Für deutsche Fintechs ist eine Expansion in die USA häufig die logische Konsequenz einer Wachstumsstrategie, denn der Markt jenseits des Atlantiks ist groß. Hinzu kommt, dass die USA weiterhin führend sind in der Finanzierung von Start-ups in der Spätphase. Doch gleichzeitig stellt der US-amerikanische Markt eine große Herausforderung für hiesige Unternehmen dar. Über die Chancen und Risiken sprechen wir mit Maximilian Riege, vormals COO von Penta und ab sofort Co-CEO der Berlin Finance Initiative (BFI) in Berlin.

Die Berlin Finance Initiative gründete sich 2019 aus dem Gedanken heraus, das Ökosystem Berlins zu stärken und zu verknüpfen und versteht sich als Drehscheibe für technologiebasierte Finanzen und digitale Wirtschaft. Als Co-CEO kümmert sich Riege künftig gemeinsam mit Achim Oelgarth um die strategische Ausrichtung der Initiative und dabei insbesondere um die Vergrößerung des Netzwerks in Berlin, Deutschland und international.

Mit der BFI USA baut die Initiative seit vergangenem Jahr eine transatlantische Brücke auf, um Berliner Fintechs mit den entscheidenden Playern auf der anderen Seite des Atlantiks zusammenzuführen. Erste Delegationsreisen fanden im vergangenen Jahr bereits Oktober/November nach Atlanta und New York sowie im Dezember nach Miami statt.

Deutsche Fintechs überlegen sich zunehmend, in die USA zu expandieren. Was erwartet sie dort: ein ‚großes Hallo‘, kritisches Beäugen oder schlichtweg Desinteresse seitens der US-Amerikaner?

Jeder Gründer sollte sich darüber im Klaren sein, dass in den USA niemand auf ein europäisches Fintech wartet. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es ein Interesse für bestimmte Finanztechnologien gibt. Die Amerikaner sind da sehr neugierig und betrachten viele Business-Modelle mit großem Interesse. Es ist weiterhin viel Raum für weitere technologische Entwicklung, auch aus Europa kommend, da.

Es gibt ja mittlerweile etliche deutsche Fintechs, die (auch aus Berlin heraus) versuchen, in den USA Fuß zu fassen – einige bereits mit überaus großem Erfolg, wie es das deutsche Fintech Finn zeigt, das ein flexibles Auto-Abomodell für B2B und B2C in den USA etabliert hat.

Gerade in Berlin gibt es viele Fintechs, die viele verschiedene Business-Modelle an den Markt gebracht haben. Siehst du bereits Cluster, welche besonders erfolgreich in den USA sein könnten?

Häufig unterscheiden sich ja aktuell B2C-Angebote gar nicht so sehr von US-amerikanischen Lösungen. Daher sind es aus meiner Perspektive vor allem Angebote im B2B-Bereich, mit denen europäische Anbieter punkten können. Hier interessiert mich natürlich sehr, wie sich in den USA das Bankgeschäft für kleine und mittelgroße Unternehmen entwickeln wird.

Für KMU-Banking sehe ich den USA einen großen Markt, denn bislang übernimmt das Thema weiterhin der klassische Bankensektor, der in den USA von einigen wenigen Großbanken dominiert wird.

Ich sehe hier einen Bereich, in welchem Fintechs erfolgreich werden könnten. Warum warten, dass es eine US-Großbank wie Goldman Sachs übernimmt oder eines der Technologieunternehmen? Als Beispiel für ein erfolgreiches Plattform-Modell wäre zudem Raisin US zu nennen, die sich im Bereich Tages- und Festgeldkonten eine gute Nische erarbeitet haben, die in den USA noch nicht wirklich stark bespielt wird.

BNPL ist in Europa ein großes Thema, könnten damit hiesige Fintechs nicht auch in den USA punkten?

Letztlich gibt es auch im B2C-Bereich weiterhin Chancen, gerade im Bereich Lending und BNPL. In den Staaten wird das Feld allerdings durch die Kreditkartenanbieter ganz anders bespielt. Bei den echten Kreditkarten (nicht Debitkarten) werden die Beträge erst mit der Kreditkartenrechnung fällig. Häufig fallen jedoch erhebliche Gebühren und Kreditzinsen an.

„Niemand würde im Gegenzug blauäugig den europäischen Markt erobern wollen und glauben, mit diesem Angebot ohne Weiteres ganz Europa bzw. die EU aufzurollen zu können.“

Das ist zwar für die Banken und Kreditkartenanbieter attraktiv, aber nicht unbedingt die verbraucherfreundlichste Lösung, wie die verhältnismäßig hohen Kreditkartenschulden in den USA zeigen. Paypal ist hier mit Venmo schon recht aktiv. Unter Umständen ergeben sich hier noch Möglichkeiten für europäische Zahlungsanbieter. Selbst ein erfolgreiches europäisches Fintech wird ohne US-Nutzerbasis und Wiedererkennungswert in den USA jedoch einen schweren Start haben und braucht Geduld. Diesen Aufbau hinzubekommen, ist nicht einfach. 

