Die Insurtech-Trends 2023

Für eine Prognose ist das Jahr noch jung genug. Nach den Fintechs ist jetzt die Welt der Insurtechs und Versicherungen an der Reihe. Also kurz die Glaskugel gewechselt und los geht’s.

Fintechs und Banken einerseits und Versicherungsunternehmen und Insurtechs andererseits stehen vor den gleichen wirtschaftlichen Herausforderungen. Unsichere Wirtschaftsprognosen (bedeutet eine inverse Zinsstrukturkurve nun großes Ungemach, oder nicht?) und Inflation haben direkten Einfluss auf die Geschäftsmodelle.

Trend 1: Profitabilität geht vor Wachstum

Start-ups sollen und müssen wachsen. Das ist ihre Mission und die Erwartung der Investoren. Doch Insurtechs sind in den vergangenen Jahren nicht so gewachsen, dass man von einem Durchmarsch sprechen könnte – von Disruption ganz zu schweigen. Ergo: In diesem Jahr wird es mehr darum gehen (müssen), Geld zu verdienen und aufzuzeigen, wie der Weg zur Profitabilität aussehen soll. Ähnlich wie es der designierte neue Chef von Solaris für sein Fintech bereits angekündigt hat. Im Kern wird das dazu führen, dass es nicht mehr darum geht, alle Kund:innen an Bord zu holen, sondern die richtigen und profitablen.

Trend 2: Hybrider Vertrieb

Der Plan der Insurtechs, die sich direkt an Kund:innen wenden, war ja, mit einer smarten App direktes Geschäft zu machen. Oder sich über Embedded Insurance an die Ökosysteme anderer Unternehmen anzudocken. Nun zeigen sich die Kund:innen aber nicht nur in Deutschland sehr stark mit den klassischen Vertriebswegen verbunden. Der Maklervertrieb hat sich als erstaunlich resistent erwiesen. Insofern dürfte sich bei den Insurtechs die Erkenntnis durchsetzen, dass es besser ist, mit einem Vertriebsweg zu kooperieren, als weiter Geld im Kampf gegen ihn zu verbrennen. Wir dürften daher mehr hybride Modelle und Produkte sehen, die sowohl direkt als auch über Maklerorganisationen vertrieben werden können.

Trend 3: Versicherer werden mehr Mehrwertmodelle etablieren

Wenn die Menschen wirtschaftlich verunsichert sind, geben sie auch weniger Geld für die Vorsorge aus. Das führt zu geringeren Beitragseinnahmen, die es zu kompensieren gilt. Neue Geschäftsmodelle sind also gefragt. Versicherer und Insurtechs sind die Hüter riesiger Datenschätze, die nur anders ausgewertet werden müssen, um daraus Dienstleistungen zu stricken, die sich auch monetarisieren lassen. Solche Mehrwertdienste dürften primär im B2B-Bereich ein Thema werden. So bietet AXA in Großbritannien einen kostenpflichtigen Service an, mit dem Unternehmen ihr Risikomanagement unterstützen können, indem sie von AXA Einschätzungen zu Umweltrisiken von Unternehmen und Branchen erhalten. Forrester Research hat bereits im vergangenen Jahr prognostiziert, dass rund die Hälfte der führenden Versicherungsunternehmen kostenpflichtige und versicherungsfremde Services einführen werden.

Trend 4: IoT erreicht Level 2.0

Machen wir uns nichts vor: Aktuell ist alles, zumindest im B2C-Bereich, was so als IoT verkauft wird, nettes Spielzeug. Gadgets, die auch gut für die Positionierung im Marketing sind. Der Wassersensor für die überlaufende Badewanne ist eine tolle Erfindung – mit geringer praktischer Relevanz.

Auf der anderen Seite sind die Ideen vieler Insurtechs und Versicherer in Industrie, Gesundheit und Mobilität nur durch den Einsatz von Sensoren und IoT-Devices umsetzbar. Das Thema wird Fahrt aufnehmen. Wie stark hängt aber auch davon ab, wie rasch der Ausbau mit 5G-Technologie so vorankommt. Denn das Wearable zur Sturzerkennung ist nutzlos, wenn es sich im Funkloch befindet.

Trend 5: Neue Lösungen für Cybersicherheit

In den vergangenen Jahren haben sich gleich eine ganze Reihe von Insurtechs auf das Thema Cybersecurity gestürzt. Und auch bei den Versicherern wurden Policen gegen die Bedrohungen aus der vernetzten Welt ein wichtiger Umsatzbringer.

Leider sind alle Prognosen zur tatsächlichen Bedrohungslage von der Realität überholt. Die Schäden sind enorm und die Angriffsvektoren und Angriffe exponentiell gewachsen. Streng genommen ist das Risiko „Cyber“ so nicht mehr zu versichern, nachdem Ransomware und Malware nicht mehr nur Werkzeuge von Kriminellen sind, sondern auch in der Kriegführung verwendet werden.

Hier werden wir in diesem Jahr einen Umbruch erleben. Zum Teil werden sich Firmen aus der Absicherung von Cyber ganz zurückziehen. Die anderen werden verstärkt auf KI-gestützte Analysen setzen und ihren Versicherungsschutz vermutlich mit SaaS-Security-Produkten koppeln.

