Investoren werden vorsichtiger, die Fundings kleiner: Wie auch an dieser Stelle berichtet, holt die schwierige Wirtschaftssituation auch die Welt der Insurtech ein. Das muss aber insgesamt nicht schlecht für die Branche sein.

Das Wort Rezession nimmt kein Wirtschaftswissenschaftler gern in den Mund. Und noch halten sie sich mit ihren Einschätzungen zurück. Welche Volkswirtschaft tritt gerade in eine Rezession ein? Oder ist sie vielleicht auch schon da? Unstrittig ist dagegen eine starke Inflation: Beim Einkaufen bemerkt gerade jeder deren Auswirkungen. Das muss zwangsläufig das Investitionsklima und die Laune von VC-Gebern beeinflussen. 

Weniger Geld in kleineren Runden

Das, worüber wir am Jahresanfang berichtet hatten, nämlich den Einbruch der Investitionen in den Insurtech-Bereich, hat sich auch im zweiten Halbjahr fortgesetzt. Zwar ist die Summe der Fundings wieder gestiegen, bleibt aber immer noch weit unter dem Niveau der Vorjahre. Die Funding-Runden werden kleiner. 

Bisher gab es in den Startups in der Versicherungswelt insgesamt noch keine großen Entlassungswellen. Vor wenigen Tagen kündigte Luko zwar an, Stellen abbauen zu wollen. Hier spielt das Umfeld sicherlich auch eine Rolle, allerdings ist ein Verlust von Arbeitsplätzen im Rahmen einer Fusion nicht völlig ungewöhnlich. Aber in Analogie zu den Ereignissen in der Fintech- und Krypto-Welt ist es vielleicht nicht falsch, von einem „Insurtech-Winter“ zu sprechen. 

Die dunkle Jahreszeit wird einige Insurtech ohne Zweifel treffen, aber insgesamt der Branche guttun. 

Insurtech müssen jetzt liefern

In den vergangenen Jahren war das „Erfolgsrezept“ in Insurtech so: Man löse sich von tradierten Prozessen der Versicherungsgesellschaften, implementiere agile Arbeitsmethoden und schnappe sich einen modernen Technologie-Stack mit viel Cloud, Containerisierung und APIs. Dann ein einfach zu versicherndes Risiko in den digitalen Prozess einbetten und ganz viel von „Disruption“ reden. Und wenn die ersten Kund:innen da sind, genau dieses steile Wachstum betonen. Das Risikokapital floss da nun fast von allein. 

Das Problem wurde an dieser Stelle schon thematisiert: Wachstum ist schön und gut. Nur wenn der ganze Laden letztlich nur deshalb läuft, weil der Kapitalgeber für die versicherungstechnischen Verluste aufkommt, wäre das nur dann ansatzweise vernünftig, wenn denn die so teuer erkauften Marktanteile richtig groß wären.

Sind sie nur eben leider nicht: Gemessen an den abgeschlossenen Verträgen befinden sich Insurtech in einer Nische mit einstelligen Marktanteilen. Und wir befinden uns ja wahrlich nicht mehr im Jahr 1 der Insurtechs. Wenn in einem Segment die tradierten Anbieter gutes Geld verdienen, aber der Herausforderer sein Wachstum nur durch höhere Verluste erkauft, passt da etwas nicht zusammen. Disruption hin oder her. Das Warten auf einen „Retter“ könnte auch ein bisschen schwierig werden. Denn so arg attraktiv sind die Bestände auch nicht. 

Dieser Ansatz war insofern schon immer ungerecht gegenüber all den Gründungen, die sich nicht auf B2C oder B2B2C konzentrierten, sondern als Lösungsanbieter für Versicherungen positionierten. Denn die hatten es vorher schon schwer, Geld aufzutreiben. 

Kurzum: Insurtechs müssen jetzt anfangen, abzuliefern: Statt abstrakte Marktanteile zu erobern und offenbar unprofitable Bestände zusammenzuklauben, müssen sie beweisen, wann sie rentabel sein werden. Oder zumindest den Plan vorlegen, wann denn ein Break-even erreicht wird. 

Einige Gründer:innen sollten sich vielleicht auch besser wünschen, dass ihre ersten Pitch-Präsentationen niemals auftauchen. Denn die darin getroffenen Zeitpunkte dürften mithin alle verstrichen sein. Und das Covid-Argument als Ursache für zeitliche Verschiebungen dürfte vermutlich nicht mehr lange ziehen. 

Problematisch wird der Insurtech-Winter also in erster Linie für alle die, die auf „Wachstum um jeden Preis“ setzen und weiter auf die große Disruption warten wollen. Die Investoren und Aktionäre gehören dazu jedenfalls nicht mehr. 

Beginn „goldener Zeiten“ für VC?

Diesen Satz von Hesse wollte ich schon immer mal schreiben: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Denn was für den einen der fortschreitende Winter, ist für den anderen der Vorbote des nahenden Frühlings. Und VC-Unternehmen mit ihren Fonds haben jetzt die Möglichkeit, viel billiger Anteile zu erwerben. Das trübt zwar ein wenig die Laune der Gründer:innen, aber es ist auch nicht gerade so, als machten Beteiligungsgesellschaften und Inkubatoren einen großen Bogen um das Thema Insurtech. Und wenn dann das Geld in Unternehmen fließt, die auf Rentabilität setzen und eine echte Lösung im Angebot haben, statt die x-te Versicherung zu entwickeln, die die Kund:innen gar nicht brauchen, oder die es von tradierten Gesellschaften schon seit Ewigkeiten gibt, wird die Branche am Ende besser denn je dastehen.

Bedarf wäre ja nach wie vor da

Technische Innovationen für Versicherungen in einer komplizierten Welt wären ja gefragt. Die Assekuranz sucht Antworten auf technologische Entwicklungen wie DLT oder globale Herausforderungen wie den Klimawandel. Es gäbe also genug zu tun, im Backend und auch Frontend. So hat EPAM seinen Insurance-Report neu aufgelegt. Und das Ergebnis ist für die deutsche Versicherungswelt immer noch nicht schmeichelhaft. 

Der Insurtech-Winter ist da, jetzt gilt es sich auf den Frühling vorzubereiten.

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