Stichwort: Banken: Hiesige (Neo-) Banken haben in den USA Federn lassen müssen? Welche Gründe siehst du für das Scheitern? 

Zunächst einmal ist das schade, und externe Beobachter sollten sich mit Vorwürfen oder Schadenfreude zurückhalten. Ich hätte mir zum Beispiel für die deutsche und europäische Fintech-Szene gewünscht, dass N26 es schafft, auch den US-Markt dauerhaft aufzumischen. Aber wirtschaftliche Erwägungen und finanzielle Zwänge gehen natürlich vor. Den US-Markteintritt zu wagen, war mutig und zeugt meines Erachtens trotzdem vom richtigen Ehrgeiz. Es zu versuchen und zu scheitern, ist jedenfalls besser als einen US-Markteintritt von Anfang an kategorisch auszuschließen.

Aber es bleibt die Erkenntnis, dass auch Unternehmen, die hierzulande bereits erfolgreich sind, in den USA bei null starten. Man hat einfach keinen Vorsprung. Hinzu kommt: Der Sprung nach Übersee ist einfach enorm teuer. Wenn die Taschen nicht tief genug sind, oder der Atem nicht lang genug, dann wird es schwierig, weil man den Heimatmarkt Deutschland/EU natürlich nicht vernachlässigen darf. Man darf einfach nicht vergessen, dass man in den USA auch einen Markt mit 330 Mio. Menschen in 50 Bundesstaaten bespielt. Strategien für Kundeakquise, die an der Ost- und Westküste verfangen, müssen nicht zwangsläufig im Mittleren Westen erfolgreich sein.  Gleichzeitig herrscht an der Ost- bzw. der Westküste ein noch stärkerer Wettbewerb um Kunden.  

Umgekehrt würde ja auch niemand blauäugig den europäischen Markt erobern wollen, einfach mal in einem Land starten und glauben, mit diesem Angebot ohne Weiteres ganz Europa bzw. die EU aufzurollen zu können.

Lass uns über den Mittleren Westen der USA sprechen: Welche Zielgruppe finden Fintechs dort vor?

Das ist von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Texas mit Austin und Georgia mit Atlanta haben sich als wichtige Tech-Hubs in den USA positioniert und bringen durch hervorragende Talente eine Menge Innovationen hervor.

Häufig sind auch regionale Banken relativ stark, von denen ein europäisches Fintech im Zweifel noch nie gehört hat, die aber vor Ort ausgezeichnete, zielgerichtete Angebote machen. Dies ist am ehesten mit unseren regionalen Sparkassen vergleichbar, die in ihrer Region häufig auch die Platzhirsche sind.  

Macht es also Sinn, sich dort die Nische zu suchen?

Das kann mit einem sehr passgenauen Angebot funktionieren, ist aber riskant, da bei regionalen Angeboten die große Nutzermasse fehlt. Die Bundesstaaten im Mittleren Wesen sind zwar in der Fläche groß, haben aber im Verhältnis weniger Einwohner. Das macht es schwierig, mit wenig Aufwand viele potenzielle Kunden anzusprechen und entsprechenden Profit zu erwirtschaften.

Zum Vergleich: Kalifornien hat ca. 40 Mio. Einwohner und schickt sich gerade an, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt zu werden – und damit Deutschland zu überholen! Oder an der Ostküste New York bis runter nach Florida – das sind in Summe ca. 90 Mio. potenzielle Kund:innen. Soweit ich das sehe, haben einzig die GAFAs und Paypal, sowie die Kreditkartenanbieter es flächendeckend geschafft, ihre Payment-Technologie in den gesamten USA auszurollen.

Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Punkte, auf die hiesige Fintechs achten sollten?

