Dürfen wir vorstellen: Dr. Lea Maria Siering von finleap connect
Das Arbeiten in der FinTech Branche gleicht einem Kommen und Gehen, setzt ein hohes Maß an Professionalität in einem durchaus lockeren Arbeitsumfeld voraus und ist vor allem geprägt von Innovationen sowie guten, klugen und zukunftsorientierten Ideen, so der weit verbreitete Konsens. Doch wer sind eigentlich die Köpfe und Macher hinter diesen kreativen Denkprozessen, an der Schnittstelle zwischen Finanzen, digitalen Technologien und Gründertum? In unserer Reihe Die Gesichter der FinTech Branche stellen wir regelmäßig einer Person aus der Payment- und Banking-Industrie die gleichen zehn Fragen. Diesmal beantwortet Dr. Lea Maria Siering unsere Fragen.
Dürfen wir vorstellen…
Während unseres Arbeitsalltags begegnen uns immer wieder spannende Menschen, die im gleichen Umfeld tätig sind, die uns nur einmal oder immer mal wieder begegnen oder uns sogar schon privat sehr ans Herz gewachsen sind – jeder von Ihnen hat eine eigene Geschichte. Wir haben ein paar dieser Menschen aus unserem nächsten FinTech-Umfeld interviewt, um ihnen ein Gesicht zu geben. Um zu teilen, warum diese Branche für sie viel mehr ist als eine weitere Art, seine Miete zu bezahlen. Diese Menschen und deren Vita möchten wir in einer ganz eigenen Kategorie kurz porträtieren und vorstellen und haben dazu einen immer gleichen Fragenkatalog entworfen. Diesmal beantwortet Dr. Lea Maria Siering unsere Fragen. Lea ist Chief Risk Officer und designierte Geschäftsführerin von finleap connect, Europas erstem Banking Service Provider.
Wer bist Du, was macht Du?
Ich bin Lea Maria Siering, Chief Risk Officer bei finleap connect – einem von der BaFin lizenzierten Zahlungsdienstleister.
Ich verantworte hier mit großem Spaß und Leidenschaft die Bereiche Recht, Compliance – insgesamt alle Risikothemen – sowie Public Affairs. Wir arbeiten als Software-und Technologieunternehmen im Bereich B2B in der Regel im Hintergrund: unsere Kunden sind typischerweise Kreditinstitute, Finanzdienstleister, Versicherungen und FinTechs. Ich bin in dem Zusammenhang auch für die Produktqualität und den Kundenservice, mithin das Vertrauen in die Sicherheit unserer Produkte und eine gute Betreuung rund um die Auslagerungs-Fragen unserer Kunden verantwortlich.
Nicht zuletzt versuche ich gute Stimmung zu verbreiten und zu motivieren. Während der Pandemie ist dies eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Optimismus nach mehr als einem Jahr im Home Office bei nicht endenden Zooms ist für jeden einzelnen Mitarbeiter wichtig.
Wie sieht ein klassischer Tag in Deinem Leben aus?
Es gibt und gab eigentlich nie oder selten “einen” klassischen Tag in meinem Leben und das ist auch das, was ich liebe und schätze. Ich nehme mir jeden Morgen Zeit und definiere die Dinge, die ich an diesem Tag schaffen will und sortiere und priorisiere meine Aufgaben und Agenda. Wenn ich abends dann die Bilanz ziehe, was ich dachte abzuarbeiten und was dann tatsächlich alles noch zusätzlich an Aufgaben hinzugekommen ist, ist eigentlich immer eine nicht nur minder große Differenz vorhanden.
In den Momenten, in denen ich denke, dass diese Unplanbarkeit anstrengend ist, erinnere ich an einen meiner vielen Jobs, die ich früher hatte: mit meinen Freundinnen habe ich einen Sommer lang am Fließband gearbeitet. Wir wollten uns eine Reise finanzieren. Mehrere Wochen haben wir alle denselben Handgriff gemacht. 8 Stunden am Tag. Das war prägend und lehrreich, vor allem aber unfassbar langweilig. Man lernt, wie lange eine Stunde sein kann. Seitdem bin ich dankbar für jede Inkonsistenz, alles Unplanbare und denke auch in den wildesten Zeiten, dass alles besser ist als Monotonie und Stillstand.
