Dürfen wir vorstellen: Dr. Verena Thaler von Raisin
Das Arbeiten in der FinTech Branche gleicht einem Kommen und Gehen, setzt ein hohes Maß an Professionalität in einem durchaus lockeren Arbeitsumfeld voraus und ist vor allem geprägt von Innovationen sowie guten, klugen und zukunftsorientierten Ideen, so der weit verbreitete Konsens. Doch wer sind eigentlich die Köpfe und Macher hinter diesen kreativen Denkprozessen, an der Schnittstelle zwischen Finanzen, digitalen Technologien und Gründertum? In unserer Reihe Die Gesichter der FinTech Branche stellen wir regelmäßig einer Person aus der Payment- und Banking-Industrie die gleichen zehn Fragen. Diesmal beantwortet Dr. Verena Thaler unsere Fragen.
Dürfen wir vorstellen…
Während unseres Arbeitsalltags begegnen uns immer wieder spannende Menschen, die im gleichen Umfeld tätig sind, die uns nur einmal oder immer mal wieder begegnen oder uns sogar schon privat sehr ans Herz gewachsen sind – jeder von Ihnen hat eine eigene Geschichte. Wir haben ein paar dieser Menschen aus unserem nächsten FinTech-Umfeld interviewt, um ihnen ein Gesicht zu geben. Um zu teilen, warum diese Branche für sie viel mehr ist als eine weitere Art, seine Miete zu bezahlen. Diese Menschen und deren Vita möchten wir in einer ganz eigenen Kategorie kurz porträtieren und vorstellen und haben dazu einen immer gleichen Fragenkatalog entworfen. Diesmal beantwortet Dr. Verena Thaler unsere Fragen. Verena ist Head of Strategy beim Fintech Raisin.
Wer bist Du, was machst Du?
Ich bin Verena Thaler, Head of Strategy & Business Development bei Raisin. In Deutschland sind wir eher bekannt unter der Marke WeltSparen, die Plattform für Geldanlage. Ich bin seit Februar 2020 dabei und gehöre zum Management des Unternehmens. Mit meinen Teams entwickeln wir gemeinsam mit unseren Partnerbanken individuelle Funding-Strategien. Über unsere europaweiten Plattformen erhalten sie Zugang zu grenzüberschreitender Einlagenfinanzierung und können so kosteneffizient ihre Finanzierungsquellen diversifizieren. Zudem verantworte ich die strategische Ausrichtung von Raisin. Unserer Vision folgend, arbeite ich gemeinsam mit dem Gründerteam daran, Geldanlage ohne Hürden für alle zugänglich zu machen. Als stark wachsendes FinTech haben wir noch viel vor.
Privat bin ich ein großer Fan von frisch geröstetem Kaffee, schneebedeckten Bergen und steirischem Kürbiskernöl – man merkt, ich bin Österreicherin. Ich habe aber schon lange mein Herz an Berlin verloren und zum Glück findet man zumindest zwei der drei Dinge auch hier.
Was waren Deine ersten Berührungen mit der Payment- und Banking-Industrie?
Der erste bewusste Kontakt war im Alter von elf oder zwölf Jahren. Ich fand es damals schon besser meine Finanzen (aka Taschengeld) mittels Online-Banking zu verwalten und habe meine Eltern dazu überredet, mir ein eigenes Konto einzurichten :-) Während meiner Zeit bei McKinsey & Company habe ich mich dann auch beruflich mit Banken beschäftigt und eine große Leidenschaft für diese Branche entwickelt. Dort habe ich – zuletzt als Junior Partnerin – mehr als sieben Jahre lang Banken beraten. Mein Fokus lag auf dem Bereichen Vertrieb und der Entwicklung von digitalen Go-to-market-Strategien, zum Beispiel: Wie lassen sich Finanzprodukte so digitalisieren und auf den Markt bringen, dass daraus kundenzentrierte Erlebnisse entstehen?
Wann hast Du das Wort FinTech das erste Mal wahrgenommen?
Den Trend habe ich erstmals wahrgenommen, als Vergleichsplattformen und Aggregatoren immer bedeutender wurden. Der Begriff FinTech hat sich irgendwann dazu geschlichen. Vor allem in der Zeit ab 2012/2013 brauchten die „jungen Wilden“ wie WeltSparen, N26, Lendico und Finleap einen Namen.
Wie definierst Du FinTech?
Für mich sind FinTechs Unternehmen einer neuen Finanzindustrie, die Technologie einsetzen, um damit Probleme und Kundenbedürfnisse innovativ zu lösen. Dazu definieren sie Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle neu. Häufig machen sie Finanzprodukte auch einer breiteren Masse zugänglich und unterstützen so den Abbau von Barrieren.Für mich persönlich kommen FinTechs immer aus dem Startup-Umfeld und bringen eine Disruptions-Mentalität mit.
Mittlerweile sind viele FinTechs aber keine Startups mehr, sondern zu Schwergewichten in der Finanzbranche gewachsen und heute nicht mehr wegzudenken. Ihr Einfluss reicht sogar weiter.Der Erfolg von FinTechs hat dazu beigetragen, dass in ähnlich etablierten Industrien mit Digitalisierungsdruck vermehrt gegründet wurde, um Kundenbedürfnisse durch einen innovativen Technologieeinsatz zu lösen. FinTechs sind daher für mich die Inspirationsquelle für Gründungen wie LegalTechs, InsurTechs, MedTechs und PropTechs.
“Der Erfolg von FinTechs hat dazu beigetragen, dass in ähnlich etablierten Industrien mit Digitalisierungsdruck vermehrt gegründet wurde, um Kundenbedürfnisse durch einen innovativen Technologieeinsatz zu lösen.”
