Interview mit Jochen Siegert

Jochen Siegert

„Die derzeitigen Mobile Payment-Angebote in Deutschland lösen kein Kundenproblem.“

Jochen Siegert spricht mit der Online Plattform kartensicherheit.de über das Zahlungsverhalten der Deutschen im Bereich mobile Payment und den „Mobile Payment Report 2017“ kartensicherheit.de: Herr Siegert*, in unserem Interview im letzten Jahr waren Sie der Meinung, dass sich das Zahlungsverhalten der Deutschen nur langsam, der Markt für Mobile Payment hingegen rasant verändert. Beides bestätigt nun der „Mobile Payment Report 2017 – What customers really want“ von PwC. Überraschendes Ergebnis des Reports: Die Deutschen stehen dem Thema eigentlich offen gegenüber. Wie passen diese Entwicklungen zusammen? Jochen Siegert Jochen Siegert:
  • Recht einfach: Änderungen im Zahlungsverhalten passieren nicht über Nacht oder nur dann, wenn ein gravierendes Kundenproblem vorliegt. Die (Debit/Kredit) Kartentransaktion gewinnt seit geraumer Zeit jährlich ca. 1,5% Marktanteile zulasten des Bargelds laut den EHI-Statistiken. Daran haben auch Innovationen wie EMV/NFC-Kontaktlos nichts geändert. Entsprechend wird dies so weitergehen.

Bezüglich Mobile Payment hat sich etliches getan. Die Kunden kaufen mittlerweile mehrheitlich mit ihren Smartphones ein und bezahlen mobil in-App oder im mobilen Web-Browser – bei Zalando ist beispielsweise schon 70% des gesamten Umsatzes und somit des Payments durch mobile Endgeräte initiiert. Banken berichten, dass auch schon mehr als 50% der Zugriffe auf das Online-Banking mobil erfolgen.

Das heißt, die Kunden sind es gewohnt, Finanzprodukte mobil zu nutzen und stehen deswegen dem Thema sehr offen gegenüber. Jetzt stellt sich nur die Frage, warum sich Mobile Payment im stationären Handel noch nicht so etabliert hat wie im Online-Handel. Auch da ist die Antwort recht einfach: Die Angebote lösen kein Kundenproblem. So lange Mobile Payment im stationären Handel nicht signifikant besser, einfacher, bequemer oder schneller ist als Bargeld oder (NFC)-Karte, wird es vom Kunden nicht genutzt. Warum auch?

Es ist also weniger ein Problem des Kunden oder ein Problem der Technik, die wunderbar funktioniert. Es ist schlicht ein Problem, dass kein Angebot der Zahlungsanbieter im stationären Handel attraktiv genug für den Kunden ist. Die vielen Anbieter sollten sich daher an die eigene Nase fassen.

Welche Angebote und Lösungen wollen die Verbraucher hierzulande wirklich? Was könnte die Nutzung von Mobile Payment Lösungen steigern?
  • Jedenfalls nicht nur ein einfacherer anderer Formfaktor der üblichen Karte, die man mit hohem Aufwand im Telefon erst einmal aktivieren muss oder gar auf eine neue Telefon-SIM-Karte warten und einbauen muss, wie der eine oder andere Anbieter tatsächlich erfordert. Die vielen guten Gründe der Anbieter für ein (leider) schlechtes Produkt interessieren den Kunden einfach nicht.

Schaue ich in den Online-Handel, lag da ein gravierendes Problem vor: Eingabe von Kartendaten, Gültigkeitsdatum, Kartenprüfnummer und am Ende noch 3D Secure ist dem Kunden auf dem Mäuseklavier des Smartphones nicht zuzumuten. Andere Anbieter mit One-Click-Zahlungen am Smartphone haben diese Defizite verbessert und die Grundlage für das imposante Wachstum des mobilen E-Payments geschaffen. Der Handel hat dies noch forciert, da die Abbruchraten deutlich gesunken sind.

Welche Hindernisse stehen Mobile Payment in Deutschland im Weg? Sind es wirklich vor allem Sicherheitsbedenken und die Angst vor Datenmissbrauch, wie es in der PwC-Studie steht?
  • Sicherheitsbedenken sind meines Erachtens eine alte Mär und oft ein vorgeschobenes Argument. Wenn Sicherheitsbedenken und Datenschutz ein so gravierendes Element für das Kundenverhalten wären, nutzten die Deutschen kein Whatsapp, Facebook und Android-Telefon. Man denke ferner an die vielen gescheiterten Versuche, über das Thema „Sicherheit und Datenschutz“ als einzige Differenzierung Kunden zu gewinnen.

