Der stationäre Handel – ein Abgesang?

Der stationäre Handel – ein Abgesang?

Ein Gastbeitrag von Björn Wessel

Corona verändert die Welt und damit auch den Handel. Nicht durch neue Erkenntnisse, vielmehr hat Corona bestehende Entwicklungen beschleunigt. Was zuvor noch 5-10 Jahre gedauert hat geschieht nun in 3 Monaten. Im Handel wurde der von den einen langersehnte, von den anderen gefürchtete „finale Durchbruch“ des eCommerce für alle sicht- und spürbar.

Quelle: Lebensmittel Zeitung, Nr. 26, 26.06.2020, Seite 30

Über 30% der Konsumenten geben an, dass sie statt in den Geschäften vor Ort heute Einkäufe online erledigen. Dieser Trend wird sich nicht mehr umkehren, denn positive Erfahrungen (Zeitersparnis, Kostenersparnis, usw.) bleiben und die Trägheit – oder neutraler gesprochen: die Convience- siegt.

Der Trend von leeren Geschäften wird sich fortsetzen

Zu diesem Effekt gesellt sich eine Entwicklung, die bereits vor Corona da war, die nun aber sichtbar wird: Leere Innenstädte. Wer jetzt auf einen hundertprozentigen rebound hofft, dem sei gesagt: Der Trend von leeren Geschäften und Einkaufszentren wird sich fortsetzen! Die zuvor genannten Erfahrungen der Coronazeit verstärken diese Entwicklung sogar noch.

Was wird also in Zukunft die Motivation sein, sich in die stationären Geschäfte zu begeben? Denn die Gleichung „Innenstadt gleich Konsum“ ist nicht mehr belastbar. Was kommt, was bewegt uns also in Zukunft? Werden es vergleichbare Ansätze wie jener des McFit Gründers Rainer Schaller mit dem „The Mirai“ (https://www.themirai.com/) in Oberhausen sein: Die Vereinigung von Fitness, Unterhaltung, Shopping und ärztliche Betreuung in einem holistischen Konzept? Wahrscheinlicher, als dass es in Zeiten von Streaming Kinos sind, die als Magneten der Innenstädte wirken.

Wie in der folgenden Aufstellung zu sehen wachsen in der Corona Zeit das eCom Geschäft, der Lebensmitteleinzelhandel und die Baumärkte.

Quelle: Statistische Bundesamt https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/07/PD20_245_45212.html

Großer Verlierer des Lockdowns ist die Textilbranche. Der Wandel ist im Fashion Bereich angekommen und lässt sich anhand der Zahlen nicht leugnen. Die Probleme von Zara und H&M sind offensichtlich und das gleichzeitige Wachstum von Firmen wie Zalando und AboutYou, den großen Online Playern, könnte beeindruckender nicht sein.

Ob wir diese Entwicklung auch im Lebensmitteleinzelhandel sehen werden, bleibt abzuwarten. Auch in dieser Branche stehen die Herausforderer vor der Tür: Hellofresh, Flaschenpost, Picnic, Amazon Fresh etc., um nur einige zu nennen. Durch Corona haben wir gelernt, dass ein einziger Auslöser reicht, um ein jahrzehntelang bewährtes Geschäftsmodell auf den Kopf zu stellen.

Was bleibt dem stationären Handel und was sind die Ansätze, um in dem sich verkleinernden Markt weiter mitzuhalten? Gute Frage, vielleicht liefern die folgenden  Thesen Ansätze:

These 1. So trist wie es heute ist, wird es nicht immer bleiben?

Nein, aber so wie früher wird es nicht mehr werden!

Die Wirtschaftsweisen gehen von einem Rebound aus, der sich nach Corona einstellen wird. Darum sollten die notwendigen Vorbereitungen getroffen werden, die Produkte und Services für diese Zeit aufgestellt zu haben.

Quelle: Sachverständigenrat, KONJUNKTURPROGNOSE 2020 UND 2021 vom 23.06.2020

These 2. Stores mit Mehrwert schaffen

Zur Zeit befinden sich die Mieten und Einnahmen im Einzelhandel in einer gegenläufigen Entwicklung. Was nun tun, mit einer solchen Immobilie bzw. einem Mietvertrag? Schauen wir auf die Großen der Branche, wie die sich dem Thema nähern. Amazon ist in Übernahmeverhandlungen mit JCPenney. Worum geht es dabei? Wollen sie den Einzelhandel retten oder geht es ausschließlich um das Immobilienportfolio, um Logistik Hubs in Innenstadtlage aufzubauen.

