GAFAT – Warum ignorieren wir Telegram?

GAFAT - Warum ignorieren wir Telegram?

Noch vor einigen Jahren galt Telegram in Deutschland als harmloser Messenger. Viele nutzten die App als Alternative zu WhatsApp. Insbesondere die hohe Anonymität und Datensicherheit überzeugte viele User. International hatte die App sogar teilweise den Ruf einer Protest-App. Über Telegram organisierten sich nämlich weltweit Oppositionelle in Ländern mit autoritären Regimes. 

Es ist kein Zufall, dass all diese Protestbewegungen ausgerechnet Telegram nutzen. Der Dienst bietet nicht nur eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und lässt sich auch mit langsamen Internetverbindungen zuverlässig nutzen. Er lässt sich ebenfalls unglaublich schwer blockieren.

Hinter dem Messenger-Dienst stecken die russischen Brüder Nikolai und Pawel Durov. Insbesondere Pawel Durov ist für seine exzentrische Persönlichkeit bekannt.

Ein TechCrunch – Artikel bzw. eine Zahl in ebendiesem hat mich aufhorchen lassen. Dabei ging es um folgenden Sachverhalt: “Telegram, nearing 500 million users, to begin monetizing the app” 500 Mio. User, das ist eine Menge “Holz” und das alles irgendwie halb unter dem Radar.

GAFAT - Warum ignorieren wir Telegram?

Dabei kämpft Telegram aktuell mit einem zwielichtigen und anrüchigem Ruf in Europa und wird als das Medium der Querdenker, politisch Radikalen und ewig Gestrigen ( sowie von Jan Marsalek) gesehen. Trotzdem aber teilweise “cooler” als die Massenware WhatsApp oder das “Digital Natives Ding” Slack.  

Doch “wer oder was” ist Telegram eigentlich?

Hier ein paar Fakten:

Telegram ist eine “Cross Plattform”, ein cloudbasierter Instant Messaging Dienst mit Video Call/Phone Call Integration und Channel Funktionalität, manche sagen “das bessere WhatsApp mit etwas Skype integriert”. Dabei liegt ein starker Fokus auf “Encryption” z.B. im Context “End2End encrypted” calls und/oder auch das Feature “Secret Chat”.
Das Frontend kommt jedoch sehr “modern” daher und über starke Integration der Sticker, fokussiert er eine jugendlicherer Zielgruppe (Sticker Directory ) (Anleitung wie man sich seine eigenen Sticker baut)

Gegründet wurde Telegram im August 2013 in Russland ist dann aber schnell nach Dubai gezogen, denn es halten sich Gerüchte über “Zerwürfnisse” mit der russischen Regierung im Zusammenspiel mit der Herausgabe von Daten. Diese Diskussion gab Telegram teilweise das Image “vor Staatszugriff sicher” zu sein. Und gilt daher vermutlich als das favorisierte Medium für geheime Aktivitäten oder illegale Gruppierungen.

Beeindruckendes Wachstum


Telegram bewegt sich oft eng an der Grenze zur Zensur (wie bspw. in Russland, Iran etc.) und wird unter anderem von extremistischen Gruppierungen genutzt (siehe auch den Extremismus Tracker) und macht es daher vermutlich gerade für Querdenker und Konsorten besonders attraktiv. Und so landet es auch schnell auf der Privacy Watchlist.

In Anbetracht dieser gesellschaftlichen Entwicklung von Gruppierungen die sich am Rande einer gesetzliche legalen Aktivität bewegen ist das Wachstum des Mediums Telegram doch sehr beeindruckend.

Hier ein paar beachtliche Zahlen zum User Wachstum (Quelle: Wikipedia):


Telegram ist also auch als “WhatsApp Verfolger” durchaus ernst zu nehmen. Und hier schließt sich auch der Kreis zu den GAFAS, die alle viel mehr sind, als nur Messaging. Trotzdem haben sie alle einen Messenger im Portfolio (nur eben unterschiedlich erfolgreich). Telegram ist Messaging only – und der einzige wirklich große Messenger ohne Bezug zu einem GAFA, könnte sich aber von den reinen Nutzerzahlen zu einem mausern.

