Dürfen wir vorstellen: Christin Friedrich von der Innovestment GmbH
Das Arbeiten in der FinTech Branche gleicht einem Kommen und Gehen, setzt ein hohes Maß an Professionalität in einem durchaus lockeren Arbeitsumfeld voraus und ist vor allem geprägt von Innovationen sowie guten, klugen und zukunftsorientierten Ideen, so der weit verbreitete Konsens. Doch wer sind eigentlich die Köpfe und Macher hinter diesen kreativen Denkprozessen, an der Schnittstelle zwischen Finanzen, digitalen Technologien und Gründertum? In unserer Reihe Die Gesichter der FinTech Branche stellen wir regelmäßig einer Person aus der Payment- und Banking-Industrie die gleichen zehn Fragen. Diesmal beantwortet Christin Friedrich unsere Fragen.
Dürfen wir vorstellen…
Während unseres Arbeitsalltags begegnen uns immer wieder spannende Menschen, die im gleichen Umfeld tätig sind, die uns nur einmal oder immer mal wieder begegnen oder uns sogar schon privat sehr ans Herz gewachsen sind – jeder von Ihnen hat eine eigene Geschichte. Wir haben ein paar dieser Menschen aus unserem nächsten FinTech-Umfeld interviewt, um ihnen ein Gesicht zu geben. Um zu teilen, warum diese Branche für sie viel mehr ist als eine weitere Art, seine Miete zu bezahlen. Diese Menschen und deren Vita möchten wir in einer ganz eigenen Kategorie kurz porträtieren und vorstellen und haben dazu einen immer gleichen Fragenkatalog entworfen. Diesmal beantwortet Christin Friedrich unsere Fragen. Christin ist geschäftsführende Gesellschafterin des Berliner Fintech Innovestment GmbH.
Wer bist Du, was machst Du?
Ich bin Christin Friedrich, Unternehmerin, und brenne für die Transformation zu einer unternehmerischen und nachhaltigeren pluralistischen Gesellschaft, mit weniger Bürokratie und mehr Freiheit. Dafür setze ich mich als CEO der Finanzierungsplattform Innovestment und Chair des European Crowdfunding Networks (ECN) ein. Mehr Freude und Leichtigkeit in das Thema Finanzen zu bringen und es zu enttabuisieren, ist mir dabei ein besonders wichtiges Anliegen.
Ich glaube an die Innovationskraft der globalen Gemeinschaft, in der wir durch deren Vielfalt an guten Ideen und Aktionen eine Zukunft bauen, in der wir gerne leben wollen. Deshalb bin ich davon überzeugt vom Prinzip des Crowdfunding als “Finanzierungsfamilie”. Es ermöglicht Menschen, ihr Geld in sinnvolle, zukunftsgerichtete Projekte von leidenschaftlichen Unternehmerinnen und Unternehmern zu investieren.
Wann hast Du das Wort FinTech das erste Mal wahrgenommen?
Das muss 2010/11 gewesen sein. Damals habe ich in Island gelebt und an meinem ersten Startup gearbeitet. Reykjavik zieht eine Menge kreative Köpfe an. Schon damals war das Phänomen Bitcoin und die Idee der Distributed Ledger Technology ein großes Thema; Island wurde da gerade zum Kryptomining-Hotspot, wegen der günstigen, reichlich vorhandenen grünen geothermischen Energie.
Dadurch hatte ich das Glück, mit vielen spannenden Menschen die neuesten Trends zu diskutieren. Im Zuge dieser Gespräche ist auch der Begriff FinTech immer mal wieder verwendet worden. Zu der Zeit war mir aber noch nicht bewusst, dass es ein stehender Begriff für eine sehr diverse Branche werden wird.
Was waren Deine ersten Berührungen mit der Payment- und Banking-Industrie?
Ich hatte erste Berührungspunkte mit Payment & Banking während meines Studiums an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Damals habe ich mich mit Finanzen als Steuerungsinstrument beschäftigt, insbesondere für den öffentlichen Sektor. Als ich 2012 zum Innovestment-Gründerteam hinzu gestoßen bin, kam dann die Business-Perspektive hinzu – Aspekte wie Produkt, Geschäftsmodelle, Kundenzentrierung oder Marketing und natürlich Unternehmensfinanzierung und Investments.
Seitdem hatte ich das Glück, viele Macher*innen in der Community kennenzulernen, die die Payment & Banking-Industrie neu denken und bauen. Die Vielfalt und der große gesellschaftliche Impact der Industrie, national wie international, begeistern mich. Was die Kundenfreundlichkeit, Einfachheit und gesellschaftliche Durchdringung von FinTechs anbetrifft, haben wir allerdings immer noch Luft nach oben. Ich bin sicher, dass wir in den kommenden Jahren spannende neue Geschäftsmodelle erleben werden.
Wie definierst Du FinTech?
FinTechs sind junge Unternehmen in der Finanzdienstleistungsbranche, die – unterstützt durch innovative Technologie – neue Geschäftsmodelle nah an den Kundenbedürfnissen entwickeln.
Was glaubst Du machen etablierte Unternehmen besser als FinTechs?
In vielen Bereichen haben etablierte Unternehmen bessere Voraussetzungen als FinTechs um erfolgreich zu sein, das kommt dann immer auf das individuelle Unternehmen an. Die guten Beispiele etablierter Unternehmen haben solide, verlässliche Strukturen sowie Personal und Management mit viel Erfahrung.
