Die Gesichter der Branche – Kerstin Baker von VAI Trade

Das Arbeiten der FinTech Branche gleicht einem Kommen und Gehen, setzt ein hohes Maß an Professionalität in einem lockeren Arbeitsumfeld voraus und ist primär geprägt von Innovationen sowie guten, klugen und zukunftsorientierten Ideen, so der weitverbreitete Konsens. Doch wer sind eigentlich die Köpfe und Macher hinter diesen kreativen Denkprozessen, an der Schnittstelle zwischen Finanzen, digitalen Technologien und Gründertum? Heute: Kerstin Baker von VAI Trade.

In unserer Reihe: Die Gesichter der FinTech Branche stellen wir regelmäßig einer Person aus der Payment- und Banking-Industrie die gleichen zehn Fragen. Diesmal beantwortet Christian von Hammel-Bonten unsere Fragen.

Dürfen wir vorstellen: Kerstin Baker von VAI Trade

Wer bist Du, was machst Du?

Mein Name ist Kerstin Baker. Ich bin 57 Jahre alt und arbeite als Credit Risk Managerin bei der VAI Trade GmbH.

Auch wenn unser Unternehmen kein klassisches Kreditgeschäft ist, sondern ein Warenfinanzierer bzw. Finetrader, ist es wichtig einzuschätzen, ob der Kunde wirtschaftlich in der Lage ist, die von VAI Trade zunächst finanzierten Warenrechnungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zurückzuzahlen. Anhand der wirtschaftlichen Unterlagen unserer Kunden sowie anderer, öffentlich zugänglicher Informationen prüfe ich, ob die Bonität für einen entsprechenden Finanzierungsrahmen ausreicht.

Weiterhin arbeite ich tagtäglich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen daran, die bestehenden Risikoanalyse-Systeme zu verbessern und Prozesse weiter zu automatisieren. Man könnte sich jetzt natürlich fragen, ob meine Rolle als Kredit Risk Managerin mit fortschreitender Automatisierung irgendwann einmal wegfällt. Ich glaube nein. Es wird immer einige spezielle Fälle geben, die eben nicht der Regel folgen und mit der menschlichen Erfahrung entschieden werden müssen – und genau das sind die spannenden Fälle.

Wie sieht ein klassischer Tag in Deinem Leben aus?

Mit der Pandemie hat sich mein klassischer Tag natürlich etwas verändert, da ich nunmehr überwiegend von zu Hause im Homeoffice arbeite und das klassische Büro in einen Co-Working-Space verlegt wurde.

Ich starte meinen Tag mit einer Tasse Kaffee und den neuesten Nachrichten. Danach setze ich mich an den Computer und begrüße meine Kolleginnen und Kollegen. Zum Start in den Tag pflegen wird das Ritual einen passenden Song oder eine andere interessante Neuigkeit zu teilen. Dann geht es an die Arbeit, die durch die vorhandenen Kundenanfragen ja recht strukturiert ist. Nachmittags tauschen wir uns meist mittels Videokonferenz innerhalb des Teams aus.

Den Abend nutze ich in der Regel für ausgedehnte Spaziergänge (Bewegung muss sein) oder für ein Treffen mit Freunden.

Was waren Deine ersten Berührungen mit der Payment- und Banking-Industrie?

Als 1989 die Mauer fiel und das sozialistische System in der DDR von heute auf morgen zusammenbrach, fiel auch mein Beruf als Wirtschaftsjuristin in einem sozialistischen Betrieb weg. Ich stand nun vor der spannenden Frage: „Was machst du jetzt?“ Da gewissermaßen auch mein Jura-Studium an einer sowjetischen Universität nicht mehr zu gebrauchen war, suchte ich nach einer Möglichkeit, so schnell wie möglich etwas Neues zu lernen und auch weiterhin in der Wirtschaft tätig zu sein.

Alles war damals im Umsturz. Die Großbanken wollten sich auf dem Gebiet der ehemaligen DDR neu aufstellen und suchten Personal, dass sich im Westen ausbilden ließ, um dann wieder in die Heimat zurückzukehren und dort zu arbeiten. Diese Chance ergriff ich und erhielt über ein Auswahlverfahren eine 18-monatige Trainee-Ausbildung bei der Deutschen Bank, bei der ich dann lange Zeit als Firmenkundenberaterin tätig war.

Wann hast Du das Wort FinTech das erste Mal wahrgenommen?

