Der digitale Strukturwandel bleibt in seinen Auswirkungen grundlegend und unaufhaltsam. Er verändert die Art und Weise, wie sich Unternehmens- und Handelsstrukturen entwickeln, wie künftig Werte generiert werden und wie wir miteinander interagieren. Vieles, was wir gestern nur erahnen konnten, gehört heute bereits zum routinierten Alltag und kann morgen schon wieder obsolet werden. Daher ist es existentiell für jede Volkswirtschaft, permanent in Forschung und Entwicklung, in (digitale) Infrastruktur, in Bildung und somit in innovative Geschäftsmodelle zu investieren. Nur so können dauerhaft Wirtschaftswachstum, Wohlstand und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Nur so bleiben auch Deutschland und Europa wettbewerbsfähig.
Viele erfolgreiche Geschäftsmodelle werden derzeit durch zwei wesentliche ökonomische Technologien getrieben:
- der API Economy (Ökosystemisierung via Programmierschnittstellen), also der Herausbildung digitaler Plattformlösungen sowie
- der Token Economy, der Entmaterialisierung sowie dem Handel und der Verwahrung von (digitalen) Vermögenswerten und Rechten.
Beide Bewegungen wirken sich fundamental auf die Transparenz-, Effizienz- und Rechtssicherheitsanforderungen von Wertschöpfungsnetzen aus und entfalten zunehmend wirtschaftliches Potential. Diese Entwicklung erfährt durch die oft unterschätzte Konvergenz beider Technologien eine sich noch weiter beschleunigende Dynamik. Durch die Verschmelzung entstehen branchenübergreifend viele innovative Geschäftsideen und komplementäre Geschäftsmodelle, wie z.B. der Handel und das Verwahren von Krypto-Assets im Finanzbereich, eingebettet in nutzerfreundliche und vernetzte „Alles-aus-einer-Hand-Plattformlösungen“. Gleichzeitig werden dadurch aber auch Wertschöpfungsprozesse bzw. Handelsverflechtungen globaler, komplexer und intransparenter. Besonders der Finanzsektor benötigt für die zunehmend digitalisierten und tokenisierten Kapitalmärkte dringend Lösungen für diese globalen Herausforderungen. Wie können diese aussehen?
Notwendig werden robustere, effizientere, schnell anpassungsfähige, und damit resilientere IT-Architekturen. Vertrauen spielt hier in Form von regulativ induzierter Rechtssicherheit durch standardisierte Abläufe bei der sofortigen und automatisierten Identifizierung von Unternehmen und natürlichen Personen eine wesentliche Rolle. Eine Schlüsselrolle kann hierbei einer möglichst global akzeptierten und standardisierten digitalen Identität sowohl für Rechtsträger als auch für natürliche Personen zukommen.
Es ist zudem zu erwarten, dass digitale Identitäten künftig bei vernetzten Gegenständen und Maschinen ebenfalls zum Einsatz kommen, damit sich z.B. das vielgepriesene Potential im Bereich Internet der Dinge (IoT) optimal entfalten kann. Um die Transparenz in den internationalen Handelsverflechtungen und Zahlungsströmen zu erhöhen, werden auch zuverlässige Datenquellen und Daten-auswertungen relevanter.
Das steckt hinter der Konvergenz
Um die sich beschleunigende Dynamik und die daraus entstehenden ineinander verflochtenen Prozessschritte sowie die Entwicklung der API- und Token Economy besser zu verstehen, lohnt sich ein Exkurs in die Sprachwissenschaft. Die angelsächsische Linguistik bietet für den Begriff „Digitalisierung“ zwei unterschiedliche Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung“: „to digitalise“ und „to digitise“.
Der Trend der API Economy kann durch das Wort „digitalise“ leichter verstanden werden. „To digitalise“ meint die Digitalisierung von Systemen, Prozessen, Architekturen oder ganzen Wertschöpfungsnetzen. Im Kleinen gedacht können z.B. Überweisungen heute via Online-Banking bequem von mobilen Endgeräten mit einem Klick, Touch oder Sprachbefehl vom Sofa aus in Auftrag geben werden. Etwas größer dimensioniert manifestiert sich dieser Digitalisierungsprozess in der Entfaltung und Etablierung digitaler Ökosysteme wie den sogenannten Big Techs – aber auch viele kleine digitalen Plattformen stellen das zunehmend erfolgreich unter Beweis. Die Auswirkungen der API Economy waren und sind für viele traditionelle Unternehmen schmerzhaft. Der Wettbewerb mit erfolgreich agierenden, digitalen Plattformarchitekturen nimmt zu. Dank ausgeklügelter Monetarisierungsmechanismen, interoperablen und offenen Technologiestandards, leistungsstarken Cloudlösungen, einem Umdenken in der Datenverarbeitung und -nutzung sowie der strategischen Nutzung von Skalen-, Netzwerk- und Lock-In-Effekten werden relativ loyalen Kunden zahlreiche Anreize zur Nutzung komplementär vernetzter, digitaler Produkte und Dienstleistungen bequem und vor allem „alles-aus-einer-Hand“ angeboten.
Ein Ende der API Economy ist (vorerst) nicht abzusehen.
