Seit Jahren wird über eine gerechtere Finanzwelt geredet, doch um Frauen als Kundinnengruppe scheren sich Banken immer noch kaum. Dabei könnte es so einfach sein.

In der tiefen Mine der Finanzwelt liegt ein unermesslicher Schatz verborgen – ein Schatz, der nicht aus Gold oder Edelsteinen besteht, sondern aus dem ungenutzten Potenzial von Frauen in der Wirtschaft. Der März, der Monat des Weltfrauentags, bot gerade erst eine glänzende Gelegenheit, dieses Gold zu würdigen und zu fordern, dass mehr davon gefördert wird. Doch trotz der funkelnden Versprechen und des zunehmenden Bewusstseins für das Thema bleibt die Realität trüb: Die Fortschritte bei der Etablierung von Frauen in Führungspositionen, als Gründerinnen von Fintechs oder in Bezug auf das Volumen der Investitionen von Wagniskapitalgebern (VCs) in von Frauen geführten Unternehmen glänzen durch ihre Abwesenheit. Eigentlich wissen die Goldsucher, wo das Edelmetall zu finden ist, aber anstatt notwendige Ausrüstung zu besorgen und danach zu graben, wird über Chancengerechtigkeit und Vielfalt bloß geredet.

Anderswo werden stattdessen Fakten geschaffen. Blicken wir in den Libanon. Ja, da staunt ihr jetzt. Drehen wir die Zeit zurück vor den Staatsbankrott: 

Vorbild Libanon

Die Geschichte der BLC Bank im Libanon ist ein Paradebeispiel für Vertical Banking, Customer Centricity, Human-centered Design und andere coole Wörter, mit denen wir oft um uns werfen. Im Jahr 2012 entschied sich die Bank, eine umfassende Analyse ihrer Kund*innen durchzuführen, und das Ergebnis war – für die Bank – überraschend: Frauen waren Small Business Owner und obwohl sie eine kleine Kundinnengruppe stellten, waren sie überproportional profitabel. Sie zahlten Kredite zuverlässiger zurück und investierten erfolgreicher, weil sie konservativ und langfristig dachten. Das klingt nach einer Win-Win-Situation, oder?

Viele Frauen hatten zu diesem Zeitpunkt kein Konto bei BLC. Das bewog die Bank dazu, über Monate Befragungen durchzuführen: Was braucht ihr? Warum seid ihr nicht bei uns? Was würde euch bewegen, zu uns zu kommen?

Die Erkenntnisse sind erschreckend simpel, benötigt werden:

  1. Mehr Filialen: die Frauen haben keine Zeit, Möglichkeit oder Erlaubnis, zig Kilometer bis zur nächsten Filiale zurückzulegen.
  2. Längere Öffnungszeiten: Filialen nutzen wenig, wenn sie nur geöffnet haben, während die Frauen selbst arbeiten.
  3. Mehr Respekt: überraschenderweise wollen Frauen von Berater*innen und Bankmitarbeitenden nicht von oben herab behandelt werden.

30 Prozent mehr Kundinnen

Aber die Erkenntnis allein war nicht genug. BLC Bank handelte. Sie öffnete mehr Filialen, passte die Öffnungszeiten an und schulte ihr Personal im respektvollen Umgang mit Kundinnen. Das Resultat? Ein signifikanter Anstieg der Gewinne und der Anzahl der Kund*innen. Entgegen der Befürchtungen von Beratern und anderen Banken, dass die Männer die Bank wechseln würden, wenn BLC zusätzlich zum Hauptgeschäft einen Fokus auf Frauen setzt, stieg auch die Anzahl der männlichen Kunden. Die Ergebnisse für den Zeitraum von 2014 bis 2017: 30 Prozent mehr Kundinnen, Frauen machen 20 Prozent des Profits aus, 40 Prozent der Führungskräfte sind Frauen. Es war ein Schritt, der in der Branche als revolutionär galt, doch heute, über ein Jahrzehnt später, bleibt eine breite Nachahmung weiterhin aus.

Die Zurückhaltung anderer Banken, diesem Beispiel zu folgen, ist mehr als nur eine verpasste wirtschaftliche Chance; sie ist ein Zeichen für eine tief verwurzelte, systemische Ignoranz. Wie lange wollen wir denn noch alte Vorurteile und überkommene Strukturen Vorrang vor klaren Beweisen für den Erfolg geben. Sind wir so in unseren Wegen festgefahren, dass wir lieber auf Milliarden (wir erinnern uns, 700 Milliarden US-Dollar in Women in Finance) verzichten, als unsere Ansätze zu überdenken?

Es ist offensichtlich, dass Chancengerechtigkeit für Frauen und unterrepräsentierte Gruppen in der Finanzwelt kein Akt der Wohltätigkeit ist, sondern eine längst überfällige ethische und inzwischen auch wirtschaftlich strategische Notwendigkeit darstellt. 

Wir brauchen eine gerechtere Finanzwelt

Die Geschichte der BLC Bank im Libanon ist nicht nur ein Beweis dafür, was möglich ist, sondern auch ein Aufruf zum Handeln. Es ist ein klares Signal, dass es an der Zeit ist, unsere Spaten in die Hand zu nehmen und nach dem Gold zu graben, das unter unseren Füßen liegt. Die Weigerung, diesem Beispiel zu folgen, ist nicht nur ein wirtschaftlicher Fehltritt, sondern auch ein Versagen gegenüber den nächsten Generationen, die in einer gerechteren und inklusiveren Finanzwelt leben sollen.

Analyse von Kund*innenbedürfnissen und entsprechende Produktanpassungen sollten nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein. Die Frage, die sich hier aufdrängt, ist, ob dieses leuchtende Beispiel mehr Aufmerksamkeit und Nachahmung gefunden hätte, wenn es in den Minen eines „westlichen“ Finanzzentrums – sei es in Spanien, England oder den USA – entdeckt worden wäre. Ein Schelm, der meint, dass glitzernden Erfolge, die nicht in den traditionellen Goldminen der westlichen Welt liegen, weniger glänzen oder gar übersehen werden. Diese Haltung verhindert, dass das volle Potenzial weltweit erkannt und genutzt wird.

Ich trete schon lange dafür an – wann nehmen wir alle die Herausforderung an und  gestalten die Finanzwelt nicht nur für Frauen, sondern für alle zugänglicher und gerechter? Auch nach dem Weltfrauentag. Es ist nicht nur eine Frage des Potenzials, sondern auch der Verantwortung. Es ist an der Zeit, die Spitzhacken der Innovation zu schärfen. Die Frage ist: Werden wir mutig genug sein, diese Chance zu ergreifen?

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