparty Computation), die selbst Password Safes überflüssig machen könnten.

zu 8) Lösen von Problemen = Innovation

Nennt man das Lösen von Problemen auf einem neuen Weg nicht „Innovation“? Wenn sich das Bankwesen der Medici 500 Jahre später entwickelt hätte, würden wir es dann wirklich mit tausenden von Banken, Korrespondenzbanksystem, verschiedenen technischen Standards usw. genau so wieder bauen, wenn es Blockchains und die Selbstverwaltung von Geldbeträgen schon gäbe? Ich glaube nicht.

Berechtigte Kritik, aber …

Die Kritik an Web3 und Blockchain ist im Kern durchaus angebracht. Vieles (Geschwindigkeit, Sicherheit vor Hacks, …) ist noch in Entwicklung, und könnte schneller vonstattengehen. Außerdem sorgen noch immer viel zu oft schwarze Schafe dafür, dass eine gesamte Industrie in Misskredit gebracht wird. Hier wird langfristig Regulierung (CeFi -> MiCA, DeFi -> formiert sich aktuell) Abhilfe schaffen und Konsumenten eine verlässliche Umgebung bieten. Wie Economist-Redakteur und Experte Ludwig Siegele in der Anhörung sagte, könne man jetzt alles so regulieren, dass es nicht mehr stattfänder. Aber wir befinden uns doch in globalen Märkten und aufhalten wird man die Entwicklung nicht. Man muss damit leben. Weiter sagte er, man solle aktuell Web3 und Metaverse noch nicht zu ernst nehmen. Aber Dinge, die heute noch nicht optimal sind, können morgen schon ganz anders aussehen.

Kanzlerlegende Helmut Schmidt sagte einst, „Wer Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen“. Wenn eine Minderheit an eine bestimmte Zukunft glaubt, dann liegt es an ihnen zu zeigen, nicht verrückt zu sein. Visionen umzusetzen war nie leicht, erst recht nicht in Deutschland. Widerstände gab es seinerzeit sicher auch gegen das Automobil oder den Buchdruck. Für die Web3 Community in diesem Land bedeutet die Anhörung letzte Woche, dass man wenig Unterstützung vom Bundestag zu erwarten hat. Da man weitermachen wird, wird der Bundestag die Bewegung nicht stoppen können.

Für bleibt Deutschland zu hoffen, dass man von möglichen Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen profitieren kann und die relevanten Projekte nicht weiter das Land verlassen, um im europäischen oder weltweiten Ausland eine Heimat zu finden, in der man willkommen ist. Sollte man sich gar den Forderungen anschließen, die freie Nutzung der Technologie einzuschränken oder sogar zu verhindern, wäre dies für mich persönlich vergleichbar damit, wie autokratische Staaten dies mit der freien Nutzung des Internets tun.

Über den Autor:

Peter Großkopf ist Mitgründer und CTO der Unstoppable Finance GmbH, einem in Berlin ansässigen Unternehmen mit der Mission, Menschen auf der ganzen Welt den Zugang zu dezentralen Finanzanwendungen (DeFi) zu ermöglichen. Davor war er CTO und Geschäftsführer der Börse Stuttgart Digital Exchange, der ersten regulierten Börse für digitale Vermögenswerte in Deutschland. Davor war er CTO und Mitgründer der Solarisbank.


Autor

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