Heute erklären wir, in unterschiedlichen Meinungen den Begriff: DISRUPTION
Vor einiger Zeit hatten wir uns schon einmal dem Begriff ‚FinTech‘ und dann dem Unterschied zwischen ‚Produkt und Feature‘ gewidmet. Heute nun die Mutter aller Buzzwords und der Angstmacher für viele Etablierte: Die berühmte Disruption.
Was ist denn das überhaupt und was sind konkrete Beispiele für disruptive Modelle? Und wo ist die Abgrenzung zur Innovation und Evolution?
http://www.gruenderszene.de/lexikon/begriffe/disruption
Wir haben in unsere erweiterte Runde gefragt und eröffnen hiermit eine neue Rubrik ‚…Was’n das?‘, in der wir frei nach unserem Credo, einen Blog zu führen, auf dem wir unser Expertenwissen rund um komplexere Inhalte klar und einfach darstellen und somit schneller konsumierbar machen. Da wir alle unterschiedliche Meinungen haben, die jedoch im Wesentlichen gleiche Gewichtung haben, sollen hier auch alle ihre eigene Definition bekommen.
Dazu werden wir hin- und wieder Gäste mit ebenso starken Meinungen einladen. Heute fangen wir also mit Disruption an und werden das mit anderen Begriffen und Themen in den kommenden Wochen immer mal wieder fortführen. Wie immer freuen wir uns über eure Ideen und Anregungen.
Nun aber zu den Antworten der Experten:
Zu Gast: Arnulf Keese und Miriam Wohlfahrt
JOCHEN:
Ich finde der Begriff “Disruption” wird extrem inflationär verwendet und ist für mich mittlerweile absolut negativ besetzt. Ich denke da an den SVP Payment der Deutschen Telekom, der sein mittlerweile eingestelltes Mywallet Produkt bei Payment-Konferenzen großspurig als disruptive Innovation ankündigte oder an das O2 Banking Produkt, eine eher mittelmäßige Kopie von N26, was dennoch als “disruptivstes Banking” angekündigt wurde. Wenn jemand “disruptiv” in den Mund nimmt, höre ich mittlerweile fast automatisch auf, überhaupt zuzuhören und das Gesagte gar nicht mehr Ernst zu nehmen!
Was ist disruptiv? Das iPhone war disruptiv! Es hat nicht nur den kompletten Mobilfunkmarkt auf den Kopf gestellt, man denke nur an die Entwicklung von Nokia und RIM/Blackberry. Es hat unser Konsumentenverhalten komplett geändert und massive Auswirkungen auf viele andere Industrien – man denke nur an Foto-Kameras/Camcorder, Musikindustrie, Handelskanäle etc.
Wieviel Disruption haben wir in den letzten Jahren gesehen? Nicht viel! Wieviel Disruption wurde versprochen, aber nur mini Evolutionsschritte geliefert? Sehr sehr viel! Jeder, der das Wort disruptiv in den Mund nimmt, sollte vorher nochmals überlegen ob er wirklich der eigentlichen Definition entspricht oder ob es nur billiges Marketing Blabla ist.
KILIAN:
Ich versuchs auf die Kürze: Disruption ist der Versuch bestehende Prozesse und Denkweisen mit Hilfe “unlauterer” Mittel oder neuer Ansätze aufzubrechen und damit “zu zerstören”. Disruption schafft direkt Wert. Disruption schafft direkten Wettbewerb. Disruption kommt mit einer gewissen “Naivität” daher. Disruption ist meist prozessual getrieben. Disruption kann Innovation nutzen, muß aber nicht.
Innovation will etwas neues Schaffen. Was noch nie da Gewesenes. Innovation schafft nicht zwingend direkten Wert. Innovation birgt das größte v.a. unternehmerische Risiko, bietet aber das Potenzial auf den Blue Ocean. Innovation ist oft technologisch getrieben nicht immer porzessual.
Evolution will nichts neues. Es ist ein inkrementeller Ansatz aus kleinen Schritten. Mit wenig Risiko aber auch weniger Uplift.
MAIK:
“Eine disruptive Technologie (englischto disrupt „unterbrechen“) ist eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt.“, heißt es in der Wikipedia. Als Beispiel wird unter anderem das Smartphone mit Touchscreen genannt, welches die Featurephones ersetzt hat. Aber war das iPhone wirklich eine disruptive Entwicklung oder nur eine evolutionäre Weiterentwicklung der Handys von Nokia?
