Kolumne Krypto /& Tokens Teil 2
Da wir bei Payment & Banking gerne über die Zukunft der Finanzbranche philosophieren, wollen wir naturgemäß auch neue Technologien mit aufnehmen und diskutieren. Die Blockchain hat das Potenzial die Finanzindustrie radikal zu verändern. In der neuen Kolumne Krypto & Tokens von unserem Gastautor Emanuel Coen werden wir daher regelmäßig Meinungsartikel veröffentlichen mit dem Ziel interessante Debatten anzustoßen und unserer Leserschaft das Thema näherzubringen.
In der ersten Ausgabe der neuen “Krypto&Tokens” Kolumne habe ich über Bitcoin geschrieben, eine radikal neue Form von Vermögenswert. Bitcoin liegt ein Protokoll zugrunde welches von gewinngetriebenen “Minern” auf der ganzen Welt umgesetzt wird und die korrekte Abwicklung der Transaktionen garantiert. Bitcoin’s Kerneigenschaften sind a)Zensurresistenz und b)Inflationsschutz.
Aufgrund dieser Eigenschaften etabliert sich Bitcoin zunehmend als globaler Wertspeicher und obwohl wir immer noch am Anfang einer langen Entwicklung stehen stellt sich für mich keine Frage, dass Bitcoin den sogenannten “Product&Market Fit” gefunden hat. Das bedeutet keineswegs, dass es schon heute alles erreicht hat, was es zu erreichen gibt, sondern vielmehr, dass der Wert und das Konzept hinter Bitcoin geschätzt und verstanden wird.
In den nächsten Jahren wird steigende Liquidität und Akzeptanz kombiniert mit sinkender Bitcoin Inflation diesen Wert weiter vorantreiben.
Löst Bitcoin das Versprechen eines globalen, integrierten Finanzsystems?
In den ersten ein zwei Jahren nach der Gründung von Bitcoin kursierten wilde Träume von möglichen Anwendungen die auf Bitcoin gebaut werden würden. Von Micropayments, bis zu peer-to-peer Darlehen und Tokenisierung von Wertanlagen, das ganze Finanzsystem sollte auf Bitcoin nachgebaut werden.
Heute ist glasklar, dass diese Experimente nicht auf der Bitcoin Blockchain stattfinden, sondern auf Ethereum. Anders als Bitcoin liegt der Ethereum Blockchain eine Virtual Machine (VM) zugrunde, die Programme jeglicher Komplexität ausführen kann. Diese Fähigkeit komplexe Programme auszuführen wird im Fachjargon Turing-Vollständigkeit genannt (nach Alan Turing). Ein moderner Computer zum Beispiel ist Turing-vollständig. Ein Taschenrechner ist es nicht.
Ethereum ist demzufolge ein global verteilter Computer, der Programme jeglicher Komplexität ausführen kann und den Status dieser Programme in einer Blockchain-Datenbank speichert.
Jeder Entwickler kann auf dieser globalen Plattform Programme bauen ohne eine zentrale Instanz um Erlaubnis bitten zu müssen. Endnutzer weltweit können diese Programme anschließend nutzen und vertrauen, dass sie auch genau so wie es im Code geschrieben steht, ausgeführt werden.
Tokensierung von Assets
Eine vielversprechende Anwendungsmöglichkeit dieser Programme ist es, existierende Finanzobjekte zu “Tokenisieren”. Bereits heute werden Währungen, Anleihen und Wertpapiere und viele andere Wertanlagen aus der “alten Welt” tokenisiert. Die Vorteile liegen auf der Hand:
- Weniger Intermediäre nötig bei der Ausgabe der Tokens
- Weniger Intermediäre nötig beim Transfer und Handel der Tokens
- Optionale Selbstverwahrung der Tokens (keine Depots/Bankkonto Kosten)
- Handelbarkeit
- Globale- Reichweite
- Transparenz
Der Trend Assets zu tokenisieren und auf einer globalen, intermediärlosen Transaktionsabwicklungsplattform verfügbar zu machen ist unaufhaltbar. Im Januar 2020 hat das Transfervolumen von tokensierten Fiat-Währungen (Stablecoins) erstmals das Transfervolumen in Ethereum’s nativer Kryptowährung Ether überschritten. Das bedeutet, dass der Zahlungsverkehr mit stabilen Währungen rapide zunimmt und Ethereum zunehmend zu einer Transaktionsplattform wird. Neben Dollar Stablecoins, gibt es alle möglichen anderen Fremdwährungen wie die Nigerianische Naira, das britische Pfund oder die Türkische Lira. Weltweit kann jeder der möchte diese Währungen in einer Kryptowallet empfangen und handeln.