Der Nachholbedarf vieler traditioneller Unternehmen mit klassischen Geschäftsmodellen ist nach wie vor enorm. Es ist zu beobachten, dass die Kollaborationen als strategisches Instrument digitaler Plattformen mit Drittanbietern bzw. die Anbindung vernetzter Soft- und Hardware entlang der Wertschöpfung an den jeweiligen Programmierschnittstellen (application programming interface, APIs) zunehmend granularer werden. Für den Konsumenten am Frontend hingegen werden die Kollaborationen eher intransparenter, wenn nicht sogar unsichtbar. Durch das „Andocken“ via APIs können digitale Plattformen die Komplementarität ihrer Unternehmensleistungen mit Drittdiensten permanent erhöhen und Synergien heben, und zwar hinsichtlich ihrer Größe, der erzielten Resonanz, ihrer Kunden und somit auch ihrer Datenquellen. Ein wesentlicher Aspekt bei dem englischen Begriff „digitalise“ ist der Tatbestand, dass in der API Economy neue Intermediäre (z.B. Startups) entstehen können, während die traditionellen Unternehmen (z.B. Banken) ihre Funktionen und Rollen mehr oder weniger behalten können. Durch die hohe Dynamik bei den eingegangenen Kollaborationen, entstehen komplexe, digitale Ökosysteme. Diese Ökosysteme zeichnen sich zwar durch wechselseitige Abhängigkeiten im Markt aus, bieten dadurch aber auch kleinen, lokalen Produzenten und Dienstleistern eine Existenz.
Im Mittelpunkt des zweiten Begriffes „to digitise“ steht die noch in den Kinderschuhen steckende Technologie der Token Economy. Hier geht es vor allem um dezentrale bzw. disintermediäre Innovationsprozesse. Neben traditionellen Unternehmen können auch die zwischen Produzenten und Konsumenten agierenden Vermittler ihre Rollen oder Funktionen verlieren. Hier geht es also um die Existenz einiger Marktteilnehmer.
Der Begriff „digitise“ meint die Digitalisierung bzw. Tokenisierung (Entmaterialisierung) von Vermögenswerten oder Rechten im Allgemeinen, die z.B. auf sogenannten Distributed-Ledger-Technologien (DLT), als verteilte Datenbank-Systeme, mit dem Versprechen von verschwindend geringen Transaktionskosten abgebildet werden können.
Die Innovation der Tokenisierung zeigt sich darin, dass Informationen oder Werte über DLT digital so abgebildet werden, dass sie weder kopier- noch manipulierbar sind und mittels mathematischer Verfahren (Kryptographie, Verschlüsselungstechnik) sicher zwischen Akteuren übertragen werden können. Sogenannte Token sind heute bereits ohne klassische Finanzintermediäre handelbar. Token werden künftig auch im Bereich „Internet der Dinge“ ihr zugesprochenes Potential entfalten. Gerade bei Maschine-to-maschine- (M2M), mobile payment- oder pay per use-Systemen werden Token als Vehikel dienen, damit vernetzte Maschinen miteinander kommunizieren, Transaktionen ausgelöst und empfangen oder Zahlungsprozesse via smart contract sicher finalisiert werden können. Hierfür können z.B. tokenisiertes Geld oder programmierbare Zahlungen hilfreich sein. Beides wird derzeit von internationalen Finanzautoritäten, aber auch seitens der Privatwirtschaft, unter Hochdruck nicht mehr nur analysiert, sondern bereits pilotiert und in wenigen Jahren die Märkte erreichen.
Laut des CBDC Trackers beschäftigen sich mittlerweile nahezu 60 Zentralbanken mit der Herausgabe von tokenisiertem Zentralbankgeld. Jüngstes Beispiel ist die Zentralbank von Nigeria, die den eNaira u.a. zur Erhöhung der finanziellen Inklusion für seine Bürger herausgeben wird. Auch die Deutsche Kreditwirtschaft hat sich jüngst zu diesem Thema positioniert und setzt auf ein Ökosystem aus CBDCs (Central Bank Digital Currencies), Giralgeld-Token und einer (vorerst) technischen Triggerlösung als Überbrückungstechnologie – wohl solange, bis es künftig, massenmarktfähiges, tokenisiertes Geld von Seiten öffentlicher und privater Emittenten regulierungskonform geben wird.
Die Konvergenz von Technologien wird vielerorts unterschätzt.
Die technologischen Errungenschaften aus der Verbindung der API- und Token Economy sorgen für einen weiteren Evolutionsschritt im Digitalzeitalter. Diese führen zu der bisher fehlenden harmonischen Verschmelzung von real- und finanzwirtschaftlichen Prozess- und Transaktionsschritten. Das heißt, dass grenzüberschreitende Handelsverflechtungen mit vernetzten, eingebetteten Zahlungsverkehrslösungen friktionsfrei finalisiert werden können. Dank der bereits heute funktionierenden Triggerlösungen und den Optionen, programmierbare Zahlungen auf potenziellen DLTs einsetzen zu können und dank des bald institutionell und privat emittierten tokenisierten Geldes lassen sich künftig sämtliche Schritte entlang der Wertschöpfung (also vom Backend bis hin zum Kunden-Frontend) reibungslos digitalisieren. Wahrscheinlich waren wir noch nie zuvor so nah an nahezu vollständig digitalisierten End-to-end-Prozessen.
Fazit
Die Konvergenz der API- und Token Economy sorgt für einen Nährboden und eine Beschleunigung für innovative Geschäftsmodelle. Sie wird nicht nur in der Wirtschaft Disruptionen stimulieren, sondern auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung, in der Wissenschaft und in der Kultur. Für Deutschland und Europa bietet die Konvergenz eine Möglichkeit, die Wettbewerbsfähigkeit (wieder) zu erhöhen. Damit wäre die Angst gebannt, wieder nur Zaungast zu sein, wenn innovative BigTechs in den USA und in Asien mit neuen Geschäftsmodellen weiter Marktanteile gewinnen. Vor allem bietet diese Entwicklung europäischen und deutschen Unternehmen die Chance, nicht mehr nur „aufzuholen“, sondern auf der globalen Bühne des technologischen Fortschritts wieder eine gestaltende Rolle als Innovatoren auf Augenhöhe einnehmen zu können. Noch ist es hierfür nicht zu spät.