Vor sieben Jahren hat Mathias Knecht gemeinsam mit Aiga Senftleben das Fintech Billie gegründet. Im Rückblick nennt er das eine rasante Achterbahnfahrt, genauso wie den Wechsel zum neuen Geschäftsmodell: Buy Now Pay Later im B2B-Bereich. Im Fragebogen blickt er auf den „Wilden Westen“ in Berlin zurück, berichtet über seinen Weg in die Fintech-Welt und verrät ein nerdiges Detail seines Tascheninhalts.
Wer bist du, was machst du?
Ich bin Matthias, Mitgründer und Co-CEO des B2B-Payment-Anbieters Billie. Vor mehr als zehn Jahren habe ich McKinsey verlassen, um mit meinem Mitgründer Christian Grobe unser erstes Fintech-Startup zu gründen. Bereits nach zwei Jahren hatten wir, ein wenig ungeplant und ziemlich spontan, unseren ersten erfolgreichen Exit. Kurz darauf, Ende 2016, haben Christian und ich uns wieder zusammengetan und gemeinsam mit Aiga Senftleben und weiteren Mitgründern Billie gegründet, rückblickend eine ziemlich rasante Achterbahnfahrt. Ich bin mit meiner wunderbaren Frau verheiratet und habe drei liebenswerte sowie ziemlich energiegeladene Söhne.
Wie sieht ein klassischer Tag in deinem Leben aus?
Auch wenn das klischeehaft klingt: Einen wirklich klassischen Tag gibt es bei mir nicht.
Zu Hause starte ich mit meiner Frau und meinen drei Söhnen gemeinsam in den Tag. 6:20 Uhr aufstehen, da die Schule schon um 7:40 Uhr startet. Bis dahin haben wir alle Hände voll zu tun: Frühstück, Pausenbrote, Zähneputzen, zusehen, dass alle Pullis und Hosen richtig herum angezogen sind, und raus aus dem Haus. Trotz des Familienchaos morgens sind wir mittlerweile ziemlich routiniert.
Bei Billie sind die Inhalte meiner Tage immer komplett verschieden: Von Strategiethemen und Management Meetings, über Diskussionen mit unserem Board und unseren Partnern, speziellen Themen im Risikomanagement, Operations, Product oder Engineering, bis hin zu Kundengesprächen oder der Vorbereitung anstehender Konferenzen ist alles dabei. Wir haben eine starke und erfahrene zweite Führungsebene und ich versuche, so viel Verantwortung zu delegieren wie möglich. Trotzdem bleibt eine ganze Menge bei uns Gründern hängen. Gerade wegen der Vielzahl an Themen versuche ich, zumindest die Struktur meiner Woche möglichst konstant zu halten: Management Meetings und 1:1s mit meinem C-Level Team finden immer zur gleichen Zeit statt. Das gibt Planungssicherheit in einem ansonsten turbulenten Umfeld.
Wie begeisterst du andere Menschen von deinem Job?
Unternehmertum ist ansteckend. Die Energie, die Freiheit, zu bauen und zu gestalten, die hohe Schlagzahl, die Möglichkeit, an vorderster Front Innovation zu treiben: Ich kann mir wenige Jobs vorstellen, bei denen mein Energielevel auf solch einem hohen Niveau sein könnte. Ich weiß aber auch, dass jeder im Job etwas anderes sucht, ganz eigene Ziele verfolgt. Ich liebe, was ich tue. Aber ich versuche wirklich niemanden, von meinem Job zu überzeugen. Ich habe großes Verständnis dafür, dass jeder ganz unterschiedliche Bedürfnisse hat und die persönliche Zielfunktion im Blick behalten muss.
Wie definierst du Erfolg?
Meine Einstellung zu diesem Thema hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Erfolg ist für mich etwas sehr persönliches, ziemlich facettenreich und daher schwierig auf einfache Faktoren zu reduzieren. Ich versuche es mal: In meinen jungen Jahren als Gründer war das Start-up-Mantra ziemlich einsilbig: bauen, skalieren, verkaufen. Schnelle Exits waren häufig das Ziel, vollmundige Versprechungen an der Tagesordnung. 2013, 2014, 2015 – das war der Wilde Westen in Berlin.
Rückblickend haben wir viele Fehler gemacht und waren ziemlich naiv.
Nach vielen Jahren als Unternehmer und nach meinem ersten Exit hat sich mein Blick darauf verändert. Beruflicher Erfolg ist für mich heute, ein langfristig erfolgreiches und resilientes Unternehmen zu bauen, das außergewöhnlichen Mehrwert schafft. Unsere Mitarbeiter wachsen zu sehen und ihnen die Möglichkeit für echte persönliche Weiterentwicklung zu geben. Einige unserer Alumni haben mittlerweile eigene, sehr erfolgreiche Unternehmen gegründet. Das ist für mich einer der schönsten Erfolge.
Mit Billie sind wir nun seit sieben Jahren am Start und es ist kein Ende in Sicht. Wir versuchen, die Firma sehr fokussiert, gewissenhaft und mit Weitsicht zu managen, trotz aller Querschläger und Unsicherheiten. Im B2B-Payment-Bereich verändern wir gerade eine ganze Industrie. Das wird lange dauern, aber bietet außergewöhnliche Möglichkeiten.
Was hast du immer in deiner Tasche dabei?
Ziemlich wenig: Laptop, Ladegerät und – jetzt wird’s nerdy – eine Reihe an Supplementen: Unter anderem Protein, Vitamin D, Fischölkapseln, AG1, Kreatin. Meine Frau und meine Mitarbeiter schmunzeln da ein wenig über mich und das ist voll in Ordnung. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit intensiv mit dem Thema Longevity, habe mich da tief eingegraben und versuche, meinen Lebensstil möglichst danach auszurichten. Soweit ich das in meinen Tag eingebaut bekomme, versuche ich, meinen Körper möglichst optimal zu versorgen. Neben regelmäßigem Sport, Schlaf und Ernährung zählen ein paar ausgewählte Supplements für mich mit dazu, die meine Defizite ausgleichen.