  1. Die USA sind nicht New York und die USA sind auch nicht San Francisco, sondern sie sind ein großes Land mit 50 Bundesstaaten. Diese zu verstehen ist wichtig, wenn das Ziel lautet, das ganze Land abzudecken.
  2. Gerade bei regulierten Fintechs bedeutet das auch: 50 Bundesstaaten sind gleich 50-mal mehr Regulierer.  Viele haben gar nicht vor Augen, wie sehr zerstückelt die Regulierungslandschaft in den USA ist. Bei Weitem nicht alles wird auf Bundesebene geregelt.
  3. Der Markteintritt in die USA ist enorm teuer und ohne tiefe Taschen nicht möglich. Honorare für Anwälte etc. sind immens und die Provisionen hoch. Der Aufwand, einen Markt mit 330 Mio. Einwohnern abdecken zu wollen, kostet eben ein Vielfaches im Vergleich zum Aufwand in Deutschland.
  4. Von Anbeginn gute Netzwerkpartner suchen, die Türen öffnen und beim Markteintritt helfen und ausreichende, belastbare Kontakte in die VC-Branche haben. Am Ende sind die Netzwerke in den USA noch stärker und damit wichtiger als bei uns: Durch gemeinsame College-Besuche, Universitäten etc. kennt man sich dort untereinander ziemlich gut und tauscht sich aus.
  5. Unternehmen dürfen nicht davon ausgehen, dass man sie in den USA bereits kennt. Das gilt selbst für große Player aus Europa. Niemand wartet dort auf sie, denn das Angebot eigener US-Fintechs und Banken ist schon hoch.
  6. Direkt vor Ort ein Team in den USA aufbauen, am besten direkt mit den Locals. Es reicht nicht aus, alle vier bis sechs Wochen über den Teich zu fliegen. Präsenz ist wichtig!
  7. Essenziell ist zudem, sich schnell Respekt zu verschaffen, Schwellen zu überwinden, nicht zögern und mitunter penetrant sein. Anders als hierzulande ist es völlig okay, ständig wieder anzurufen und sich in Erinnerung bringen. Klingt für uns nach „nerven“, zeugt aber bei Investoren in den USA von Interesse und der notwendigen Ausdauer.
  8. Eine gute Marktanalyse, um den jeweiligen Markt, aber auch die amerikanische Seele zu verstehen. Wie immer gilt, dass sich das Unternehmen im Vorfeld im Klaren sein sollte, welche Kund:innen-Gruppe mit dem eigenen Angebot angesprochen werden soll. Auch wenn Deutsche häufig meinen, die USA zu kennen oder zu verstehen – nein! US-amerikanische Bürger ticken anders als Europäer. Auch dafür sind Einheimische enorm wichtig, denn sie wissen, wie man entscheidende Botschaften transportieren muss.

Wo finde ich denn die Netzwerke, wer sind gute Ansprechpartner vor Ort?

Die USA sind großartig im Vernetzen von Talenten. Das passiert früh unter anderem an den Highschools, später an den Universitäten, die viele Events für ihre Studierenden anbieten. Da Colleges wenig staatliche Förderung erhalten, sind sie auf eine gute Kooperation mit Unternehmen angewiesen. Junge Fintechs sollten also dort nach Talenten suchen, denn an den Colleges gibt es viele gute Leute, die Lust haben, Neues auszuprobieren. Das machen die US-Unternehmen genauso! Denn: Amerikanische Absolventen wollen früh Geld verdienen, um die hohen Studiengebühren und Kredite für ihre Ausbildung abzubezahlen. Ein guter Job in einem Start-up kommt da genau richtig.

Zudem gibt es aus Deutschland heraus ja bereits Initiativen, die beim Eintritt helfen, so wie der German Accelerator und eben in Berlin die Berlin Finance Initiative, die Berliner Fintechs den Sprung in die USA erleichtert. Wir haben ein belastbares Netzwerk in den USA mit Menschen, die in dort wirklich etwas bewegen können.


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Was sind die nächsten Schritte der Berlin Finance Initiative?

Wir haben uns für 2023 drei Großprojekte vorgenommen:

  1. Das Finanz- und Tech-Ökosystem in Berlin durch die physische Etablierung eines Finance & Techhubs in und für Berlin weiter zu stärken.
  2. Eine große internationale FinTech-Konferenz, die der Bedeutung des Berliner FinTech Standorts für Deutschland und Europa gerecht wird, schaffen.
  3. Die Verstetigung des nationalen und internationalen Netzwerks der BFI, zunächst mit einem Schwerpunkt auf den USA, aber auch guten Kooperationen mit Kanada.
    Mit Alexander Daamen, Head of BFI USA und bereits zwei Generationen von FinTech Leaders, bauen wir unsere transatlantische Präsenz für die Berliner FinTechs weiter aus.

Wie lautet die langfristige Vision der BFI?

Die BFI soll sowohl Synonym für die Stimme der Berliner Finance und Tech-Branche werden als auch aktiv Türen zu relevanten Stakeholdern, VC, Regulatoren, Kooperationspartners, für Berliner Fintechs öffnen.

Wie kann man bei der BFI mitmachen und welches Interesse haben die Amerikaner an der Teilnahme?

Die Berlin Finance Initiative ist offen für Mitgliedschaften von Unternehmen aus der Finance- und Tech-Szene. Wir sehen, dass internationale, auch amerikanische Unternehmen, die in Berlin ansässig sind, großes Interesse an einer Mitgliedschaft in der BFI haben.


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