Durch das Streben nach der einen App, die alles in sich vereint, machen Fintechs, Neobanken und Payment-Anbieter all das kaputt, was sie sich über Jahre aufgebaut haben – und wiederholen den großen Fehler der Banken und die Super-App kann sich zum Super-GAU entwickeln.
Die Payment and Banking-Szene ist unzweifelhaft niemals langweilig. Kein Monat vergeht, ohne dass neue Produkte, Banken, Fintechs und Payment-Lösungen auf den Markt kommen. Aber wer braucht das eigentlich alles und muss man das alles gut finden? Unser Autor Nils Wischmeyer beleuchtet in seiner Kolumne „Nils nörgelt“ ab sofort monatlich ein Produkt, Thema oder eben den „letzten heißen Scheiß“. Etwas zu meckern gibt es schließlich (fast) immer.
Bei nahezu jeder Konferenz, bei der drei Fintech-Experten zusammensitzen, kommt der Name irgendwann auf: WeChat. Die chinesische Super-App, die Banking, Einkaufen, Nachrichten und dutzende andere Funktionen in einer Applikation vereint, hat 1,2 Milliarden Nutzer jeden Monat. Sie gilt vielen in der Branche wahlweise als feuchter Traum oder als Heiliger Gral für die Plattformökonomie, eine App, die der Kunde quasi nie verlässt.
Ebenso schnell wie der Name fällt, kommen dann auch die Fragen: Wo ist das nächste WeChat? Kommt es aus den USA, Europa oder doch Asien? Schnell folgt ein Überbieten, welche großen Techplayer sich angeblich um den Markt schlagen, von Apple über Facebook bis Google und seit einigen Jahren gehören auch die Neobanken und Fintechs in diese Liste. Klarna plant die Super-App, N26 will die Super-App, N26-Rivale Revolut träumt ebenfalls von der “Finanz-Super-App” und Stocard-Chef Björn Goß schreibt bei PaymentandBanking: „AliPay, PayPal, Google Wallet oder doch Square – Der Wettlauf um die Banking-Super-App in Europa und warum eine europäische Super-App nur noch eine Frage der Zeit ist.
Der kurzfristige Drang zur Super-App wird langfristig Kunden verschrecken
Ich mag euch und Sie nur ungern aus den Träumen reißen, aber das ist der genau falsche Weg. Indem Fintechs und Neobanken wahlweise zu Superapps oder Finanz-Superapps werden, machen sie den gleichen Fehler wie Banken – zu Lasten der Kunden. Ich kann den Drang durchaus verstehen, gerade auch von Investoren, eine Super-App zu basteln, eine, um sie alle zu kontrollieren, zu binden und zu monetarisieren. Doch was auf dem Papier gut aussieht und kurzfristig einen hohen Return und auch eine krasse Bewertung verspricht, wird den Fintechs und Neobanken langfristig auf die Füße fallen. Kunden werden sich entnervt abwenden, die kurzfristige Strategie die nachhaltige Entwicklung ruinieren.
Das kann durchaus lange gut gehen, wie sich bei Klarna zeigt. Der Zahlungsanbieter war zu Anfang eben genau das: ein langweiliger Zahlungsanbieter mit kleinen Margen, die sich zu großen Umsätzen und Gewinn stapelten. Ein bisschen hätten wir uns das ja auch in Deutschland gewünscht, aber nein, wir hatten Wirecard. Klarna aber hat nun den Schritt gewagt, und ist vom Payment-Anbieter zur Shopping-Seite geworden, vom Hintergrund in den Vordergrund getreten und bietet heute ein ganzes Portfolio an Produkten an – und warum dann nicht auch mehr? Warum nicht gleich auch die Cocktails mit der Freundin über Klarna buchen? Warum nicht alle Versicherungen dort einsehen können? Konkurrenten wie Revolut oder auch Check24 gehen ähnliche Wege, doch sie alle machen zwei große Fehler,
Fehler 1: Die Überladung der App
Sie überladen ein sinnlich, schönes Produkt mit komplizierten Features, die der Kunde meist nicht will, braucht und wenn doch, woanders meist noch besser bekommt. Fünf Jahre noch und die Apps von Revolut, N26 oder Klarna sehen aus wie die Apps von Direktbanken wie der DKB und der ING, vielleicht noch schlimmer. Schon heute ist das nervig: Sie wollen ihr Konto checken?
Hier sind drei Bausparverträge, ein ETF-Angebot, zwei offene Nachrichten und übrigens, wir könnten ihr Geld auch nachhaltig anlegen. Los klick den Link an, jetzt sofort! Das ist genau das, was (junge) Kunden hoffen, loszuwerden, wenn sie auf Fintechs und Neobanken vertrauen. Klar, neue Produkte sind nicht per se schlecht, aber niemand will Tag und Nacht in seiner Banking-App hängen. Im Gegenteil: Am liebsten will ich mich gar nicht darum kümmern und wenn doch, soll es schnell schnell gehen und ciao.
Fehler 2: Copycat, but Copycat is dead
Fintechs und Banken wollen so sein wie Google, weil Google ja das nächste WeChat sein könnte, doch Google will gar nicht so sein wie WeChat. Ja, schon vor Jahren wollte der Konzern in Versicherungen und dann mal in Finanzen machen, was allerdings kläglich scheiterte. Jetzt gibt es zaghafte Versuche, ein bankenähnliches Produkt anzubieten, doch wird das meiner Meinung nach entweder a) nicht kommen, b) nicht erfolgreich sein oder c) es nicht aus den in Schecks verliebte USA auf den europäischen Kontinent schaffen, wo die Konkurrenz für gutes Banking gigantisch groß ist. Das WeChat so groß ist, liegt auch daran, dass es die GAFAs in China nicht gab und auch gutes oder gar digitales Banking eine Rolle hätte spielen können.
Ja, WeChat ist in China (und teils darüber hinaus) aus vielen Gründen extrem beliebt, die hier einfach nicht vorliegen. So ist WeChat zum einen ein Produkt einer Gesellschaft, die die Kreditkarte einfach übersprungen hat und zum anderen eines, bei dem es quasi gar keinen Datenschutz gibt, wovon die App (und der Staat) profitieren; in Deutschland völlig undenkbar. Kurz gesagt: WeChat funktioniert in einem Markt und das war es.
Die One-Butten-App ist der wahre Traum
Am Ende ist die beste Lösung, es genau anders zu machen: Lasst die Super-App doch Super-App sein und konzentriert euch auf kleine, aber feine und dafür kostengünstige, transparente und übersichtliche Lösungen. Das erwarte ich als Kunde von euch und deshalb lade ich eure Apps runter und stelle mich in die digitale Warteschlange. Statt also eine Super-App zu entwickeln, sollten Fintechs, Neobanken, Paymentanbieter und klassische Banken auf “One-Button-Apps” schielen. Das Prinzip dahinter ist ziemlich simpel: Ich öffne die App, drücke einen Knopf und “the magic happens”, wie es so schön heißt. Der Musikerkennungsdienst Shazam ist so ein Beispiel, aber auch “Hungry Now”, die App die das nächste Restaurant in der Nähe sucht. Das will ich: Die App soll die Arbeit für mich machen und mich nicht überfrachten mit drölftausend neuen Features.
Wenn ihr das oder ähnliche Magie nicht mehr bieten könnt, liebe Angreifer, muss ich eben doch wieder die Sparkassen-App herunterladen. Wollt ihr mir das wirklich antun?