Natürlich bleibt dies bis auf weiteres Spekulation, aber die Zeichen verdichten sich zunehmend, dass wir in den Innenstädten Logistik bzw. Service Hubs sehen werden. Dass dies für die Marktplätze aus dem Onlineumfeld wie Zalando und besagten Amazon Sinn macht liegt auf der Hand. Wie sich aber „Monobrands“ schlagen werden, bleibt abzuwarten. Ebenso gibt es bereits bei Mediamarkt erste Märkte, die dem zuvor beschriebenen Ansatz folgen und als Servicepunkt bzw. Abholstation dienen.

„Die Zeichen verdichten sich zunehmend, dass wir in den Innenstädten Logistik bzw. Service Hubs sehen werden.“

These 3. Kundenerlebnis is key

Es bleibt dabei, auch in der Nach-Coronazeit müssen die Kunden dort abgeholt werden, wo sie stehen. Wir werden zunehmend unterschiedliche Ansätze sehen, da es die eine homogene Zielgruppe so nicht mehr gibt. Welche Daten bin ich bereit mit dem Händler zu teilen, welche technischen Innovationen/Wege möchte ich mitmachen und wie soll der Bezahlvorgang aussehen? Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, dass die Customer Experience, egal für welche Zielgruppe, mehr denn je in den Vordergrund rücken muss. Bereits 2018 veröffentlichte PwC mit „the future of cx“ eine Studie, die verdeutlicht, was erforderlich ist um ein positives Kundenerlebnis zu schaffen.

Quelle: PwC “the future of cx” von 2018

Dies zu gestalten, ist im stationären Umfeld viel einfacher, als auf einer ausschließlich digitalen Kommunikation. Zwei wesentliche Themen, welche in der Studie damals noch keine Erwähnung fanden, sind die Nachhaltigkeit und der lokale Shopping Gedanke. Wobei der lokale Gedanke durch Corona gestärkt wurde und höchstwahrscheinlich auch weiterhin wachsen wird, so hat die Nachhaltigkeit eine Verschnaufpause eingelegt. Doch mit dem Überwinden der Pandemie wird sie wiederaufgenommen werden.

These 4. eCom Ansätze in den stationären Handel bringen und vice versa

Definitiv, es ist an der Zeit die Erfahrungswelten aus dem eCom in den stationären Handel zu bringen und somit alles, was sich rund um das Thema „Personalisierung“ entspinnt. Das sind von der Identifikation, über aktives Cross und Upselling am POS,  stark personalisierte Kommunikation (via Digital Signage, Smart Shelf Labels, Smartphone) hin zu frei wählbaren Checkoutszenarien (@counter, @kiosk oder @app).

Genauso müssen die stationär gespielten und etablierten Themen wie Nachhaltigkeit und lokale Produkte glaubhaft ins eCom Business getragen werden.

Was bleibt als Fazit?

Erwartungen müssen richtig definiert werden. Neue Kundenerlebnisse müssen geschaffen werden, im Idealfall auf direkter Basis von Omnichannel Ansätze, die dem stationären Geschäft eine neue Sinnhaftigkeit verleihen und die seinen Stärken gegenüber dem eCom klar spielen. Aus meiner Warte bleibet diese Bewertung:

  • Warenverfügbarkeit – eCom
  • Liefergeschwindigkeit – POS
  • Convienence  – eCom
  • Preis – eCom
  • Anprobe – POS
  • Verkaufsberatung – POS
  • Nachhaltigkeit – POS
  • New Local – POS

Der Hebel ist da, doch die Lösungen die es braucht haben wir noch nicht gesehen. Vielleicht sind es die „Quartier Stores“, stationäre Flächen in Wohngebieten mit Gastronomie- und Einzelhandelselementen gepaart mit Logistikfunktionen.

Der stationäre Handel muss den Abgesang nicht fürchten, aber er muss neue Wege beschreiten trotz aller Hemmnisse (Miet-/Pachtverträge).

Über den Autor:

Björn Wessel ist seit 2019 bei der Wirecard als Head of POS Global Product tätig und verantwortet hier die Entwicklung eines globalen POS-Produktes. Zuvor hielt er die Rolle als COO bei der TWINT AG inne, mit dem Schwerpunkt Mobile Payment Schemes/Issuer/Acquirer-Aufbau. Erfahrungen hat Björn auch im Miles&More Geschäft, als er bei der Loyalty Partner Group arbeitete.

Autor

  • Nicole Nitsche ist studierte Theaterwissenschaftlerin und hat mehrere Jahre als Regieassistentin beim Thalia Theater Hamburg gearbeitet. Danach war Nicole Leiterin der Presse-und Marketingabteilung eines Hamburger Musiklabels. Als klassische Quereinsteigerin hat sie die komplette Kommunikation sowie den Aufbau der Redaktion bei Payment & Banking geleitet und verantwortet. Nicole ist seit August 2021 Geschäftsführerin von Payment & Banking und ist verantwortlich für die Bereiche Struktur, Planung, Umsetzung und Konzipierung von allen Events (z.B PEX, BEX, TRX & CryptX).

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