Dazu kommt ein durchaus interessanter aber auch streitbarer Founder, dessen Zusammenspiel mit Russland nicht wirklich transparent ist, er aber die größten Ambitionen an den Tag legt.

https://www.forbes.com/profile/pavel-durov/?sh=5031e2f714c5

Denn trotz seiner ganzen Zweifelhaftigkeit, könnte Pavel Durov, durchaus jemand sein, der die US-Dominanz neben den Chinesen ernsthaft zu brechen versucht. Die finanzielle Masse ist da (allein 500 Mio. User dürften einen Wert von bis zu 5 Mrd. darstellen) natürlich unter der Annahme, dass jemand bereit ist, pro User 10 € zu zahlen, was nicht zu hoch erscheint, v.a. wenn man die gezeigte Skalierungsfähigkeit im Zusammenspiel mit der robusten technischen Basisinfrastruktur sieht.

(Finanzierungs-)Ziele von Telegram

Wie sich Telegram bisher monetarisiert bzw. was die Finanzierung angeht, blieb diese bis dato etwas im Unklaren und die Kostenbasis v.a. in Tech & Infrastruktur dürfte nicht unerheblich gewesen sein. Das alles aus den 3.4 Mrd aus dem Kontakte Verkauf zu finanzieren wäre schon sehr riskant, aber lief das alles auf eigene Rechnung? Vermutlich wird es langfristig auf Werbung (und kostenpflichtige Features) hinauslaufen.

Doch was genau hat Telegram vor?  

Der Gründer, Pavel Durov, hat dazu selbst ein Statement abgegeben: https://t.me/durov/142

Zusammengefasst heißt das:

a) Geschäftskunden sollen bezahlen
b) Admins von Kanälen sollen bezahlen
c) Werbung ist irgendwie angedacht – wohl aber nicht in der normalen Kommunikation – „Die Kommunikation zwischen Menschen sollte frei von Werbung jeglicher Art sein“ – wie genau es gemeint ist, bleibt schwammig
d) Es ist von “Bezahlstickern” die Rede – vermutlich ähnlich zu der neuen “integrierten” Shopfunktion von Instagram – der “PayButton”

https://www.golem.de/news/messenger-telegram-will-bezahlfunktionen-einfuehren-2012-153023.html
https://www.inside-digital.de/news/telegram-ab-2021-mit-werbung-und-kostenpflichtigen-inhalten

GAFAT - Warum ignorieren wir Telegram?

Einer der ersten Versuche zu monetarisieren ging irgendwie daneben bzw. ist der Status unklar, denn mit dem “Mega ICO TON”, mit dem zunächst 1,7 Milliarden Dollar eingesammelt wurden, bleibt irgendwie ein komischer Neben- bzw. Beigeschmack. Denn schnell wurde dem Unterfangen der Stecker gezogen und Schuld daran hat offensichtlich – laut Telegram – die US-Finanzaufsicht SEC. Dazu findet man dann nur ein Statement von Telegram, welches recht schmalbrüstig und wenig offensiv klingt.


„Die USA können ihre Kontrolle über den Dollar und das globale Finanzsystem nutzen, um jede Bank oder jedes Bankkonto in der Welt zu schließen“, schrieb er am Dienstag. Er beende das TON-Projekt daher. „Leider sind wir – die 96 Prozent der Weltbevölkerung, die anderswo leben – von Entscheidungsträgern abhängig, die von den vier Prozent, die in den USA leben, gewählt werden. 

Und dass alles trotz der Zusammenarbeit mit dem “Who is Who” der VC Szene.

All die letzten Kandidaten, die in die Richtung GAFA gingen, wurden weggekauft – zwei davon erfolgreich integriert (WhatsApp, Instagram) – eines wurde eher ruiniert (Tumblr von Yahoo) und gefühlt hat auch Google jede Menge Kandidaten zugekauft, die dann irgendwie verschwunden sind. LinkedIn und Skype sind bei Microsoft gelandet, das eine “prosperiert”, das andere ist gefühlt auch auf dem absteigenden Ast, wird aber durch den internen Wettbewerber “Teams” schön ersetzt.

Weitere Kandidaten wären/waren:

  • Zoom
  • Slack – aber dann doch schon “weggekauft” oder? 
  • Die Entwicklertools – Atlassian
  • Twitter
  • Signal, Threema?
  • GitHub
  • Snapchat – schon tot, oder? 


„Wir werden das Unternehmen nicht wie die Gründer von WhatsApp verkaufen“, schrieb Durov. „Die Welt braucht Telegram, um unabhängig zu bleiben.“ 

Ok, ein ambitioniertes Geschäftsmodell, wenn man sich selbst das Image des Enfant terribles der Netzwelt verpasst. 


Wie sieht es das Team? Sind die Voraussetzungen gegeben? Entsteht hier im Geheimen ein GAFAT bzw. ein BATT? Und wird bald das Oligopol aufgelöst?