Das Wort FinTech habe ich 2014 das erste Mal wahrgenommen, als ich erneut vor der Herausforderung stand, mir einen neuen Job zu suchen. Eine Personalvermittlerin fragte mich, ob ich meine Erfahrungen aus dem Kreditgeschäft auch in einem neu gegründeten FinTech einbringen würde. Bis dato war ich jahrelang im traditionellen Bankwesen tätig gewesen. Ich hatte mir über diese Frage noch nicht allzu viele Gedanken gemacht. Etwas Neues auszuprobieren, könnte nicht schaden und willigte ein, ein paar Tage bei dem Startup Zencap (später Funding Circle) Probe zu arbeiten. Ich war von Anfang an begeistert von den hoch motivierten jungen Leuten und dem internationalen Umfeld dort und bin über 4 Jahre geblieben.

Wie definierst Du FinTech?

Der Begriff FinTech vereint ja zum einen die Abkürzung für Financial Services und zum anderen für Technology. Ich verstehe darunter Unternehmen, die in der Finanzbranche tätig sind. Sie bieten mithilfe innovativer, technologiebasierter Systeme und Software spezialisierte und besonders kundenorientierte Finanzdienstleistungen und -produkte an. Meist handelt es sich hierbei um junge aufstrebende Unternehmen – Startups – die eine ganz eigene Unternehmenskultur mitbringen.

Was glaubst Du machen etablierte Unternehmen besser als FinTechs?

Etablierte Unternehmen verfügen in der Regel über einen langen Erfahrungsschatz, klar definierte Strukturen, eine Vielzahl von Daten aus der Vergangenheit sowie ein breites Netzwerk in ihrer Branche.

Diesen Unternehmen fällt es leichter, die umfangreichen gesetzlichen und aufsichtsrechtlichen Anforderungen umzusetzen. Sie sind weniger anfällig für operationelle Risiken. Sie bieten in der Regel eine große Bandbreite an Finanzprodukten und können besser komplexe Vorgänge managen.

Was kann man von FinTechs lernen?

Fintechs sehen die Dinge klar aus Sicht des Kunden und bieten spezielle, kundenorientierte Produkte an. Die jungen CEOs zeigen Mut zu Entscheidungen, wobei diese wegen der fehlenden Hierarchien, in der Regel auch schnell in die Realität umgesetzt werden. Man ist experimentierfreudiger. Begangene Fehler werden auch schnell wieder revidiert. Jeder im Team ist gefragt, unternehmerisch zu handeln und neben seinen Hauptaufgaben auch über den Tellerrand hinaus zu denken. Und das motiviert und macht Spaß, da man sich akzeptiert und wertgeschätzt fühlt.

Wieso tun sich etablierte (große) Unternehmen bei der Digitalisierung eigentlich so schwer?

Ich denke, das sind genau die eingefahrenen Strukturen und die Komplexität, die etablierte Unternehmen unbeweglicher und langsamer gegenüber neuen Technologien machen. Ehe bei großen Unternehmen eine Entscheidung in die Tat umgesetzt werden kann, müssen sich erst etliche Abteilungen abstimmen. Man könnte das vielleicht mit einem Hausbau vergleichen. Es ist einfacher, ein neues Haus zu bauen, als ein altes mit all seinen Altlasten umzubauen und von Grund auf zu modernisieren.

Wenn man Für und Wider der etablierten Unternehmen und der FinTechs abwägt, macht es aus meiner Sicht durchaus Sinn, dass man nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeitet. Das zeigt nicht zuletzt der gegenwärtig zu beobachtende Trend.

Was macht deinen Job täglich interessant?

Interessant daran ist, nicht nur einfach seinen Job zu machen, sondern ganzheitlich unternehmerisch zu denken. Wir bei Vai fragen uns täglich, was können wir besser machen und das Unternehmen weiter voranbringt. Außerdem lerne ich dank junger Kolleg:innen trotz meiner langjährigen Karriere in der Finanzbranche immer wieder etwas Neues dazu. Wahrscheinlich wäre ich als normale Angestellte einer Großbank nicht auf die Idee gekommen, mich mit Bitcoin, NFTs u.ä. zu beschäftigen.

Was würdest Du beruflich machen, wenn Du nicht in der Payment- und Banking-Industrie arbeiten würdest?

