Beim Thema „ChatGPT“ können sich viele Kolleg:innen kaum im Zaum halten. Wer die Lobeshymnen auf den KI-Chatbot liest, gewinnt fast den Eindruck, wir hätten das menschliche Gehirn nachgebaut. Für die Versicherungswelt könnte diese KI aber noch zum Problem werden.
Eigentlich wären an dieser Stelle in dieser Woche die News aus der Insurtech-Welt erschienen. Hätte es die Ostertage nicht gegeben. Denn so war die Nachrichtenlage doch etwas dünn. Die Feiertage hatten aber auch ein Gutes. Endlich konnte ich mal die lange Leseliste diverser Berichte über ChatGPT durcharbeiten. Und es ist ein Graus.
Bar jeglicher Sachkenntnis von technologischen Zusammenhängen und KI-Trainingsmethoden scheint es sich am besten über ChatGPT zu plaudern. Jede Menge selbst ernannter Experten und Berater, die gestern noch verzweifelt Probleme suchten, die die Blockchain in der Versicherungswelt lösen könnte, erklären nun, dass Versicherungsgesellschaften und Insurtechs aber ganz schleunigst etwas mit KI-Bots machen müssten. Sonst würde die Zukunft sie überrollen.
Je nun: Zumindest in meinen Spezialthemen schreibt ChatGPT aktuell nicht viel mehr als bildungssprachlich einwandfreie Lore-Ipsum-Texte. Aber das soll hier nicht das Thema sein.
Versicherer nutzen KI schon, Stupid
Besagte Berater hören es vermutlich nicht so gern, aber die Versicherungswelt hat das Thema KI schon für sich entdeckt. Predictive Analytics in der Modellierung von Produkten und Tarifen kommt durchaus zum Einsatz. Und auch bei der Schadenbearbeitung greifen Versicherer auf KI-Lösungen, um die Mitarbeitenden zu unterstützen. Zwar noch nicht flächendeckend, aber dann doch.
Und das Training und die Entwicklung von Machine-Learning-Modellen für Spezialgebiete, wie sie in den Versicherungen anzutreffen sind, dauern eine Weile und kosten auch Geld. Weswegen eben noch nicht jede Gesellschaft solche Tools nutzt.
Die Welt der Versicherungen ist eben etwas komplizierter, als an einem Prompt darum zu bitten, einen Blogbeitrag zu Open Banking zu schreiben. Apropos: Einfach mal ausprobieren. Das Ergebnis ist lustig.
ChatGPT im Kundenkontakt: Nur eine Seite der Medaille
Zurück zu den Berater:innen und „KI-Experten“. ChatGPT eröffne im Kundenkontakt zahllose neue Möglichkeiten für Versicherer und Insurtechs. So heißt es. Aber die Quintessenz aller Artikel, die ich während der Feiertage gelesen habe, bringt jetzt allerdings nur einen überschaubaren Erkenntnisgewinn.
- ChatGPT kann also die Anfragen von Kund:innen schnell und flüssig beantworten, als habe sie ein Mensch geschrieben.
- Das funktioniert rund um die Uhr.
- Läuft perfekt auf elektronischen Plattformen.
- KI arbeitet als Partner für die Mitarbeitenden, wenn sie etwa Anliegen der Kund:innen zusammenfasst oder Antworten produziert.
Die Liste könnte man jetzt noch fortsetzen. Es ist eben ein Chatbot, gell? Und wenn jemand auf LinkedIn den ganzen Zauber durch einen kritischen Kommentar zu entzaubern versucht, lautet die Entgegnung, dass gerade an dieser Stelle ChatGPT das falsche Werkzeug ist. Das sei nicht der „Use Case“ dieser revolutionären Technologie.
Wenn es doch nicht die Regulatorik gäbe
Dass beim Thema ChatGPT gerade die berühmten Pferde durchgehen, zeigt sich schon allein daran, dass offenbar niemand daran denkt, dass sich Versicherungen und Insurtech innerhalb eines regulatorischen Rahmens bewegen.
Es ist leider nicht so, dass ich eine Box „OpenAI“ kaufe, die auf meinem Server installiere, um dann das System in meinem Rechenzentrum zu betreiben.
Das gesamte Modell basiert auf Daten unterschiedlichster Quellen. Lassen wir hier mal Urheberrechtsverletzungen aussen vor, die aber für Unternehmen, die sich an Compliance halten müssen, durchaus relevant sein können.
Schwerer wiegt da das Problem mit dem Datenschutz. Nun mag der eine oder andere die Augen verdrehen. Aber es gibt eben genügend Menschen, die sehr wohl ein Problem damit hätten, wenn die Schilderung von Krankheiten und Lebenssituation einfach an ein System weitergeleitet werden, das niemand direkt beherrscht, geschweige denn beurteilen kann, was dann dort passiert.
Lasst uns mal über Versicherungsbetrug reden
Unbestritten können Chatbots, wie ChatGPT, einen Nutzen für Versicherungen bringen. Nur hat KI auch eine Schattenseite. Und die kommt stärker zum Tragen, wenn die Systeme massentauglich und einfach benutzbar werden.
Denn sie werden Versicherungsbetrug leichter machen. Ein Thema, über das die Branche ungern spricht und sich auch mit belastbaren Zahlen zurückhält. Eine Befragung des GDV vor einigen Jahren erbrachte zumindest, dass sich 15 Prozent der Bürger:innen vorstellen können, ihre Versicherung zu betrügen. 5 Prozent hatten das Vorhaben auch schon umgesetzt. Seinerzeit war die Situation in den Geldbörsen der meisten Menschen noch nicht so angespannt wie heute. Die Versuchung dürfte also noch größer geworden sein.
Optische Mustererkennung prüft in einigen Versicherungsgesellschaften die von den Geschädigten übermittelten Fotos. Der nachträglich aufgebrachte, real aber nie existierende, Kratzer auf dem Autolack mag in Photoshop gut ausgesehen haben. Aber KI kann hier minimal falschen Lichteinfall und Perspektiven erkennen. Die Mitarbeitenden erhalten eine Warnung.
Ohne zu viel zu verraten: „Verdächtig“ können auch Schadenmeldungen sein, die einfach zu perfekt sind. In die Betrugserkennung mittels KI haben Versicherer und Insurtechs schon viel Geld gesteckt.
So freuen wir (und vor allem Berater) uns über ein Foto des Papstes in Daunenjacke und bewundern unseren Erfindergeist, eine so überlegene KI entwickelt zu haben, die solche Fakes produzieren kann.
Für die Versicherungswelt kann das aber zu einem massiven Problem werden. Denn damit droht die Konfrontation „Meine KI gegen deine KI“. Und das kann richtig teuer werden. Für alle Beteiligten.