Die Grenze zwischen Innovation, Evolution oder letztendlich Disruption sind fließend. Für mich hat Disruption nicht nur mit Technologie zu tun, sondern auch mit einer Denkweise und Kultur. Disruptive Unternehmen halten sich nicht an geschäftliche Konventionen, sondern brechen alte Denkweisen auf und gehen völlig neue Wege. Ein Bespiel dafür ist der iPod (der MP3-Player von Apple). Als Ende 2001 der erste iPod vorgestellt wurde, gab es bereits seit Jahren Mp3-Player von Sandisk, Creative oder Sony. Die Art und Weise wie der iPod bedient wurde und die Verknüpfung zu iTunes und damit einhergehend der Möglichkeit einfach Musik zu kaufen und auf den iPod zu laden machte den iPod erfolgreich. Apple hat mit dem iPod ein Gerät geschaffen, welches auf der einen Seite extrem einfach zu bedienen ist und auf der anderen Seite mit iTunes erstmalig in der Geschichte Musik auf einfache Art und Weise, digital gekauft werden konnte.
Das aus meiner Sicht treibende Merkmal von Disruption ist die Denkweise. Auch hier ein Beispiel. Bis Ende der 90er Jahre war der Magenbitter Jägermeister vor allem als ‚Altherrengetränk‘ bekannt. Durch schwindende Umsätze hat man Jägermeister völlig neu ausgerichtet und aus dem Magenbitter ein Lifestyle-Getränk gemacht. Jägermeister-Mast SE konnte durch eine andere Denkweise und Unternehmenskultur eine neue Zielgruppe erreichen und den Umsatz von 182 Mio. EUR Ende der 90er auf heute 568 Mio. EUR steigern. Sogesehen hat Jägermeister den Markt der Spiritousen disruptiert und ist heute die wertvollste deutsche Spirituosenmarke.
RAFAEL:
Oh jee, dieses Wort. Wenn jemand das Wort benutzt, kann ich mir fast immer sicher sein, dass derjenige mit Sicherheit nicht Christensens Definition von “disruption” meint.
Vieles was gemeinhin als disruptiv bezeichnet wird, sind meist nur graduelle Verbesserungen. AirBnB hat keine Hotels und Hotelketten obsolet gemacht, Netflix hat nicht TV und keine TV Sender obsolet gemacht (Reed Hastings ist einer der wenigen Gründer den diese Bezeichnung auch selbst nervt), Uber hat nicht Taxis oder Taxi-Firmen obsolet gemacht. Alles was sich sonst noch gern (insbesondere selbst) als disruptiv bezeichnet ist es mit Sicherheit nicht, aber wir brauchten wohl einen Ersatz für innovativ.
Selbst wenn man an die erfolgreichen Neu-Ausrichtungen von Unternehmen denkt war dies keine Disruption – ich denke da z.B. an Mannesmann der sich vom Industriekonzern zum Telekommunikationskonzern wandelte.
Auch die manchmal zitierte Disruption durch Smartphones ist in meiner Wahrnehmung noch nicht vollzogen. Erst 2016 haben die Smartphones global betrachtet die dummen Mobiltelefone überholt – von Verdrängen sind wir also noch ein wenig entfernt (das fühlt sich natürlich in einigen Ländern mit einer hohen Smartphone Penetration anders an). Natürlich hat Nokia als Hersteller gelitten aber Nokia hat (noch) nicht das Schicksal der Pferdekutschen Hersteller ereilt.
Ich würde mir wünschen, dass wir Begriffe einfach so verwenden wie sie definiert wurden. Alternative Fakten sind Lügen und Disruption ist Clayton M. Christensen’s Definition und nichts anderes.
ANDRÉ:
In der Tat ein echtes Buzzword und nur in den seltensten Fällen erfüllen hier Aussagen von vermeidlichen Disruptoren die hohen Erwartungen an den Begriff.
Wenn ich drüber nachdenke fällt mir auf, dass Disruption sicher auf einer Makro-Ebene betrachtet werden muss, aber jeder von uns im Alltag seine persönlichen Disruption-Cases hat.
