Im Sommer dieses Jahres stellte sich Bundesfinanzminister Christian Lindner gemeinsam mit Bundesjustizminister Marco Buschmann vor die Presse und versprach, die Branche mit dem sogenannten Zukunftsfinanzierungsgesetz (kurz: ZFinG) stärken zu wollen. Bislang gibt es nur ein Eckpunktepapier, der Referentenentwurf wird mit Spannung erwartet.
Ziel des ZFinG ist es, den Zugang zum Kapitalmarkt verbessern und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtern und den Finanzplatz Deutschland zum führenden Standort für Start-ups und Wachstumsunternehmen machen. Wir sprechen mit Dr. Lea Maria Siering und Kevin Hackl, sich im Rahmen ihrer Arbeit beim bitkom e.V. für die erfolgreiche Digitalisierung der Finanzbranche und FinTechs einsetzen und in ihrer Funktion die Ausgestaltung des ZFinG sehr genau beobachten und kommentieren.
Was genau soll das Zukunftsfinanzierungsgesetz eigentlich sein?
Das Zukunftsfinanzierungsgesetz soll ein breit gefächertes Maßnahmenpaket werden, um insbesondere dem bereits im Koalitionsvertrag festgelegten Ziel näherzukommen: „Für FinTechs, InsurTechs, Plattformen, Neo-Broker und alle weiteren Ideengeber soll Deutschland einer der führenden Standorte innerhalb Europas werden.“ Ausgangslage ist, dass Deutschland – um weiterhin führende Industrienation bleiben zu können – Investitionen in nahezu beispiellosem Umfang benötigen wird. Neben der Stärkung der Wirtschaft muss ein Zukunftsfinanzierungsgesetz gleichzeitig die Basis für die „duale Transformation“ bilden, also Gesellschaft und Wirtschaft zügig auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit einstellen. Um diese Ziele zu erreichen, skizziert das Eckpunktepapier im Wesentlichen folgende Maßnahmen:
- Erleichterter Zugang zu Kapital und Finanzierung für Startups, FinTechs & KMUs, inkl. erleichterte Börsengänge
- Digitalisierung des Kapitalmarkts durch eine Weiterentwicklung des eWpG
- Weiterentwicklung und Digitalisierung der Finanzaufsicht
- Steuerliche Attraktivierung von Aktien- und Vermögensanlagen
- Überarbeitung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen
Warum ist ein Zukunftsfinanzierungsgesetz eigentlich wichtig?
Es steht außer Frage, dass Deutschland wunderbare „Founder-Stories“ hervorgebracht hat. Es ist aber auch Fakt, dass wir im EU-Vergleich nicht die stärkste Founder-DNA haben. Das hat unterschiedliche Gründe: von Risikoaversion, fehlendem Mut über Bildung und Erziehung bis hin zu gesetzlichen und aufsichtlichen Rahmenbedingungen. Es ist daher konsequent und wichtig, dass die Bundesregierung hier Maßnahmen forciert und Verbesserungen schafft. „Zukunftsfinanzierungsgesetz“, also das nachhaltige Absichern der Zukunft unseres Standorts, umschreibt die Sachlage treffend. Das funktioniere nur, wenn – wie mit dem Gesetz auch beabsichtigt – die Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts gestärkt und die Attraktivität des deutschen Finanzstandorts als bedeutender Teil eines starken europäischen Finanzplatzes erhöht wird.
Das Zukunftsfinanzierungsgesetz ist aber eine rein deutsche Initiative. Das ist aus unserer Sicht zu wenig: Rahmenbedingungen müssen europaweit gelten. Wenn wir über „European Champions“ sprechen, muss v.a. die Marktfragmentierung innerhalb Europas schnell abgebaut werden. Hierzu zählen unter anderem IBAN-Diskriminierung, unterschiedliche KYC-Anforderungen, uneinheitliche aufsichtliche Anforderungen, kein harmonisierter Verbraucherschutz oder auch das Fehlen von digitalen Identitäten.
Unabhängig davon ist es natürlich wichtig, dass Deutschland nationale Wachstums- und Skalierungshemmnisse abbaut und versucht, Wettbewerbsvorteile für die hiesige Startup- und FinTech-Branche zu schaffen. Ob dies gelingen wird, bleibt abzuwarten.
Viele Themen, viele Schauplätze: Was sind die größten Knackpunkte?
Momentan ist der größte Knackpunkt, die fehlende Priorisierung der vorgeschlagenen Maßnahmen sowie mangelnde Klarheit bezüglich der konkreten Ausgestaltung bzw. gesetzlichen Umsetzung.
