Identity Made in Europe

Identity Made in Europe

In den letzten Tagen hat die EU Kommission, für den einen oder anderen überraschend, ihre Pläne für ein gemeinsames Identity Framework auf Basis von Self Souvereign Identity für den europäischen Wirtschaftsraum vorgestellt. Nach dem Start eines Projekts in Deutschland – getrieben durch das Kanzleramt und das BMWi – die zweite Aktivität seitens der öffentlichen Hand innerhalb kurzer Zeit.

Was sehen wir hier gerade?

Ist der Staat plötzlich der Innovator oder eher Bereitsteller einer Basis Infrastruktur und eher der Katalysator in der Adaption?

Wenn wir mal zurück schauen, dann ist es ja nicht so, als sei es der erste Versuch. Im Gegenteil, das Thema Identity ist eher ein Running-Gag oder netter gesagt ein Marathonlauf.

Was bisher in Deutschland unter anderem geschah (in Stichworten):

Vor allem das privatwirtschaftliche Video Ident war sicher ein Riesensprung. Allerdings ohne die Nutzung von echten Online Ident Verfahren – vielmehr wurde ein eher analoger Prozess durch smarte Technik enabled.

In Summe sind es aber noch viele Inseln – häufiger auch zu viele Kopfgeburten (das muss doch klappen) und zu wenig Anwender getriebener Pragmatismus. Am erfolgreichsten sind dabei bisher die echten Demand-getriebenen Aktivitäten wie Video-Ident.

Wenn man sich in Europa umschaut, sind wohl die ‘Nordics’ ein Vorbild in Anwendung und Nutzung (woher kommt nochmal die zuständige Kommissarin in Brüssel ;-)). Wir haben das erfolgreiche Modell aus Schweden im Podcast schon vor Jahren einmal besprochen.

Identity Made in Europe

Der Blick nach vorn

Wenn wir jetzt über den kommenden Schritt nachdenken: Worauf wird es beim nächsten (ggf letzten?) Versuch beim Thema smarte Identity-Lösungen „made in Europe“ ankommen?

  • keine nationalen Lobbykämpfe
  • eine harmonische europäische Lösung
  • keine Arbeitskreise aus Interessenvertretern um ein Kundenprodukt zu schaffen
  • kein basisdemokratisches Produktmanagement
  • Geschwindigkeit
  • Pragmatismus
  • Private/Public Partnership
  • die Auswahl der richtigen Use Cases
  • die Verzahnung mit anderen, angrenzenden Infrastrukturthemen wie EPI und dem D-Euro
  • unternehmerische Denke – ein möglicher Business Case als Anreiz
  • echter Kundenutzen
  • branchenübergreifendes Denken / Vorgehen

Was wir eher nicht sehen wollen:

  • Edge Cases die als Lösung und Durchbruch verkauft werden
  • unrealistische Anforderungen an Sicherheit die zu Edge Cases führen
  • nationale Alleingänge
  • bestehende halbgute Lösungen als Zielbild verkaufen
  • schlechte Kompromisse
  • Produkt Management durch Gremien
  • fehlende Kundendenke – “Produkt ist da – weil es da ist”
  • fehlende Unternehmerische Denke

Woraus können wir lernen?

  • aus den Versuchen im Paymentbereich – sei es hinsichtlich eines neuen massentauglichen Produktes – als auch über die Versuche, Produkte politisch in den Markt zu drücken.
Ich habe das Team einmal um seine Meinung gefragt:

Kilian Thalhammer

Identity Made in Europe

Das ist die vermutlich größte Chance in den nächsten 10 – 20 Jahren, um einen europäischen Player im Identity Play zu schaffen – und damit GAFAM, BAT et al in die Schranken zu weisen. Es ist auch eine Chance, um zu zeigen, dass politische Initiativen keine Rohrkrepierer sein müssen, dass Europa im digitalen Bereich auch „Tech und Produkt“ kann. Es ist ein Signal dafür, dass man gelernt hat, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, statt jeder national. Wir sind noch nicht zu spät.

Daher bin ich in diesem Zusammenhang „slightly positive”. Mit EPI gibt es eine parallele Initiative, die nach Synergien und Learnings nur so schreit. Wichtig ist es jetzt zu zeigen, dass Lösungen wirklich beim Kunden/Nutzer/Wähler ankommen und nicht nur irgendwelche Beschlüsse aus Brüssel bleiben.