Was waren Deine ersten Berührungen mit der Payment- und Banking-Industrie?
Mit der Banking Industrie bin ich schon in der Schule in Berührung gekommen: das Planspiel Börse der Sparkasse, das mich nachhaltig fasziniert hat. Wir konnten fiktiv in Aktien investieren. Dieses Spiel zeigt mehr als deutlich, wie prägend es sein kann, dass auch solche Wirtschaftsthemen auf den Lehrplan genommen werden. Hier würde ich gern aktiver werden und eine Initiative fördern oder neu ins Leben rufen, die diese Themen bildungspolitisch mehr in den Fokus rückt. Alle Schülerinnen und Schüler sollten unser Wirtschaftssystem bereits in der Schule lernen und verstehen; vermittelt bekommen, was alles möglich ist bei Inkaufnahme welcher Risiken.
Zurückkommend zur Frage: Ich bin dann wieder im Rahmen meiner Tätigkeit als Juristin mit der Payment- und Banking-Industrie in Berührung gekommen – während meines Referendariats in London und dann stetig mit der Aufnahme meiner Tätigkeit als Anwältin.
Wann hast Du das Wort FinTech das erste Mal wahrgenommen?
Als Anwältin vor rund 8 Jahren – und zwar zeitgleich mit den ersten Mandanten. Ich war von Beginn an fasziniert von der anderen Art zu diskutieren, sich zuzuhören und Dinge in Frage zu stellen und anders zu machen. Die erste Berührung war für mich ein Wendepunkt in meinem Berufsleben: ich habe mich in dieser Branche wohler gefühlt und viel gelernt.
„Die erste Berührung mit Fintech war für mich ein Wendepunkt in meinem Berufsleben.“
Wie definierst Du FinTech?
FinTechs sind für mich nicht (mehr) zwingend Startups, sondern Unternehmen, die in der Finanzbranche tätig sind und dabei ihren Schwerpunkt auf Technisierung, Digitalisierung und Innovation legen. Der Begriff steht auch für die umfassende Wandlung einer ganzen Branche. Für ein Aufwachen. Für Mut, Ideen, Technik. Ohne FinTechs wäre dieser Wandel sicher nicht geschehen. FinTech Pioniere haben maßgeblich dazu beigetragen, dass auch klassische Institute gezwungen wurden, ihre Geschäftsmodelle in positiver Weise zu verändern.
Im Übrigen gefällt mir die Differenzierung zwischen FinTechs und Banken überhaupt nicht mehr. Ich denke, dass dies am Anfang dieser Innovationsbewegung eine probate und passende Bezeichnung gewesen ist, die aber nach mehreren Jahren und dem “Nachziehen” der gesamten Branche macht eine solche Differenzierung keinen Sinn mehr. Insbesondere, wenn der Begriff FinTech nach den Skandalen um Wirecard und der Greensill Bank AG, die beide innerhalb eines Jahres Insolvenz anmelden mussten, nunmehr pauschal als negativ-Attribut verwendet wird für eine Branche, die sich nicht an Regeln halte. Hier wird verkannt, dass es nicht „das eine FinTech” gibt, sondern deren Ausgestaltung bzw. Geschäftsmodelle so vielfältig sind, dass man diese nicht pauschalisieren kann.