Ich kann gut strukturiert denken und arbeiten und habe eine gewisse Zahlenaffinität. Also alles gute Voraussetzungen, um in der Finanzbranche zu arbeiten. Wenn ich jedoch die Wahl hätte, einen Neustart zu machen, würde ich gerne etwas gesellschaftlich Sinnvolles im sozialen Bereich machen – in der Kindererziehung oder in der Arbeit mit Migranten und Flüchtlingen. Aber zum Glück kann man sich in diesem Bereich auch gut ehrenamtlich engagieren, was auf meiner To-do-Liste ganz oben steht.

Worauf bist du stolz?

Ich bin stolz darauf, dass ich es trotz vieler Veränderungen in meinem Leben immer wieder geschafft habe, meinen Platz im Berufsleben zu finden und diesen auszufüllen. Das nicht zuletzt, weil ich auch immer bereit war, flexibel zu sein, mich zu verändern und etwas Neues zu lernen. Bei all dem ist es mir gelungen, eine gute Balance zwischen Beruf und Privatem zu halten.

Wieso gibt es nicht mehr Frauen in der Tech-Branche?

Ich glaube, das ist ein sehr vielschichtiges Thema, worüber man wohl eine mehrseitige Abhandlung schreiben könnte. Da spielen solche Faktoren wie die Erziehung, gesellschaftliche Zwänge, die Darstellung in den Medien, immer noch veraltete Rollenverständnisse eine Rolle.

Wenn man sich mit dem Thema genauer beschäftigt, wird man feststellen, dass man heute schon einige erfolgreiche Frauen in der Tech-Branche und auch Startup-Szene finden kann. Außerdem müsste man die Frage viel allgemeiner stellen, denn die Problematik betrifft nicht nur die FinTech-Branche sondern auch andere gesellschaftliche Bereiche.

Erst seit 1977 (also seit 45 Jahren) gibt es gesetzlich keine vorgeschriebene Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau mehr. Bis dahin waren Haushalt und Kindererziehung die klar verankerte Rolle der Frau. Das ist also noch gar nicht so lange her.

Immer noch verdienen Frauen im Durchschnitt deutlich weniger Geld als Männer, der Anteil der Frauen in Führungspositionen ist weiterhin gering und ein Kind zu bekommen hinterlässt häufig immer noch einen Knick in der Karriere der Frau.

Wenn man jedoch auch auf Erfolge in den letzten Jahren schaut, darunter die deutlich gestiegene Zahl der Frauen in der Politik, sind wir auf einem guten Weg. Und auch die FinTech-Branche wird zukünftig noch weiblicher werden.

Bei welchem Unternehmen würdest Du gerne mal einen Tag arbeiten?

Ich würde gerne einmal einen Tag auf einer Altenpflegestation verbringen. Ich habe einige Bekannte, die in der Pflege arbeiten und ziehe den Hut davor, was sie tagtäglich leisten müssen. Außerdem haben sie immer interessante Geschichten zu erzählen. Leider ist diese Arbeit aus meiner Sicht gesellschaftlich zu wenig wertgeschätzt, obwohl doch jeder von uns in die Situation kommen könnte, im Alter pflegebedürftig zu werden.

Mit wem würdest Du gerne ein Bier trinken?

Auch wenn sie nicht mehr Kanzlerin ist – mit Angela Merkel. Sie musste sich als erste Bundeskanzlerin in einer Männerdomäne behaupten. Trotz unglaublich vieler schwieriger Fragen und Themenkomplexe ist sie immer souverän geblieben. Mit ihrer besonnenen Art hat sie mich überzeugt. Wie sie das immer geschafft und wie sie sich fit gehalten hat, um so lange regieren zu können – das würde mich schon sehr interessieren.

Autor

  • Die studierte Soziologin und Medienwissenschaftlerin beobachtet, analysiert und schreibt als Journalistin seit vielen Jahren über die Startup- und Fintechszene. In der Vergangenheit arbeitete sie für führende on- und offline Gründer- und Wirtschaftsmedien im In- und Ausland, moderiert und schrieb mit Kollegen ein Buch über Unternehmen im Ruhrgebiet. Seit 2019 arbeitet sie für Payment & Banking, seit 2020 ist sie festes Redaktionsmitglied und ist in dieser Position verantwortlich für alle Themen Content, Planung und Entwicklung neuer Medienformate. In ihrer Zeit bei Payment & Banking ist sie zudem eine eifrige Podcasterin geworden.

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