Marcus W. Mosen kommentiert Payment- oder Bankingthemen u.a. bei Finanz-Szene.de und erfreut seine Follower auf twitter (@mwmosen) mit pointierten Beiträgen zu Payment, Fintech oder Politik. Ab sofort finden Sie bei uns monatlich seine Gastkolumne zum aktuellen Geschehen im Payment, Banking & Co.
2020 – ein Schlüsseljahr für den europäischen Zahlungsverkehr?
Als „Schlüsseljahre“ bezeichnet man solche, in denen überaus wichtige, meist sogar epochal bedeutende Dinge geschahen, die die Zukunft nachhaltig beeinflussten. Ob einem unterjährigen Ereignis die Bedeutung beigemessen werden kann, dass es – meist retrospektiv betrachtet – den Status eines „Schlüsseljahrs“ erreicht, legt die Messlatte für ein solches Ereignis sehr hoch – um so mehr, wenn man das „Schlüsseljahr“ bereits ausruft, bevor es überhaupt begonnen hat….
Die Ansage von Bundesbanker Burkhard Balz bei einer Bankenkonferenz im Dezember, dass 2020 ein „Schlüsseljahr für den europäischen Zahlungsverkehr“ wird, versetzt mich daher ins Grübeln, welches Ereignis diese „epochale“ Qualität haben soll, und bietet gleichzeitig einen willkommenen Anlass nachzudenken, ob es in den letzten beiden Jahrzehnten meines Paymentlebens nicht vielleicht schon solche Ereignisse gegeben hat.
Non-Event zum Millenium
Seit meinem Eintritt in den bargeldlosen Zahlungsverkehr, Anfang 1999, sind mir einige Situationen in Erinnerung geblieben, die die Branche sehr beschäftigt haben. Starten wir mit dem Jahrtausendwechsel – eine enorme Herausforderung für jeden Payment-Dienstleister. Ich war damals bei der GZS (Gesellschaft für Zahlungssysteme) beschäftigt und bekam – wie alle übrigen Kolleginnen und Kollegen – von der Geschäftsführung symbolhaft einen Digitalwecker geschenkt, der mit einem Countdown auf 24:00 Uhr am 31.12.1999 eingestellt war.
Die Anspannung auf das, was um 00:01 Uhr am 01.01.2000 wohl geschehen wird, war damals in der Branche enorm. Aber als es so weit war, blieb alles ruhig: keine bemerkenswerten technischen Hickups, alle Zahlungen wurden autorisiert – alles so wie immer. Das Event wurde zum non-Event – zumindest aus Payment-Processing Sicht.
Gab es im europäischen Zahlungsverkehr in den letzten beiden Jahrzehnten ansonsten große, disruptive Entwicklungen? Vielleicht die Umsetzung der Zahlungsrichtlinie „PSD“ (2007) und ihre Überarbeitung „PSD2“ (2018)? Oder die Einführung des SEPA-Mandats (2012) mit der allseits „beliebten“ 22-stelligen IBAN (2016)? Wenn wir ehrlich sind nicht wirklich! Alles entwickelt(e) sich seit Jahrzehnten eher in einem evolutionären Modus, radikale Veränderungen oder Innovationen blieben aus. Projekte mit revolutionärem Potential wurden nach kurzer Zeit von der „Brüsseler Eurokratie“ im Keime erstickt, z.B. das Projekt Monnet (2011), oder sie fanden in der Wahrnehmung vieler gar nicht erst statt.
Durchbruch von Mobilepayment
Aber etwas hat sich 2019 in unserer Branche, insbesondere im digitalen Payment, verändert: Mobilepayment ist angekommen – im Handel und bei den Konsumenten. Diesen Durchbruch verdanken wir unbestritten Apple Pay. Und die Digital-Currencies stehen ganz oben auf der Agenda – nicht nur bei Facebook, sondern dank Facebook. Alle (meist westlichen) Regierungen und Zentralbanken bangen um ihre Hoheit über die Währungspolitik. Die Ankündigung von Libra war für viele ein Schlüsselerlebnis. Denn jetzt wissen sie, dass Kryptowährungen mehr sind bzw. sein können, als nur das Zocken mit Bitcoins. Und in den Expertennetzwerken ist klar, dass die Umsetzung der PSD2 eine wesentliche Voraussetzung ist, um den Mythos „Daten – Gold des 21. Jahrhunderts“ endlich real werden zu lassen und das dieses „Datengold“ nun geschürft werden kann.
Vermutlich war eine gesunde Portion „sich selbst erfüllender Prophezeiung“ dabei, als Burkhard Balz seine Ansage machte. Denn die Erkenntnis, dass in Deutschland bargeldlose Transaktionen auch 2020 um 8-10 % zunehmen werden, ist leicht empirisch zu belegen und daher kein Blick in die Glaskugel mehr.