Wer kennt noch Studi-VZ, die mit „deutschem Datenschutz“ versuchten, gegen Facebook anzukommen, oder die hochsichere DE-Mail, ePost-Brief vs. der unsicheren E-Mail. Allesamt gescheitert!

Fragt man Kunden, sagen diese immer, dass Datenschutz und Sicherheit wichtig sind. Nur verhalten sie sich nicht danach. Datenschutz und Sicherheit sind „Hygienefaktoren“, die man ohnehin unterstellt.

Beim Blick über den Tellerrand – wie sieht die Lage denn außerhalb Deutschlands, zum Beispiel in den anderen europäischen Ländern aus?
  • Die skandinavischen Länder sind deutlich weiter, Polen ist auch deutlich weiter. Warum? Das sind Märkte, die Innovationen ohnehin deutlich aufgeschlossener sind. „Mobile Banking“ war in den skandinavischen Ländern durch die Distanzen und Affinität zu Mobiltelefonen über alle Altersgrenze ein Standard, während hier nur eine Minderheit das nutzte. Die Europäer sind je nach Land unterschiedlich und eben auch bei Innovationen im Zahlungsverkehr.
Bei welchen (neuen) Playern rechnen Sie damit, dass sie Schwung in den Markt bringen?
  • Ich verspreche mir weiter sehr viel von Apple, Android und Samsung mit ihren Payment-Angeboten. Grund: Enge Verzahnung in die jeweiligen Ökosysteme und einen ganzheitlichen Ansatz im Zahlungsverkehr: Online, In-App, Stationär und Wearables, aber auch Voice-Payments. Ferner finde ich die Ansätze wie Payback Pay oder Bluecode sehr gelungen. Hier wird vom Display des Telefons ein Barcode abgelesen. Payback verbindet Zahlungen mit den Rewards und BlueCode verfügt über eine direkte Schnittstelle aufs Konto in die Bankensysteme.

Betrachte ich mir die Expansion von Alipay nach Europa und die damit verbundenen Umsatzsteigerungen im deutschen Handel durch chinesische Touristen, erwarte ich auch hier auch weitere deutliche Steigerungen in den kommenden Jahren.

Und wie dürften sich die Einführungen von Instant Payment oder P2P-Payments auf das Zahlverhalten der Deutschen auswirken?
  • Ich erwarte von P2P-Payments eine deutliche Expansion. Wir haben bereits etliche Start-ups in dem Bereich, aber auch die Kreditwirtschaft ist schon vertreten, wenn ich z.B. an die Sparkassen mit Kwitt denke. P2P-Transaktionen im Ausland haben sich längst von Zahlungen zwischen Privatpersonen auf Zahlungen auch im gewerblichen Kontext verlagert – man denke an Flohmärkte – auch das ist Mobile Payment.

Von Instant Payment wird sich viel versprochen, vor allem im Kontext PSD2. Hier bin ich persönlich skeptischer, denn „instant“ ist nicht „instant“ sondern de-facto 10 Sekunden. Diese Settlement-Dauer ist für die meisten Anwendungsfälle im Handel schlicht (noch?) zu lange.

Wer hat Ihrer Meinung nach die größten Chancen, Mobile Payment in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen?
  • Wenn ich das so präzise vorhersagen könnte… Ich glaube weiter stark an die Ökosysteme von Apple und Google, aber auch die beiden können nicht zaubern, wie man aus anderen Ländern sieht. Nur weil Apple und Google in den Zahlungsverkehr eingestiegen sind, rennen ihnen die Nutzer nicht automatisch die Türen ein.

Autor

  • Nicole Nitsche ist studierte Theaterwissenschaftlerin und hat mehrere Jahre als Regieassistentin beim Thalia Theater Hamburg gearbeitet. Danach war Nicole Leiterin der Presse-und Marketingabteilung eines Hamburger Musiklabels. Als klassische Quereinsteigerin hat sie die komplette Kommunikation sowie den Aufbau der Redaktion bei Payment & Banking geleitet und verantwortet. Nicole ist seit August 2021 Geschäftsführerin von Payment & Banking und ist verantwortlich für die Bereiche Struktur, Planung, Umsetzung und Konzipierung von allen Events (z.B PEX, BEX, TRX & CryptX).

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