Sie pflegen eine langfristige, vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kundinnen und Kunden und haben ein gutes Verständnis für deren Bedürfnisse entwickelt und Vertrauen aufgebaut. Ihre starke Brand zieht Talente an. Sie verfügen über ausreichend Kapital, um in Menschen und Technologie investieren zu können. Und wenn doch noch Wachstumskapital benötigt wird, haben sie aufgrund ihres Track Records einen leichteren Zugang zu Banken oder zum Kapitalmarkt.
Was kann man von FinTechs lernen?
FinTechs denken von Beginn an vom Kundennutzen her. Sie hinterfragen den Status Quo, testen ihre Annahmen Schritt für Schritt direkt bei der Zielgruppe und können ihr Produkt oder ihre Dienstleistung dadurch zur Perfektion verfeinern. Durch die ständige Datenanalyse können sie ihre Annahmen darüber hinaus besser validieren, die richtigen Dinge iterieren und die Dinge, die nicht funktionieren, ohne großen Aufwand hinter sich lassen. Bei allen Vorgängen steht die User Experience mit einfachen Prozessen im Vordergrund.
Durch die Voll-Automatisierung der Prozesse – intern wie extern – können sie besser skalieren und die Kosten niedrig halten. Für das alles braucht es Mut, um neue Wege zu gehen, und ein agiles, unternehmerisch denkendes Team, das auch mit Unsicherheiten gut umgehen kann. FinTechs brauchen eine starke Vision und eine gesunde Lern- und Feedbackkultur. Nur dann können sie auch langfristig die Talente an sich binden und den Fokus durch alle Ups and Downs hindurch halten. Dazu gehört auch die Beteiligung am Unternehmenserfolg.
Fazit: FinTechs können durch ihre Agilität schneller auf Veränderungen reagieren, durch ihren Lerndrang die Zukunft besser antizipieren und schreiben im Zweifel die Spielregeln neu.
Wieso tun sich etablierte (große) Unternehmen bei der Digitalisierung eigentlich so schwer?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und vermeidet gerne potentielle Risiken.
Digitalisierung bedeutet auch, das Silodenken zu verlassen. Es reicht eben nicht aus, bestehende Prozesse zu digitalisieren. Stattdessen müssen bisherige Abläufe und bisweilen ganze Geschäftsmodelle hinterfragt und optimiert werden, anstatt sie nur schrittweise zu verbessern. Dies erfordert Digitalisierungskompetenzen wie Produktmanagement- und UX-Expertise und eine Menge “Kundenbesessenheit”.
Die Angst vor Kontrollverlust führt zur Einschränkung der Freiheit und damit der Kreativität und des selbständigen Arbeitens der Mitarbeiter*innen. Die notwendige Agilität wird nun einmal erst durch kurze Entscheidungswege und Eigenverantwortung möglich. Die Einschränkungen bei der Verwendung von externen Tools aus Datenschutz oder Sicherheitsgründen untergräbt zusätzliche Potentiale. Denn eigene Tools zu entwickeln und das Rad neu zu erfinden ist nicht nur kostenintensiv, sondern kann aufgrund der oft bescheidenen UX der Eigenentwicklungen frustrierend sein für intern wie extern. Der Aufbau auf bestehende Legacy-Strukturen macht es nicht einfacher.
Dazu kommt die kurzfristige Perspektive, denn gerade bei börsennotierten Unternehmen wird oft nur in Quartalszahlen und nicht in Generationen gedacht. Zudem sind Manager nicht zwangsläufig auch Unternehmer, was Auswirkungen auf ihren Mut und ihre Motivation haben kann, Dinge zu verändern. Warum Risiken eingehen, wenn es die eigene Position gefährden kann? Hier spielen auch die fehlende Scheitern-Kultur in Deutschland und Unternehmens-kulturen mit starren Strukturen und politischen Zwängen eine Rolle. Deshalb verändern sich viele große Unternehmen erst, wenn sie vom Markt durch neuen Wettbewerb dazu gezwungen werden.
„Manager sind nicht zwangsläufig Unternehmer, was Auswirkungen auf ihren Mut und ihre Motivation haben kann, Dinge zu verändern.“
Insgesamt stelle ich fest, dass sich mehr und mehr Unternehmen die Bedeutung der Digitalisierung erkannt haben und beherzt angehen. Das beobachte ich zumindest im Rahmen meines Engagements im Ausschuss Innovation & Technologie der IHK Berlin.
Was würdest Du beruflich machen, wenn Du nicht in der Payment- und Banking-Industrie arbeiten würdest?
Ich würde auch dann Unternehmerin sein und nebenbei in Startups investieren. Außerdem liebe ich die Mischung aus Philosophie, Art, Technologie und Wissenschaft. Irgendwann würde ich gerne einen internationalen kooperativen Raum schaffen, in dem sich die kreativsten, holistisch denkenden Köpfe mit der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft auseinandersetzen und nicht nur schnacken, sondern auch konkret umsetzen.
Bei welchem Unternehmen würdest Du gerne mal einen Tag arbeiten?
Beim Chicagoer Software Unternehmen Basecamp (ehemals 37signals). Das Team rund um CEO und Co-Founder Jason Fried hat es seit 1999 geschafft, remote eine grandiose Unternehmenskultur aufzubauen. Und das alles unter Verwendung ihres eigenen Team-/Projekt-Management-Tools, das wir bei Innovestment auch begeistert verwenden. Dann kann ich direkt von der Quelle lernen, wie wir Basecamp noch besser für unsere Zwecke einsetzen können.
Mit wem würdest Du gerne ein Bier trinken?
Mit Russell Brand, weil er so unkonventionell, authentisch mit viel Humor und Leidenschaft den Status Quo und bestehende Glaubenssätze super smart auseinandernimmt und essentielle Fragen stellt, die es gilt, ohne Ideologie und Biases zu diskutieren.