Vielmehr waren in diesen beiden Fällen die betroffenen Banken Teil eines undurchsichtigen internationalen Firmengeflechts, das sich den Anstrich eines Finanztechnologiekonzerns gegeben hat. Dass sich seither einzelne Vertreter von Banken und Fintechs öffentlich mit wechselseitigen Vorwürfen, welchem Lager diese beiden Fälle zuzurechnen seien, überbieten, haben sicher viele mitbekommen. Wichtig ist, dass Wirecard und Greensill weder repräsentativ für Fintechs noch für Banken sind. Vielmehr sind beide Fälle das Resultat von Betrug und verantwortungslosem Handeln einzelner Anbieter, die bereits heute einen veritablen Schaden für den Finanzplatz Deutschland zu verantworten haben.
Wichtig ist doch, dass der Deutsche und Europäische Standort weiterhin die Nutzung von Technologie in Kombination mit dem Ausbau entsprechender aufsichtsrechtlicher Expertise und der datengestützten Modernisierung der Finanzaufsicht als Chance zur Stärkung der Finanzstabilität und des Verbraucherschutzes ansieht und fördert, ohne hier eine Angst zu entwickeln. So sind etwa der vom BMF vorgeschlagene Aufbau einer Data Intelligence Unit und das digitale Aufseher-Cockpit zu begrüßen, die dazu führen werden, dass durch die Nutzung von Technologie nicht nur der Austausch mit der Finanzaufsicht verbessert wird, sondern auch die Transparenz über Chancen und Risiken für Verbraucher bei ihren Entscheidungen erhöht wird.
Wichtig wäre mir, dass der Begriff ausschließlich positiv zu bewerten ist und als Art Ritterschlag verwendet wird – nicht als eine Beleidigung für Unternehmen, die sich nicht um Risiken und Regulierung kümmern. Hier müssen wir aufpassen, keine Chance zu vergeben….
Abschließend nochmal zu Deiner Frage: FinTech definiere ich als eine große Chance und den Schritt in die richtige Richtung.
Was glaubst Du machen etablierte Unternehmen besser als FinTechs?
Die Antwort überschneidet sich ein wenig mit meinen Ausführungen zuvor: Ich wünschte, es würde nicht differenziert werden…., weil es nicht (mehr) notwendig ist.
Einzelfallabhängig könnten aber wahrscheinlich Dinge besser funktionieren, bei denen Erfahrungen, ein großes Netzwerk oder personelle Ressourcen benötigt werden. Hier sind meiner Beobachtung etablierte Unternehmen oft besser aufgestellt – aus dem einfachen Grund, dass sie älter und damit erfahrener sind. Wahrscheinlich sind sie auch weniger getrieben als FinTechs.
Was kann man von FinTechs lernen?
Mut. Anderssein. Unkonventionelles Denken gepaart mit Professionalität. Diversität. Ungeduld. Geschwindigkeit und Flexibilität. Fleiß. Kreativität und Ideenfindung. Offenheit für neue Impulse. Und auch Fehlermachen (dürfen), denn “mistakes are proof that you are trying”.
Was ich auch spannend finde: FinTechs sind viel diverser. Nicht nur, was den Anteil von Frauen angeht, sondern insgesamt. Das ist für die oben genannten Punkte sicherlich auch hilfreich.
Wieso tun sich etablierte (große) Unternehmen bei der Digitalisierung eigentlich so schwer?
Bestehende Strukturen hemmen Veränderung. Es ist nicht leicht, alles komplett umzustellen und zu verändern – dies auch vor dem Hintergrund, dass sich viele mit Veränderungen schwer tun oder sogar Angst haben vor einem digitalen Pivot. Es ist immer auch eine Kulturfrage. Für diesen Wechsel braucht es mehr, als eine Entscheidung auf C-Level, es braucht beherztes Umsetzen, das nicht dadurch erfolgt, indem man vereinzelt teure Digitalisierungsprojekte mit externen Beratern durchführt. Vielmehr muss der Wandel von Innen heraus vollzogen werden.