In dem Papier sind viele Aspekte noch sehr vage. Ein Beispiel ist die angestrebte Verbesserung von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen. Im Eckpunktepapier wird etwa konkret die Anhebung des Freibetrags von 1.440 EUR auf 5.000 EUR in Aussicht gestellt. Das ist „nett“, aber weder konkurrenzfähig – die Spanier diskutieren einen jährlichen Freibetrag von 50.000 EUR – noch schafft es tatsächlich eine Lösung. Das Problem ist nicht der Freibetrag an sich, sondern der Zeitpunkt der Besteuerung. Diese fällt bereits bei der Zuteilung an, mithin zu einem Zeitpunkt, an dem weder Geld geflossen ist noch klar ist, ob das jemals der Fall sein wird.
Mitarbeitende müssen damit die Hoffnung auf einen Erlös besteuern, was als nicht sachgerecht empfunden wird (sog. Dry-Income Problematik, §19a EstG)). Dass das Eckpunktepapier lediglich eine „Attraktivierung“ betreffend §19a EstG in Aussicht stellt, ist unserer Meinung zu unkonkret. Ein weiteres Beispiel ist das zu begrüßende Modernisierungsvorhaben der Finanzaufsicht.
„Schon heute liebäugeln in Deutschland ansässige regulierungspflichtige FinTechs mit der Idee, eine Erlaubnis im europäischen Ausland zu beantragen.“
Aber auch hier lässt das Eckpunktepapier Konkretes vermissen. Dabei brauchen wir Tempo: Schon heute liebäugeln in Deutschland ansässige regulierungspflichtige FinTechs mit der Idee, eine Erlaubnis im europäischen Ausland zu beantragen und dann über das sogenannte Passporting am deutschen Markt zu agieren.
Schnellere Time-to-Market und Effizienz
Begründet wird diese Erwägung mit einer schnelleren Time-to-Market und mit mehr Effizienz. Ob dies tatsächlich zutrifft, sei dahingestellt, aber gleichwohl ist die Absicht, die Finanzmarktaufsicht digitaler und damit auch agiler sowie effektiver zu machen, etwas, das zeitnah erfolgen muss. Am Ende kann es sich der Innovationsstandort Deutschland nicht erlauben, dass Gründerinnen und Gründer auch nur darüber nachdenken, im Ausland zu gründen. Nicht zuletzt hilft eine Effizienzsteigerung schlussendlich auch der Aufsicht selbst, die sich durch einen höheren Digitalisierungs- und Automatisierungsgrad stärker auf ihre aufsichtlichen Aufgaben fokussieren kann.
Jedoch ist hier vor allem die Finanzaufsicht am Zug, da der Einflussbereich des BMF begrenzt ist. Entwicklungen der letzten Wochen stimmen vorsichtig positiv: Eine Machbarkeitsstudie zur Modernisierung des Meldewesens wurde präsentiert und ein FinTech Hub wurde seitens der BaFin eingerichtet, das als erste Schnittstelle für Gründer:innen fungieren soll. Diese Signale sind wichtig, können allerdings nur einen ersten Anfang darstellen. Wir brauchen eine offene Diskussion zu Fragen rund um die Weiterentwicklung der Finanzaufsicht mit dem Anspruch, besser zu werden. Wir brauchen mehr Digitalisierung, mehr Kommunikation zwischen Aufsicht und Marktakteur:innen und ein besseres Verständnis für die Funktionsweisen digitaler Geschäftsmodelle. Die besten Rahmenbedingungen helfen nichts, wenn sie am Ende bei den Unternehmen und angehenden Gründerinnen und Gründern über aufsichtliche Praktiken nicht ankommen.
Lücke bei Later-Stage-Finanzierungen
Manche Aspekte fehlen unserer Ansicht nach zudem komplett, z.B. wie man die Lücke bei “Later-Stage” Finanzierungen konkret schließen möchte. Allein erleichterte Börsenzulassungsvoraussetzungen dürften nicht ausreichend sein, insbesondere, weil es aktuell schon unterschiedliche Segmente bzw. Standards mit divergierenden Anforderungen gibt.
Vor diesem Hintergrund wird es wichtig sein, den Umfang des Eckpunktepapiers an den entsprechenden Stellen auszuweiten. Der Bundesfinanzminister, Christian Lindner, hat selbst dieses Bedürfnis erkannt, als er vergangenen Donnerstag im Rahmen des FDP-Gründerdialogs explizit darüber sprach, die Late-Stage Finanzierung in Europa gestärkt sehen zu wollen.
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Wo liegen eurer Meinung nach die größten Streitpunkte innerhalb der Ampel beim ZFinG? Wer will was?