Welche Disruptionen habe ich persönlich bisher in meinem Alltagsleben erlebt:
Meine teuer gekaufte Platten- und CD Sammlung verstaubt im Keller und ich liebe Spotify
Teure externe Festplatten liegen in Mengen neben der U2 Platte, da ich alles in der Dropbox habe
Fotoalben und DIAs sind noch da, aber alles Neue (seit 1998) liegt bei Apple Foto in der Cloud
die Taxi Zentralen der Großstädte sind aus meinem Adressbuch verschwunden und die mytaxi App bzw. das Alexa Skill haben diese komplett ersetzt
meine HIFI Anlage, die immer wesentlicher Teil von Kinderzimmer, Studentenwohnung und auch noch Haus war, musste kleinen weißen Boxen weichen, die mit dem Handy bedient werden
Ich nutze noch Hotels, aber airbnb ist fester Bestandteil meines beruflichen und privaten Reisens und hat damit eine Industrie auf den Kopf gestellt
Die Liste ließe sich sicher lange fortsetzen und meine Definition ist dann auch eher die, dass ich weniger Zerstörung als mehr eine Umwälzung eines Marktes / einer Nutzung als ausreichendes Merkmal der Disruption verstehe.
Während es sich bei einer Innovation um eine Erneuerung handelt, die den Markt nicht grundlegend verändert, sondern lediglich weiterentwickelt, bezeichnet die disruptive Innovation eine komplette Umstrukturierung beziehungsweise Zerschlagung des bestehenden Modells.
ARNULF:
Wie jede grosse Idee wird natürlich auch die der Disruption inflationär zitiert – da muss man halt trennen lernen zwischen Buzzword-Rauschen und echter Substanz.
Aber vom Prinzip ist Disruption der grossartige Schlüssel dazu, aus bekannten Einzelteilen etwas Neues zu schaffen, einen kreativen Prozess der Erneuerung systematisch zu betreiben. Der Kern der Disruption ist für mich die Ablösung des Bestehenden durch das Bessere indem man neue Perspektiven findet und sich auf die Lösung eines Problems für den Benutzer konzentriert. Meist, indem man durch klaren Blick den wesentlichen Schwachpunkt im Bekannten erkennt – und diesen ersetzt durch eine schockierend einfache bessere Idee.
Und auf einmal wird etwas Altbekanntes neu erfunden und ein bis dahin hinzunehmendes Problem verschwindet einfach und wir fragen uns, wie wir die alte Lösung des Problems je vorher ertragen haben.
Ich finde, genau daran erkennt man auch am besten die wahren Disruptionen, an diesem Aha-Moment, der Überraschung, das eine so viel bessere Lösung all die Jahre scheinbar so nah direkt vor unserer Nase lag, oder dass durch eine Kombination bekannter Technologien etwas völlig Neues und Besseres entstehen konnte.
Mir ging es so bei den Karten-Apps, die die Landkarte abschaffte, die man einfach nicht beim Fahren bedienen konnte. Sicher gab es vorher GPS, Verkehrsfunk, digitale Karten und Navigation – aber alle standen für sich alleine. Immer wieder einmal wurden ein paar dieser Zutaten kombiniert, aber nie so richtig gut. Und auf einmal waren Handys, Mobilfunknetze und geniale Entwickler soweit und zauberten Google Maps etc. herbei. Seitdem habe ich weder Landkarten, Navis oder Verkehrsfunk mehr benützt – und nicht eine Sekunde vermisst. Und nutze eigentlich auch gar nichts mehr von dem Entertainment meines Autos außer den Lautsprechern. Mal sehen wer als nächstes disruptiert wird …
MIRIAM:
Für mich persönlich gibt es keinen Unterschied zwischen Evolution und Innovation. Beides ist für mich eine Art konsequente Weiterentwicklung oder auch Verbesserung (auf Basis von gelernten Verhaltensweisen und Bildung) eines bestehenden Zustandes, einer Idee oder eines bereits etablierten Produktes.
Innovationen und Evolution verändern nicht das komplette Verhalten.
Disruption bedeutet für mich Dinge ganz neu zu denken, sie buchstäblich zu entwurzeln oder sie zu zerstören.
Disruptoren sind somit eigentlich immer Innovatoren weil es immer eine Weiterentwicklung gibt. Innovatoren sind aber nicht immer Disruptoren, weil sie das Verhalten nicht komplett verändern.
Beispiel:
Innovation: Tesla vs. Dieselmotor = beides ist Autofahren , Handy vs. Telefon
Disruption: Das Auto hat die Pferdekutsche ersetzt, Apps auf dem Smartphone (Wetter, Uber, Wecker..)
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