Rafael Otero

Telegram ist tatsächlich einer dieser Hidden Champions der eigentlich viel richtig gemacht und trotzdem noch nicht in der Masse angekommen ist. Telegram war einer der ersten Messenger, der per freier API nutzbar war und bis heute ist. War es das “Geschmäckle” mit Russland? Sind es die unterschiedlichsten Telegram-Kanäle, wo sich auch gern mal abstruses tummelt? 

Telegram hätte definitiv das Potential als nicht US, nicht BigTech Alternative eine Rolle zu spielen. Wenn ich mir allerdings mal so die “whats new” Meldungen angucke, dann dreht sich doch sehr viel um die Kanäle und damit halt ein Messenger-basiertes BBS (bulletin board system – für die Älteren unter uns) und weniger um einen fokussierten Messenger. Telegram positioniert sich daher eher in die Riege der X-Chans oder Reddit und weniger zu WhatsApp / iMessage. Vielleicht, wenn man Telegram “spalten” würde und der Fokus beim neuen Messenger auch wirklich auf Messaging liegen würde. Last but not least – keiner braucht Sticker – echt – keiner! 

Christina Cassala

Ich halte die Frage für durchaus gerechtfertigt. Warum denkt eigentlich niemand an Telegram? Groß genug ist es jedenfalls, und in der Nutzung sehr verbreitet. Ich kenne viele, die zwar auf dem russischen Dienst ihre Accounts haben, aber niemals nicht auf WhatsApp ihre Daten preisgeben würden.

„Warum denkt eigentlich niemand an Telegram?“

Ist Telegram deswegen in der Masse angekommen? Irgendwie nicht und irgendwie mag es auch damit zusammenhängen, dass der Messenger nicht nur durch Nerds viel Zulauf erfahren hat, sondern auch durch Verschwörungstheoretiker, die ihre verqueren Gedanken über Telegram verbreiteten. Und passt das Bild nicht auch irgendwie zusammen: ein irgendwie dubioser Gründer, den irgendwie keiner kennt, krude Theorien, Russland … und wo kommt jetzt der Datenschutz.

Für mich ergibt das kein klares Bild und als betreuende Marketingagentur würden mir viele graue Haare wachsen, wie das zusammenzubringen ist. Hinzu kommt, dass mir unklar ist, mit welchem zusätzlichen Feature Telegram die BigTech angreifen wollen würde. Aber Rafael Otero möchte ich durchaus widersprechen: Ich brauche die Sticker, die sind auf Telegram nämlich viel besser und lustiger, als beim Amerikaner (zu Glück gibt es da eine Integration, sie auch auf WhatsApp nutzen zu können). 

Autor

  • Kilian Thalhammer ist seit mehr als 15 Jahren im Bereich Payment/ FinTech/ eCommerce & Loyalty unterwegs. Nach seiner Rolle als CPO bei RatePay (Otto Gruppe) und Geschäftsführer bei PAYMILL (Rocket Internet) war Kilian Global EVP Produktmanagement bei der Wirecard und verantwortet nun die Business Unit Merchant Solutions (Issuing & Acuiqinrg) sowie das Globale Geschäft mit Tech, Fintech und Platformkunden bei der Deutschen Bank Er ist Gründer & Gesellschafter von Payment & Banking und Mitinitiator der Konferenzen PEX & BEX. Kilian ist aktiver Business Angel v.a. Im Fintech Umfeld (20+ Investments) und arbeitet aktiv mit Investoren und VC zusammen.

Weitere interessante Beiträge

  • Warum Promi-Werbung zu oft Geldverschwendung ist 

    Warum Promi-Werbung zu oft Geldverschwendung ist 

    Ob Revolut mit Mario Götze, Naga mit Mike Tyson oder Bitpanda mit Alexander Zverev: Eine ganze Reihe von Fintechs lässt…

  • Die wichtigsten Lehren aus Singapur

    Die wichtigsten Lehren aus Singapur

    Manuel Klein und Stefan Grasmann waren für gleich zwei Krypto-Konferenzen in Singapur. Was es dort zu hören gab und was…

  • Inklusion auf Sparflamme

    Inklusion auf Sparflamme

    Obwohl Barrierefreiheit kein neues Thema ist, scheinen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen im Bankensektor oft übersehen zu werden.

Newsletter
open close

Der beste Newsletter ever.

Wir versorgen dich täglich mit News, ausgewählten Artikeln und Kommentaren zu aktuellen Themen, die die Finanz-Branche bewegen. Jetzt anmelden!