Die Weiterentwicklung des FinTech-Standorts ist insbesondere Schwerpunktthema der FDP. Entsprechend hoch sind seitens der Industrie die Erwartungen, dass Verbesserungen zügig umgesetzt werden; schließlich werden die beiden zentralen Ministerien für das Zukunftsfinanzierungsgesetz – BMF und BMJ – von den Freien Demokraten angeführt. Da das Thema auch im Koalitionsvertrag adressiert wurde, kann davon ausgegangen werden, dass auch die Koalitionspartner SPD und B90/G dem Eckpunktepapier des ZFinG dem Grunde nach zustimmen werden.
Wo potenzielle Konflikte aufkommen und welche Aspekte als Verhandlungsmasse dienen werden, wird sich zeigen, sobald ein Referentenentwurf veröffentlicht und im Anschluss zur Beratung in den Ausschuss und damit in den Bundestag gelangt. Jedenfalls gehen wir von intensiven – oder anders gesagt – spannenden Beratungen aus. Das heißt, das letzte Wort wird noch lange nicht gesprochen sein.
Ein sehr zentraler Punkt ist beispielsweise auch die Mitarbeiterbeteiligung. Warum ist das ein großes Streitthema und welche Abweichungen zwischen dem Eckpunktepapier und dem Referentenentwurf sind hier zu erwarten?
Es sollte eigentlich schon lange kein Streitthema mehr sein. Wir dürfen nicht vergessen: Deutschland belegt im europaweiten Vergleich den zwanzigsten und damit letzten Platz, was die Attraktivität bei Mitarbeiterbeteiligungen anbelangt (Quelle: Not Optional). Auch ist die Forderung der Weiterentwicklung von ESOP/VSOP nicht neu. Die Branche hat sich seit Jahren die Zähne ausgebissen.
Unter der neuen Hausführung von Christian Lindner scheint das Thema nun endlich priorisiert zu werden: Mehrmals wurde betont, das Problem der Dry-Income-Problematik ein für alle Mal vom Tisch zu schaffen. Gegenwärtig befassen sich die Steuerexperten im BMF damit, wie sichergestellt werden kann, dass Steuern bei einem Liquiditätsfluss nicht „unter den Tisch fallen“. Die Sorge ist, dass Steuern schlicht nicht gezahlt werden, v.a. wenn Mitarbeiter:innen ins Ausland ziehen.
Hierzu haben wir einen Vorschlag gemacht, um dies zu unterbinden: Die die Mitarbeiter:innenbeteiligung ausgebende, arbeitgebende Gesellschaft (Anm. das Startup) könnte gemeinsam mit dem Begünstigten (Anm. Mitarbeiter) verpflichtet werden, die Veräußerungserlöse der (ehemaligen) Arbeitgeber-Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, damit diese den noch bestehenden (Lohnsteuer-)Verpflichtungen nachkommen kann.
Was im Eckpunktepapier ist bereits europäisches Recht, was muss noch in Form gegossen werden?
Das lässt sich schwer beantworten – hierfür sind die Vorschläge mitunter noch zu generisch.
Die Idee, dass insbesondere Startups erleichtert an Kapital – durch vereinfachte Zugangsvoraussetzungen an der Börse – gelangen können sollen, ist (auch) Gegenstand des Listing Act Reviews der EU-Kommission. Gleiches gilt bei Naked Warrants sowie SPACs, aber auch bei der Digitalisierung des Kapitalmarkts durch die Erweiterung des eWpG auf Aktien. Denn im EU-Vergleich sowie weltweiten Effektenverkehr ist das Wertpapierrecht für papierlose Begebungsformen bereits üblich.
Wenn uns noch ein Fazit erlaubt ist: Trotz aller berechtigter Kritik ist die Initiative uneingeschränkt zu begrüßen. Denn die Idee, den deutschen Kapitalmarkt wieder aufleben zu lassen, ist für alle Seiten gut: die Unternehmen, die Wirtschaft und auch für Anleger. Sowohl BMF und BMJ haben sich in ersten Expert:innengesprächen offen gezeigt für Feedback und Ideen zur weiteren Ausgestaltung des Eckpunktepapiers. Entsprechend gespannt erwarten wir den Referentenentwurf.
Anm. der Redaktion: Wer sich vertieft in die Position des bitkom e.V. einlesen möchte, kann das hier tun: https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/Eckpunktepapier-Bundesregierung-Zukunftsfinanzierungsgesetz
Im Gespräch sind: Kevin Hackl und Dr. Lea Maria Siering – beide setzen sich im Rahmen ihrer Arbeit beim bitkom e.V. für die erfolgreiche Digitalisierung der Finanzbranche und FinTechs ein, damit sich Deutschland als Teil von Europa zum führenden Standort für Finanztechnologie entwickelt. Ein wettbewerbsfähiges Finanz-Ökosystem innerhalb von Europa, die Stärkung eines Level-Playing-Fields, Technologieoffenheit und das Grundsatzprinzip der Proportionalität in der Aufsichtspraxis stehen dabei im Zentrum.