Wie so oft ist der Kundennutzen die Kernfrage: wann und wo wird sie zum Einsatz kommen? Wie gestaltet sich die Verbindung zum “Rest des digitalen Ökosystems”. Wird der Prozess sogar mehrstufig sein und damit auch gegen die “Login by Google et al” ankämpfen oder findet der Markteintritt über “Government Serivces” statt. Immerhin wäre das ein nicht zu vernachlässigender Hebel. Und was ist eigentlich mit der Datenbreite und wo kommt Payment als Partner in Crime ins Spiel? Es gibt noch viele offene Fragen und die „Wiese noch ziemlich grün“. Mein Wunsch ist es, dass alle offen denken und sich nicht durch politische oder „Legacy“ Denkverbote behindern lassen.

Maik Klotz

Chance hin oder her, die für mich spannende Frage ist vielmehr über was reden wir. Identität hat so viele verschiedenen Facetten und je nach Case brauche ich eine echte digitale Identität a la Personalausweis oder eine echte digitale Unterschrift im Sinne von nasser Unterschrift. Aber wie oft kommt das vor und erinnere ich mich dann an die europäische Identity-Lösung nach dem ich vorher hunderte Male Login with Apple oder Google Login genutzt habe? Ich sehe hier eine Analogie zum Payment Markt und glaube es wird eine europäische Lösung geben. So wie es mit der Girocard ein deutsches Kartenscheme gibt, wird es eine Identity Scheme made in Europa geben.

Das Frontend dazu wird von den üblichen Verdächtigen kommen: Google und Apple. Auf der WWDC21 hat Apple gezeigt wohin sie mit der Wallet gehen möchten und der nächste Schritt sind ID-Cards. Dazu gibt es natürlich ein Framework und die ersten US-Staaten wollen genau das unterstützen. Am Ende ist es also die Google oder Apple Wallet in der ich meinen Ausweis, Führerschein oder was auch immer finde. So wie es heute schon mit Kreditkarte, Girocard, Boarding-Passes und Tickets der Fall ist.

André Bajorat

Ich glaube, es ist eine Riesenchance für Europa hier Vorreiter zu sein und nicht nur wie bei der DSGVO wegweisende Normen zu definieren, sondern eine technische Infrastruktur für selbst verwaltete Identitäten zu ermöglichen.

„Eine Riesenchance für Europa, hier Vorreiter zu sein.“

Die Infrastruktur sollte offen sein für Player die sich an die Regeln und Werte halten und es muss Platz sein für Geschäftsmodelle auf dieser Basis. SEPA hat es in Teilen vorgemacht was möglich ist und wir können zudem aus den Fehlern der PSD2 lernen. Richtig gemacht haben Europa und Unternehmen die oben erwähnte Riesenchance hier Game-Changer-Produkte zu schaffen, die auf europäischen Werten fußen.

Fazit

Wir können gespannt sein auf die kommenden Monate. Es ist Dynamik in ein eher sprödes Thema gekommen und wir werden sehen, ob es wieder ein GAFA Game oder doch ein neutrales wird.

Autor

  • André M. Bajorat ist seit fast 30 Jahren in der deutschen Digitalwirtschaft zu Hause. Über die Stationen SK Online, Star Finanz, giropay und Number Four kam er 2012 als Business Angel zu figo. Das Unternehmen führte er von 2014 bis September 2019 als CEO von einer b2c App zu einem von der BaFin regulierten Banking as a Service Provider. Seit 2020 ist er Teil des deutsche Bank Konzerns und seit Mitte 2022 Managing Director bei einem deutschen Assetmanager. Er ist zudem Gründer und Herausgeber des erfolgreichen Branchen-Portals paymentandbanking.com, Podcaster, Investor (figo, Finleap, Loanlink, Sparkdata, Weddyplace, nufin, portify, moss, compa, brygge, embeddedcapital, PlanetA, Naro), Mitglied im Digital Finance Forum des Bundesfinanzministeriums, aktives Mitglied im Bitkom, Herausgeber des Buches “Köpfe der digitalen Finanzwelt” und international gefragter Speaker. Inhaltliche Schwerpunkte sind Banking, Payment, FinTech, API-Banking, digital Assets und Crypto. Außerdem ist er Mit-Initiator und Ausrichter der Wahl zum „FinTech des Jahres” sowie der Eventreihen Bankathon, Payment Exchange, Banking Exchange und Transactions.io.

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