Und dass das mobile Bezahlen seinen „Kick“ dazu beitragen wird, überrascht auch niemanden mehr. Aber damit sind auch diese Entwicklungen nicht mehr „Schlüsseljahr“-fähig.
Große Hoffnung auf ein „Schlüsseljahr“ scheinen wohl eher die Projekte #PEPSI und #DK auszulösen. Hier ist die Erwartung, dass die nationale Girocard mit Paydirekt verschmolzen, für Apple Pay befähigt und das Ganze schlüsselfertig in ein Instant Payment basiertes neues Scheme eingebracht wird, das im Wettbewerb (oder doch in Co-brand?) zu MasterCard und Visa (be)steht. Und das natürlich mit einer europäischen Dimension und Akzeptanz!
Wer übernimmt die Schlüsselrolle?
Nebenbei erwägt die EZB selbst den Einstieg in die Krypto-Branche mit der Schaffung eines eigenen Stablecoins, zumindest für Payments im B2B. Das P2P-Payment soll erst einmal bei den altbewährten Zahlungslösungen bleiben. Sonst könnte man aus #PEPSI ja direkt einen Stablecoin in einem EZB-Wallet machen. Aber das wäre zu revolutionär. Die Latte hängt hoch. Die erfolgreiche Umsetzung von all dem hätte wirklich „Schlüsseljahr“-Potential. 2020 muss zunächst geklärt werden, wer die Schlüsselrolle bei der Herausgabe eines digitalen Euro einnimmt. Sind dies die Banken, die nationalen Währungshüter oder doch besser direkt die EZB? Das wird Politiker aller Fraktionen beschäftigen – auch in dem ein oder anderen Hinterzimmer.
Bankvorstände haben bei einem schwierigen Kerngeschäft, u.a. aufgrund anhaltend niedriger Zinsen, sicherlich andere Prioritäten, als über konkrete Investitionsentscheidungen für das Issuing von digitalen Coins oder die Schaffung eines europäischen Paymentscheme nachzudenken, geschweige denn dort signifikant zu investieren. Alleine die Entscheidungen rund um das Projekt #DK befüllen die Tagesordnungen vieler Gremien schon ordentlich. Ein Blick durch das ein oder andere Schlüsselloch der Tagungsräume wäre sicherlich recht unterhaltsam.
„Ein Blick durch das ein oder andere Schlüsselloch der Tagungsräume wäre sicherlich recht unterhaltsam.“
Das Dilemma ist jedoch, dass auch 2020 die gamechanging GAFA’s mit ihren globalen Schlüsselpositionen bei allem mitspielen werden. Für diese Unternehmen ist Europa ein Schlüsselmarkt und deren Ankündigungen zu neuen Produkten machen (fast) jedes Jahr zu einem Schlüsseljahr. Vielleicht war daher schon 2019 ein Schlüsseljahr, weil sich die deutschen Banken der Zusammenarbeit mit Apple nicht mehr verwehren konnten und erkennen mussten, dass bereits ein wenig mehr an Kundenorientierung der Schlüssel zu mehr Umsätzen sein kann.
Seien wir also gespannt, wie sich die Zahlungsverkehrslandschaft in Europa und insbesondere in Deutschland in den nächsten 12 Monaten entwickeln wird. Eins ist gewiss: die zunehmende Anzahl von Presseartikeln und Tweets zu diesen Themen macht deutlich, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr ein wesentlicher Faktor im globalen Handel darstellt und damit eine Schlüsselrolle bei vielen neuen Geschäftsmodellen einnimmt.
Und in der Zwischenzeit gilt: Autorisiert wird immer, der GZS-Wecker tickt weiter unbeirrt auf meinem Nachttisch, nur mit einem neuen Countdown: den zum nächsten Schlüsseljahr?
Zur Person Marcus W. Mosen
Marcus W. Mosen, Babyboomer aus dem Spitzenjahr, kommentiert Payment- oder Bankingthemen u.a. bei Finanz-Szene.de und erfreut seine follower auf twitter (@mwmosen) mit pointierten Beiträgen zu Payment, Fintech oder Politik. Mosen hatte nach BWL-Studium in Koblenz und Birmingham seine ersten berufliche Stationen bei der Treuhandanstalt in Berlin und bei einem Telekommunikationsunternehmen in Düsseldorf. Seit 1999 hat er an verschiedenen Schaltstellen der deutschen und europäischen Paymentbranche die Entwicklungen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs aktiv mitgestaltet.
Strategisches Wachstum, Expansion oder Transformationen ziehen sich als roter Faden durch sein Paymentleben. Seit einigen Jahren engagiert er sich als Business Angel bei Fintechunternehmen. Zu seinen aktuellen Engagements gehören Advisortätigkeiten bei Roland Berger und Raymond James sowie Beiratsmandate bei N26 Bank, Sparkdata.com und Adtelligence.com. Sein Lebensmittelpunkt ist seit einem Jahrzehnt die rheinische Metropole Köln.