Während Banken ihre Technologieinvestitionen erhöhen, um mit den sich ändernden Anforderungen der Verbraucher und der Konkurrenz durch FinTechs und Neobanken Schritt zu halten, fehlt aber oft ihren Vorständen laut einer aktuellen Studie das technologische Know-how, um die Risiken zu minimieren und den Nutzen ihrer IT-Ausgaben zu maximieren. Das scheint also auch ein großes Problem zu sein.
Die Coronakrise hat jedenfalls verdeutlicht, dass zukünftige Marktführer diejenigen sind, die die Digitalisierung strategisch und stringend vorantreiben und damit auch alles hinterfragen, was sie bisher getan haben. In dem Ausmaß, in dem sich die digitale Transformation beschleunigt, steigt auch der kundenseitige Bedarf an voll digitalen Lösungen. Demnach gibt es keine Alternative mehr zur Digitalisierung, wenn man am Markt bestehen bleiben will.
Was macht deinen Job täglich interessant?
Schnelligkeit, Vielfalt, Agilität, Menschen, auch Druck. Und vor allem das Produkt, das so jung ist, dass man alle Möglichkeiten hat, für Verbraucher bessere Lösungen zu entwickeln. Denn die zweite EU-Zahlungsdiensterichtlinie, kurz PSD2, soll den Zahlungsverkehr in der EU für Verbraucher bequemer und sicherer machen und zugleich den Wettbewerb fördern. Daran zu arbeiten ist nicht nur interessant, sondern auch erfüllend.
Was würdest Du beruflich machen, wenn Du nicht in der Payment- und Banking-Industrie arbeiten würdest?
Lektorin, Landwirtin oder Journalistin. Jedenfalls etwas an der frischen Luft oder mit Sprache und Text. Interessant scheint mir auch die Aussicht, Gault & Millau-Testerin zu werden oder Auslandskorrespondentin in China…. Alles möglicherweise noch irgendwann realisierbar.
Worauf bist du stolz?
Ich assoziiere mit Stolz eigentlich wenig positives: wer stolz ist bleibt stehen und entwickelt sich nicht weiter. Auch wenn ich nicht besonders religiös bin, erinnere ich mich daran, dass Stolz eine der Todsünden ist, was wahrscheinlich nicht ganz falsch ist. Beruflich war ich noch nie auf etwas stolz – vielleicht ist genau das auch mein Antrieb. Ich habe jedenfalls noch wahnsinnig viel vor in meinem Leben und noch keine Zeit, stolz zu sein.
Wieso gibt es nicht mehr Frauen in der Tech-Branche?
Es gibt sie, aber sicher noch nicht genug. Vor allem nicht in den Positionen, die ihrer Begabung und Einsatz entsprechen.
Bei welchem Unternehmen würdest Du gerne mal einen Tag arbeiten?
Einhorn Berlin. Ich verfolge seit Jahren die dortige Unternehmenspolitik und – „nicht-Führung”; ohne Führung schaffen sie mitunter super Produkte und machen Umsatz, von dem viele nur träumen. Demokratisierung der Wirtschaft sozusagen oder Kommunismus im Kleinen plus Nachhaltigkeit. Mir gefallen die Gedanken dort sehr, frage mich aber, ob das ganze nur eine Utopie ist, oder ob es auch funktioniert? “The Big Five For Life” kann man dazu lesen (von John Strelecki).
Mit wem würdest Du gerne ein Bier trinken?
Eigentlich gerade mit wirklich jedem und jeder und zwar in einer Bar, die rappelvoll und idealerweise auch ordentlich verraucht ist. Ich vermisse Menschen und Bier in großer Gesellschaft. Neue Begegnungen und Versinken in der Nacht. Wenn es noch möglich wäre, dann vor allem mit Simone de Beauvoir, denn sie ist jedenfalls meine Lieblingsvordenkerin. Radikal gut. Nun würde ich – aus aktuellem Anlass – coronakonform sehr gern mit Annalena Baerbock ein Bier trinken gehen und ihr für die anstehende Wahl alles Gute wünschen….. Denn an eine Kanzlerin haben wir uns doch gut gewöhnt ;-).