Was kann man von dir besonders gut lernen?
Vielleicht das Backen. Während der langen Corona-Monate im Homeoffice habe ich mir das Backen von Sauerteigbrot beigebracht. Für mich das genaue Gegenmodell zum Unternehmer-Alltag. Der Teig braucht unendlich viel Zeit und jeder Versuch, den Prozess zu beschleunigen, führt zu ganz schön miserablen Ergebnissen. Wenn man sich jedoch die Zeit nehmen kann, ist das ein entspannendes Hobby, fast schon meditativ.
#Team Homeoffice oder #Team Büro, warum?
Team Büro, aber mit einer Portion Homeoffice. Ich glaube fest daran, dass zwei zentrale Faktoren sehr wichtig für unsere Zusammenarbeit sind. Und diese funktionieren am effektivsten im persönlichen Austausch: Trust und Collaboration.
Trust bauen wir im persönlichen Miteinander auf, der persönlichen Zusammenarbeit, beim Kaffee in der Küche, bei den Drinks nach Feierabend. Nur die gemeinsame persönliche Zeit lässt uns auf eine tiefere, gemeinsame Ebene kommen und persönliches Vertrauen aufbauen, das in einem fordernden Umfeld so wichtig ist.
Collaboration in Teams kann man heute in vielen Fällen digital abbilden. Wir haben alle Tools zur Verfügung, die es bei meiner ersten Gründung vor zehn Jahren in dieser Form noch nicht gab. Das ist großartig und vereinfacht so vieles. Jedoch ersetzt dies nicht die gemeinsame Diskussion im Teamraum. Die besten Ideen werden zusammen am Flipchart entwickelt. Non-verbale Kommunikation können wir nur im persönlichen Meeting richtig lesen. Wer zieht sich zurück? Wer ist mit der Lösung noch nicht zufrieden? Wer traut sich gerade nicht, etwas beizusteuern? Diese so wichtigen Dynamiken können per Videokonferenz oder im geteilten Dokument nicht abgebildet werden. Daher sind persönliche Interaktionen für eine effektive Zusammenarbeit häufig unersetzlich.
Wenn du dich vor zehn Jahren treffen würdest: Welchen Tipp würdest du dir mitgeben, um beruflich erfolgreich zu sein.
Das wäre ein abendfüllendes Gespräch! Aber zwei Sachen wären mir besonders wichtig:
Nummer 1: Fokus. In meinen beiden Start-ups hatten wir immer sehr viele Möglichkeiten, was wir als nächstes tun könnten. Alles scheint möglich. Alles scheint spannend und erfolgversprechend. Als junger Gründer birgt dies ein hohes Risiko, sich zu verzetteln. Die knappen Ressourcen an Zeit und Kapital müssen extrem zielgerichtet eingesetzt werden. Das Kernprodukt muss mit vollem Fokus vorangetrieben werden. Jede Ablenkung ist riskant, kostet Zeit und bringt die Firma oft zu wenig voran. Ich habe dies selbst sehr schmerzlich lernen müssen. Aus meiner Sicht ist dies der Hauptgrund, warum junge Unternehmen scheitern. Mein erster Tipp daher: laser focus, no distractions.
Nummer 2: Harte Entscheidungen schnell treffen. Wir haben häufig viel zu lange damit gewartet, schwierige Entscheidungen konsequent umzusetzen. Auch als Start-up-Gründer sind wir häufig pfadabhängig und halten an Bewährtem fest. Es fällt schwer, sich eigene Fehleinschätzungen einzugestehen. Und anschließend radikale Schritte sehr schnell und konsequent umzusetzen. Ein Beispiel war unser Pivot bei Billie: Weg von unserem ersten Geschäftsmodell, dem eher traditionellen SME-Factoring, und hin zur Buy-Now-Pay-Later-B2B-Zahlmethode. Mit dieser Entscheidung haben wir zu lange gewartet. Im Nachhinein hätten wir diesen Schritt noch früher und konsequenter umsetzen sollen.
Wenn ich im Finanzministerium etwas zu entscheiden hätte, dann würde ich ….?
Erstens, das Rentensystem konsequent auf ein kapitalgedecktes System umbauen. Unser aktuelles Rentensystem ist in dieser Form nicht finanzierbar, das ist ein offenes Geheimnis. Die “Aktienrente” ist ein schöner, erster Schritt in die richtige Richtung, ist aber offensichtlich viel zu klein und kommt leider Jahrzehnte zu spät. Durch ein kapitalgedecktes Rentensystem würde zügig ein Kapitalstock aufgebaut, der wiederum in Teilen in Innovationen in unserem Land fließen könnte, so dass junge Unternehmen gefördert werden und die Rentenbezieher an Innovation und Wirtschaftsleistung teilhaben können.
Zweitens benötigen wir dringend einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt. Unsere nationalen Kapitalmärkte sind im globalen Vergleich viel zu klein, mit deutlich unterkritischer Masse und fragmentierter Regulatorik. Ein einheitlicher europäischer Kapitalmarkt würde die Liquidität deutlich erhöhen, die Kapitalbereitstellung verbessern und die Handelskosten verringern. Das ist ein wichtiger Treiber für Wirtschaftswachstum.
Unser Finanzminister hat hier ein dickes Brett vor sich. Um all das zu bewegen, braucht man viel Mut und einen überparteilichen Konsens. Aber beides kann ich aktuell leider nicht erkennen.