Damit das Risiko beherrschbar bleibt, müssen alle Seiten etwas tun. Die bedrohten Unternehmen und die Insurtechs und Versicherer.

Trend 6: Klimawandel verändert Produkte und fördert KI

Die aktuell in Deutschland geführte Diskussion über die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden zeigt eindrucksvoll, wie stark die klimatischen Veränderungen auf das Geschäft der Versicherer durchschlagen. Die Zahl der Landstriche, die wegen Überschwemmungen oder Dürren nicht mehr (oder kaum noch) zu versichern sind, wird zunehmen. Der Klimawandel befeuert in diesem Jahr ganz verschiedene Aspekte in der Insurtech- und Versicherungswelt.

  • Wunsch nach Nachhaltigkeit: Die Sorge um das Klima und den eigenen CO₂-Abdruck führt dazu, dass die Zahl der Kund:innen wächst, die sich für den Aspekt der Nachhaltigkeit auch bei ihren Finanzen interessieren. Nicht zuletzt durch die ESG-Richtlinie werden Versicherer und Insurtechs deutlicher über die Nachhaltigkeit informieren und verstärkt in diesen Aspekt investieren.
  • Ausbau von KI und bildgebenden Analysemethoden: Drohnen, Satelliten und KI werden eine größere Rolle spielen. Einerseits, um überhaupt eine Risikoeinschätzung vornehmen zu können. Zum anderen, um sich ein Bild über die Schäden zu machen. Der KI wächst eine besondere Bedeutung zu. Denn die Versicherten benötigen auch eine schnelle Lösung und zügige Abwicklung von Schäden. Am besten in Echtzeit. Mit prädiktiver Risikobewertung können Insurtechs Kund:innen früher vor möglichen Risiken warnen und sich mit einer zuverlässigen und präventiven Risikoberatung positionieren.
  • Noch ist längst nicht jedes Haus und jede Wohnung umfassend gegen Elementarschäden abgesichert. Und somit ist auch häufig strittig, was denn von der vorhandenen Police abgedeckt wird. Das erfordert gerichtliche Auseinandersetzungen. In diesem Jahr dürfte es eine kleine Renaissance der Rechtsschutzversicherung geben.

Trend 7: Dynamik und Flexibilität werden wichtiger

Inflation und schlechte Wirtschaftsprognosen ändern nichts an den bestehenden Risiken. Die Gefahr, seine Arbeitskraft zu verlieren und dauerhaft arbeitsunfähig zu werden, besteht für alle Arbeitnehmenden unabhängig vom Gang der Wirtschaft. Die Teuerungsraten fressen nur die Versorgungszahlungen auf. Insofern dürften wir erleben, dass dynamische Anpassungen von Beiträgen und Versicherungsschutz über viele Sparten hinweg zunehmen werden. Ganz nach der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung und dem eigenen Risikoempfinden werden die Versicherten ihren Schutz anpassen wollen. Auf der Gewinnerseite stehen also die Unternehmen, die genau diese Dynamik und Flexibilität bieten.

Trend 8: No-Code und intelligente Rechenzentren

Der Euro auf dem Konto kann nur einmal ausgegeben werden. Insurtechs und Versicherer konkurrieren bei den Kund:innen mit all den schönen (oder weniger schönen, aber notwendigen) Dingen, die sich kaufen lassen. Wenn denn noch nach Abzug von Miete, Immobiliendarlehen und Nebenkosten noch etwas übrig ist. Die Summe, die es zu verteilen gilt, wird kleiner. Insofern wird es auch wichtiger, die eigenen Kosten im Griff zu behalten. Insurtechs, die an Versicherer eine Lösung verkaufen wollen (oder auch andere Technologieanbieter) sind gut beraten, sich stärker über No-Code-Lösungen (oder zumindest Low-Code) nachzudenken, um den Implementierungsaufwand zu verringern.

Die Versicherer werden vermutlich ihre Rechenzentren intelligenter und effizienter gestalten. Schon der Wechsel der Speichertechnologie kann die Energieeffizienz deutlich erhöhen und die Betriebskosten senken. Zudem werden die wachsenden Datenmengen aus IoT und deren Verarbeitung in Echtzeit dafür sorgen müssen, dass die Aufbereitung von Informationen auch bereits am Rand des eigenen Netzwerks stattfindet. Edge- und Near-Edge-Computing wird in diesem Jahr stärker Fahrt aufnehmen.

Die Glaskugel trübt sich gerade ein, also genug der Prognosen. Es dürfte auf jeden Fall (leider) erneut ein turbulentes Jahr werden.

Autor

  • Stephan ist seit Anfang der 90er Jahre online und hat eine ausgeprägte Fintech-Vergangenheit (Star Finanz, Hypoport). Bei der Hypoport-Tochter Dr. Klein war er u.a. für das Produktmanagement und den Bereich Business Development verantwortlich. Seit über 10 Jahren schreibt er über ausschließlich über Tech, Retail, E-Commerce und Insurance.

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