Den richtigen Produkt-Marktet-Fit zu finden, ist leichter gesagt als getan. Das gilt insbesondere für Deutschland. Das Finden von Marktlücken ist hierzulande aufgrund vielzähliger Besonderheiten von Markt und Konsumenten besonders herausfordernd. Sieht man sich im Ökosystem genauer um, fallen dennoch einige FinTechs auf, denen genau das gelungen ist und die wir in unserer Best-Practices-Serie genauer betrachten werden. Zum Auftakt: Raisin.
Ein Beispiel für einen erfolgreichen Product-Market-Fit ist das Berliner Fintech Raisin (hierzulande bekannt unter der B2C-Marke „Weltsparen“) aus Berlin, ein Spar- und Investment-Marktplatz. Raisin vermittelt Sparer aus Europa an (Partner-)Banken in anderen Ländern mit höher verzinsten Sparangeboten.
Raisin ist es gelungen, das Bedürfnis deutscher Sparer nach risikoarmen sowie von der Einlagensicherung abgedeckten Anlageformen zu adressieren und hat damit ein Musterbeispiel für erfolgreichen Product-Market-Fit geschaffen.
Neue Länder im Visier nach der Anpassung
Das Unternehmen wurde 2012 gegründet und viele Start-ups versuchten, den Erfolg von „Rocket Internet“ zu imitieren. Auch die Geschichte von Raisin beginnt mit den drei Ex-McKinsey-Beratern Tamaz Georgadze, Frank Freund und Michael Stephan. Ihr Vorgehen war strategisch: Zunächst wurden zehn verschiedene Ideen bewertet, dann auf drei reduziert. Am Ende entschied sich das Gründerteam dazu, einen globalen Marktplatz für Sparprodukte zu entwickeln (daher der Name „Weltsparen“).
Das Team zielte darauf ab, europäische Sparer mit Einlageinstituten in Drittländern außerhalb der EU zu verbinden. Aufgrund regulatorischer Anforderungen rückte das Vorhaben jedoch schnell in weite Ferne.
Das Team passte das Geschäftsmodell an und konzentrierte sich „ausschließlich auf EU-Staaten, auch wenn die Zinsunterschiede weniger groß waren. Aber durch das europäische Passporting und die Einlagensicherung konnten wir ein solides und risikoarmes Geschäftsmodell für deutsche Sparer aufbauen“, so Michael Stephan, COO bei Raisin.
Mithilfe einer einzigen PowerPoint-Präsentation und der Unterstützung von Freunden und Familien sammelte das Raisin-Team eine erste Finanzierung ein und konzentrierte sich darauf, Bedürfnisse von Kunden und Banken zu validieren.
Product-Market-Fit und der frühe Wettbewerb
Michael Stephan kennt die deutschen Kunden gut. „Gerade deutsche Konsumenten haben eine Vorliebe für Fest- und Tagesgeldprodukte und vergleichen dabei eifrig Konditionen verschiedener Anbieter.“ Es sei dennoch alles andere als einfach gewesen, Kunden davon zu überzeugen, das Geld einem jungen Start-up anzuvertrauen. Vor allem, da Kunden für Fest- und Tagesgeldprodukte bisher auf traditionsreiche und vertrauenswürdige Banken zurückgegriffen haben.
Mit Deposit Solution (B2B) und Savedo (B2C) starteten etwa zeitgleich weitere Mitbewerber, davon ist Raisin als einziges Unternehmen übrig geblieben. „Einfachheit und Fokus auf das Kerngeschäft half uns also dabei, die richtigen Prioritäten zu setzen“, lautet Raisins Erklärung hierfür.
Die goldene FinTech-Regel: Mache eine Sache, aber mache sie richtig
„Eine Sache machen, aber sie richtig machen“, hielt Raisin zuächst davon ab, zu früh zu skalieren. Gleichzeitig suchte das Team fortlaufend nach Wegen, das Nutzererlebnis zu verbessern und frische Ideen zu generieren. So wurden etwa studentische Berater engagiert oder direktes Kundenfeedback eingeholt. Eine Praxis, die bis heute gilt: Noch immer lädt Raisin seine aktivsten Kunden zum Dinner mit dem Management zum Austausch ein.
Mittlerweile ist Raisin ein EU-weiter Marktplatz. Bei der Entscheidung, zunächst in Deutschland zu starten, war sich das Management schnell sicher. Die Auswahl anderer Märkte gestaltete sich hingegen deutlich schwieriger: Zunächst startete Raisin in Österreich, danach in Frankreich. Doch trotz Marktforschung erzielte man im französischen Markt nicht den erwünschten Erfolg.
