Immer weniger Aktien-Trades: Steht das Geschäftsmodell der Neobroker vor dem Aus?

In ihrem Personal Finance Report 2021 zeigten sich die Zahlenexperten aus dem Hause Statista noch optimistisch. Mehr als 132 Millionen Euro sollten 2022 über die virtuellen Handelstische der deutschen Neobroker wandern. Doch von solchen Wachstumszahlen ist die Branche aktuell weit entfernt.

Bereits im Januar zeigten die Daten des Deutschen Aktieninstituts, dass die Zahl der deutschen Aktionäre nach dem kurzen Corona-Hoch im Jahr 2021 wieder leicht sank. Viele von denen, die noch ein Depot haben, halten jetzt bloß ihre Aktien. Die rückläufige Zahl der Trades führt zu sinkenden Einnahmen.

Angesichts von Inflation, Rezession und Energiekrise sitzt das Geld der Privatanleger eben nicht mehr ganz so locker, wie viele Experten noch vor einem Jahr prognostizierten. Wie sehr sich die Anleger zurückhalten, erkennen wir unter anderem bei einem Blick auf die aktuellen Geschäftszahlen der Wertpapierhandelsbank Tradegate.

Handelsvolumen deutlich gesunken

Während Tradegate im ersten Halbjahr 2021 noch Rekordumsätze bei alten und neuen Depotkunden verzeichnen konnte, sank das Handelsvolumen in den ersten sechs Monaten 2022 um mehr als 13 Prozent auf 173,5 Milliarden Euro. Im zweiten Quartal ging es besonders drastisch runter. Der Rückgang im Vergleich zum Vorjahresquartal belief sich auf 22 Prozent. Letztlich erwirtschaftete die Bank 63,7 Milliarden Euro.

Und auch die Margen kamen unter die Räder. Das Management um den Vorstandsvorsitzenden Holger Timm verweist zur Begründung darauf, dass sich der Markt lange Zeit seitwärts bewegt habe. Zudem habe der Wettbewerbsdruck deutlich zugenommen. Eine halbwegs exakte Prognose traut sich der Tradegate-Vorstand angesichts des aktuell schwierigen Marktes nicht zu. Jedoch sei eine deutliche Verbesserung im zweiten Halbjahr nicht zu erwarten.


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Die Konkurrenz hat darauf schon reagiert. FlatexDegiro, der Mutterkonzern des Online-Brokers Flatex, kürzt bereits seine Marketing-Ausgaben angesichts des schwächelnden Neukundengeschäfts. Grund sei, dass sich der „Durchschnittsbürger nicht wirklich für die Kapitalmärkte“ interessiere zurzeit, sagte Finanzchef Muhamad Chahrour beim Analysten-Call am 19. Oktober. Das verbliebene Marketing-Budget wolle man mittelfristig nur noch für die Akquise hochwertiger Kunden ausgeben, also für „Kunden, die bereits auf der Suche nach einem Neobroker sind“. Schnellschüsse ins Blaue hinein erscheinen in der aktuellen Marktlage verfehlt. Jeder Versuch muss treffen. Hier sei man schon auf einem guten Weg, betonte das Management. Schließlich seien die Einlagen der Kunden im dritten Quartal deutlich weniger gesunken als die großen Börsenindizes.

Kommt nun die große Marktkonsolidierung?

Wenn wir den Aussagen des FlatexDegiro-Vorstands glauben, wären Merger derzeit wenig ergiebig. „Es würde keinen Sinn ergeben, unser Eigenkapital zu verwenden, um teure Kunden zu kaufen“, sagte der Vorstandsvorsitzende Frank Niehage im Analysten-Call. Es sei auch künftig einfacher, organisch zu wachsen. „Wir sehen also keine Notwendigkeit, etwas zu ändern.“ Auch nicht an den Preisen. Schließlich bietet FlatexDegiro seinen Kunden bereits Geldanlagen zu Nullkosten.

Wohin die Reise in den kommenden Jahren gehen könnte, lässt sich erahnen, wenn wir einen Blick über den großen Teich werfen. Der US-Online-Broker Robinhood gab bereits drastische Personaleinschnitte um mehr als 23 Prozent bekannt. Laut US-Medien mussten schon etwa 780 Mitarbeiter ihre Sachen packen. Operativ sieht es mau aus. Im zweiten Quartal 2022 türmte sich ein Fehlbetrag von 295 Millionen US-Dollar auf. Die Einnahmen fielen gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 44 Prozent auf 318 Millionen US-Dollar. Das blieb an der Börse nicht folgenlos. Seit dem Börsengang am 29. Juli 2021 rauschte die Robinhood-Aktie um 71 Prozent in den Keller. Selbst die US-amerikanische Tech-Investorin Cathie Wood verkaufte vor wenigen Wochen zahlreiche Anteilsscheine, insgesamt 646.000 Stück. Robinhood macht jetzt nur noch 2,3 Prozent ihres Portfolios aus.

Und es geht noch weiter. Selbst so manche Insider, also Robinhood-Manager der obersten Riege, glauben derzeit anscheinend nicht mehr so recht an das Potenzial des Geschäftsmodells. So übte Chief Operating Officer Gretchen Howard vor wenigen Tagen ihre Optionen zum kostenlosen Kauf von 32.000 Aktien aus und verkaufte diese danach prompt am Markt für 10,10 US-Dollar pro Stück. Insgesamt verkauften Robinhood-Insider in den letzten zwölf Monaten deutlich mehr eigene Aktien, als sie kauften.

Fazit

Das Geschäftsmodell der Neobroker steht mittelfristig unter Druck, keine Frage. Momentan gilt es, den Börsen-Hype während der Corona-Pandemie zu verkraften und wieder zu einem normalen Geschäft zurückzukehren. Zudem darf bezweifelt werden, ob es überhaupt Sinn ergibt, auf diesem Markt noch mit einem echten Gebührenmodell anzutreten. Dafür ist der Preiskampf einfach zu hart. Jetzt aber die ganze Zunft abzuschreiben, greift viel zu kurz. Die Durststrecke an den Börsen ist sicherlich noch lange nicht vorbei. Doch langfristig stehen die Chancen gut, dass die Sorge um die Rente viele neue Kunden an die Gestade der Neobroker spülen wird.

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Autor

  • Die studierte Soziologin und Medienwissenschaftlerin beobachtet, analysiert und schreibt als Journalistin seit vielen Jahren über die Startup- und Fintechszene. In der Vergangenheit arbeitete sie für führende on- und offline Gründer- und Wirtschaftsmedien im In- und Ausland, moderiert und schrieb mit Kollegen ein Buch über Unternehmen im Ruhrgebiet. Seit 2019 arbeitet sie für Payment & Banking, seit 2020 ist sie festes Redaktionsmitglied und ist in dieser Position verantwortlich für alle Themen Content, Planung und Entwicklung neuer Medienformate. In ihrer Zeit bei Payment & Banking ist sie zudem eine eifrige Podcasterin geworden.

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