In Deutschland, assistieren Anbieter wie Upvest, Fundament oder Bitbond ersten, experimentierfreudigen Banken und Immobilienplattformen dabei Wertpapiere zu tokenisieren und auf die Blockchain zu bringen. Doch nicht nur Start-ups setzen auf Ethereum: auch Großbanken wie JPMorgan, Santander, BNP Paribas haben schon echte Anleihen tokenisiert. Interessant ist dabei auch, dass die Blockchain Abteilungen dieser Konzerne, den Open-Source Ethos der Kryptocommunity oftmals adoptieren und den Code ihrer Projekte veröffentlichen.
True Open Finance
In der Fintech Community wird oft davon geschwärmt wie Open-Banking und Schnittstellen neue Innovationen fördert. Auf Ethereum erreicht dieses Konzept jedoch neue Dimensionen. Was als Open-Banking in der traditionellen Finanzwelt beschrieben wird, ist in Wirklichkeit nicht wirklich “open”. Denn nicht jeder bekommt Zugang zu den Schnittstellen von Banken. Es sind Lizenzen nötig, bilaterale Verträge müssen unterzeichnet werden und die Implementierung der Schnittstelle kann von Bank zu Bank variieren.
Um auf Ethereum eine Anwendung zu bauen, muss keine zentrale Instanz um Erlaubnis gebeten werden. Anwendungen können auch nicht runtergenommen oder verboten werden.
Was meine ich genau mit “Anwendungen” ? Ganz konkret wird versucht die ganze Palette an Finanzdienstleistungen nachzubauen. Eine von den Vielen solcher Anwendungen ist das Kreditvergabeprotokoll “Compound”. Kurz erklärt, besteht Compound aus verschieden “Smart Contracts” auf der Ethereum Blockchain die zusammen einen Liquiditätspool an Assets bilden. Möchte man sich Assets aus diesem Pool leihen, schickt man zum Beispiel Ether als Pfand an das Protokoll. Daraufhin bekommt man seine Kreditsumme in Dollar Stablecoins ausgezahlt und kann über das Geld verfügen wie man möchte.
Wenn man sein Darlehen zurückzahlen möchte, schickt man die Kreditsumme inklusive Zins an das Protokoll und bekommt den hinterlegten Pfand in Form von Ether zurück. Nutzer die dem Protokoll Liquidität in Form von Dollar Stablecoins hinzufügen, bekommen als Gegenleistung einen Zins ausgezahlt. Der Zins wird algorithmisch je nach Angebot und Nachfrage definiert. Das ganze passiert automatisiert ohne KYC oder andere bürokratische Maßnahmen und es ist auch keine Bank nötig um Schuldner und Kreditgeber zusammenzubringen.
Dieses Protokoll kann dann von verschiedenen Wallet Interfaces wie Argent, ZenGo oder Authereum integriert werden. Wie gesagt, ohne Verträge oder Erlaubnis. Die Funktionen in den Smart Contracts des Compound Protokolls sind öffentlich und können von jedem aufgerufen werden. So können Wallets einen ganzen “Stack” an bankähnlichen Dienstleistungen anbieten und das auf globaler Ebene und ohne, dass der Nutzer die Kontrolle (“Custody”) über seine Assets verliert. Um bei Argent beispielsweise unkompliziert Tokens handeln zu können (z.B Dollar Tokens gegen Ether) dafür sorgt die Integration des Kyber Network Protokolls. Wer lieber in einen Robo-Advisor vertraut, statt selber zu handeln, dem wird mit einer Integration von Tokensets Abhilfe geschaffen.
In dem Moment, indem ein Finanzgut auf Ethereum tokenisiert wird ist es global verfügbar und kann in anderen Applikationen wiederverwendet werden. So ist es zum Beispiel leicht sich vorzustellen, dass in naher Zukunft nicht nur Ether (oder andere herkömmlichen Kryptoassets) als Pfand für einen Compound Kredit taugen, sondern auch zum Beispiel eine tokenisierte Hausanleihe.
Die Vision von Ethereum ist die eines Finanzsystems in dem alle Anwendungen auf einer Plattform existieren und reibungslos miteinander kommunizieren können. Ein effizienteres und offeneres Finanzsystem.
Zum Autor:
Emanuel Coen ist für Business Development beim Micropayment-Anbieter SatoshiPay verantwortlich. Außerdem betreibt er das Kryptovergleichsportal Cryptotesters (https://cryptotesters.com/), indem er versucht Konzepte rund um Kryptowährungen einfach zu erklären sowie die Suche nach den besten Wallets, Kryptobörsen und anderen Kryptoprodukten zu erleichtern. An der Blockchain-Technologie faszinieren ihn vor allem die langfristigen Implikationen auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.