Selbstkritisch resümiert Stephan: „Obwohl das Feedback aus dem französischen Markt gegen unser Produkt sprach, waren wir durch den Erfolg im deutschen Markt zu selbstbewusst. Das hatte Auswirkungen auf das Urteilsvermögen. Doch solche Lehren sind Teil der unternehmerischen Reise, und Fehler können vermieden werden.“ Mit einem Fokus auf das Tagesgeldprodukt entpuppte sich der Start in den Niederlanden hingegen als Erfolg.
In Ergänzung zur ursprünglichen Fest- und Tagesgeldstrategie bietet Raisin mittlerweile ETF-, ETF-Robo- und Altersvorsorgeprodukte an. Die jüngste Ergänzung sind Kryptowährungen.
Embedded Finance, bevor es cool war
Als Raisin im deutschen Markt startete, war die Partnerschaft mit der MHB Bank als Banking-as-a-Service-Provider essenziell für die Gewährleistung regulatorischer Compliance. Fintech Start-ups, die damals nach Partnerbanken Ausschau hielten, wurde aufgrund der schwer vorherzusehenden Risiken grundsätzlich kritisch beäugt.
Mittlerweile gibt es diverse BaaS-Anbieter im Markt, doch Raisin ging sogar noch einen Schritt weiter und erwarb 2019 direkt eine Bank, die den regulatorischen Rahmen beisteuerte. „Deutsches Fintech kauft Bank“ lauteten die Schlagzeilen damals. Bis heute ein seltener Vorgang, der aber eindrucksvoll den gestiegenen Stellenwert der Fintech-Branche unterstreicht.
Raisin Bank jetzt als Partner auch für andere Fintechs
Die MHB Bank agiert mittlerweile unter der Marke „Raisin Bank“ und agiert als BaaS-Anbieter für viele weitere Fintech-Unternehmen. Was zunächst dem Kerngeschäft diente, weckte neue Ambitionen, insbesondere hinsichtlich Embedded Finance. Im vergangenen Jahr erwarb Raisin mit dem Bankhaus August Lenz eine weitere Bank und arbeitet am Ausbau des Produktportfolios (u.a. Konten, Zahlungsverkehr, Kredite und Factoring). „Das Geschäftsmodell der Raisin Bank sollte sich selbst tragen können und wir haben nichts dagegen, wenn die Raisin Bank eines Tages größer ist als Raisin“, sagt COO Stephan und betont das noch große Potenzial für BaaS-Lösungen.
Raisins „Kaufrausch“ endete längst nicht bei BaaS-Anbietern. Im Jahr 2021 verschmolz das Unternehmen mit seinem größten Herausforderer Deposit Solutions und baute seinen Marktplatz für Einlagenprodukte weiter aus. Doch zunächst mussten Prozesse und Erwartungen angeglichen werden und nicht für alles gab es direkt eine Lösung. Zwei Teams, die vorher gegeneinander gearbeitet haben, mussten beispielsweise zusammengeführt werden.
Von „Competition“ zu „Coopetition: Wie man die Business-Ehe meistert
Wesentlicher Erfolgsfaktor Raisins war die Stabilität innerhalb des Kernteams „Zu Beginn hatten wir einen Rocket-Startup-Ansatz, aber wir haben schnell verstanden, dass Fintech-Geschäftsmodelle viel Zeit und Kapital erfordern, bis sie profitabel sind.“ Zudem habe sich gezeigt, dass Stabilität innerhalb der Führungsebenen sehr förderlich für das Unternehmen sei und wie ungesund Streit innerhalb des Managements.
Wie kann die Business-Ehe funktionieren? Erstens: Zu Beginn die richtige Wahl treffen und viel kommunizieren. Zweitens: Probleme offen thematisieren. „Wichtig ist außerdem, gemeinsame Erinnerungen zu schaffen. Letztendlich muss man es als Bekenntnis verstehen und sich einbringen. Es ist mehr als nur ein Zweckbündnis. Das gilt für die Business- sowie für die echte Ehe“, so Stephan.
Mit einer Mischung aus vorsichtigem Wachstum, ausreichender Marktforschung, Fehlschlägen und Fokus auf ein „besseres Nutzererlebnis“ war es Raisin von Anfang an wichtig, materielle Werte für den Kunden zu schaffen und damit langfristig erfolgreich zu werden. Hierzulande haben Kunden nach Unternehmensangaben seit Start der Plattform rund eine Milliarde Euro an Zinsen verdienen können – den Großteil davon übrigens allein im letzten Jahr.
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