Was glaubst Du machen etablierte Unternehmen besser als FinTechs?
Etablierte Unternehmen haben einige wichtige Assets, allen voran Daten. Durch ihre bestehenden, langfristigen Kundenbeziehungen und der dazugehörigen Transaktionshistorie haben sie einen sehr guten Blick auf ihre Kunden. Es gibt viele Unternehmen, die dieses Asset erkannt haben. Ein Beispiel dafür ist American Express, die Vorreiter in Advanced Analytics/Big Data sind und ihr gewonnenes Wissen erfolgreich eingesetzt haben, um Fraud und Identity Theft zu reduzieren.
Auf dem Weg dorthin haben auch Partnerschaften mit FinTechs eine wichtige Rolle gespielt. Dies ist ein Trend, den ich sehr erfreut beobachte: Aus heutiger Sicht haben traditionelle Unternehmen und FinTechs stark voneinander gelernt. In Summe finde ich es toll zu beobachten, wie etablierte Banken und FinTechs immer stärker aufeinander zugehen, sich wertschätzen und sich nicht länger als Konkurrenten, sondern als Partner verstehen, die wechselseitig voneinander profitieren.
Was kann man von FinTechs lernen?
FinTechs stechen für mich in drei Gebieten hervor: Unternehmenskultur, Agilität und Mut. Warum? Sie leben eine Kultur des “Hinfallen. Aufstehen. Weitermachen”. Ein Rückschlag wird auch als Chance verstanden und zum Erkenntnisgewinn genutzt. Mit dem neuen Wissen wird dann sofort das Produkt oder Geschäftsmodell verbessert. Gleichzeitig ist da dieser Schaffensdrang, die Agilität als Einstellung. FinTechs stehen nie still, sondern verbessern immer weiter. Das Feedback von Geschäftspartnern und Kunden wird intensiv genutzt und sichert mit schnellen Iterationen kurze Produktzyklen. Zudem sind FinTechs mutig.
Sie können sehr gut Chancen erkennen und Risiken abwägen. Sie sind es gewohnt, unter Unsicherheit zu entscheiden und diese Entscheidung schnell umzusetzen. Viele bezeichnen es als Mut, für mich ist es eher kalkuliertes Risk-taking. Diese Fähigkeiten und Einstellungen färben auf Mitarbeiter ab und manifestieren sich letztendlich in der unternehmerisch denkenden Kultur von FinTechs. Aus meiner Sicht sind das alles Werte und Fähigkeiten, die immer wichtiger werden.
Wieso tun sich etablierte (große) Unternehmen bei der Digitalisierung eigentlich so schwer?
Ich sehe das nicht so schwarz-weiß. Viele Incumbents sind innovativ und stellen sich immer wieder neu auf. In Summe sind es aber häufig strukturelle Nachteile, die etablierte Unternehmen nicht so flexibel oder agil auf Marktverän-derungen reagieren lassen. Der technologische sowie gesellschaftliche Wandel erfolgt mit enormer Geschwindigkeit, gleichzeitig steigen die Ansprüche von Kunden, Mitarbeitern und Partnern.
Klassische Beispiele hierfür sind die komplexen Strukturen großer Unternehmen, die mit dem digitalen Wandel nicht mithalten können. Dazu zählen oft nicht mehr zeitgemäße IT-Landschaften oder Kernbanksysteme, aber häufig auch eine gewisse Trägheit und Risikoaversion. Bei manchen Unternehmen – oder besser Unternehmenskulturen – habe ich das Gefühl, dass es bei der verhaltenen Digitalisierung um die Verteidigung des Status-quo geht. Es wird solange davor gescheut, offensiv voran zu gehen und sich vielleicht sogar mit dem Digitalangebot selbst zu kannibalisieren, dass es irgendwann die Konkurrenz tut. Es wird die Chance vertan, durch selbstbestimmten, frühzeitigen Wandel weiterhin die “Spinne im Netz” zu bleiben und die Wertschöpfung zu kontrollieren.
Was würdest Du beruflich machen, wenn Du nicht in der Payment- und Banking-Industrie arbeiten würdest?
Darüber habe ich mir noch nie ernsthaft Gedanken gemacht – ein gutes Zeichen, den richtigen Platz für mich gefunden zu haben :-)
Bei welchem Unternehmen würdest Du gerne mal einen Tag arbeiten?
Ich fände es sehr spannend, einen Tag im Bundeskriminalamt zu arbeiten. Mich treibt ein starker Drang, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen, Muster zu erkennen und Hypothesen-basiert weiterzuarbeiten. Daher fasziniert mich vermutlich die Kriminalistik und das “Handwerk” dahinter.
Mit wem würdest Du gerne ein Bier trinken?
Gern würde ich mich bei einem oder zwei Glas Wein mit Jacinda Ardern und Brene Brown austauschen. Ich bewundere bei Jacinda Ardern, Neuseelands Premierministerin, ihren Führungsstil und die Klarheit ihrer Entscheidungen, besonders in Krisenzeiten. Ich fände es sehr spannend zu erfahren, wie die letzten 12 Monate für sie waren und welche Ideen und Pläne sie noch für Neuseeland hat. Brene Brown ist Forscherin und untersucht den Einfluss von Verletzlichkeit, Empathie und Courage auf unser Leben – und welche Bedeutung diese Qualitäten für “authentic leadership” haben. Ich kann ihren TED Talk “The power of vulnerability” allen empfehlen. Ich finde ihre Forschung nicht nur persönlich spannend, sondern gerade auch für die Organisationsentwicklung. Dazu würde ich mich gern mit ihr austauschen.