Das Warten auf UBI und Telematik

students sitting on bench near bus stop

Nutzungsabhängige Versicherungstarife spielen bei Insurtechs und tradierten Versicherern seit Jahren eine wichtige Rolle. Der Einfluss insgesamt scheint aber überschaubar. Das könnte auch an den vielen offenen Fragen liegen.

Damit dieser Beitrag nicht ständig über den Begriff „nutzungsabhängiger Tarif“ stolpert, wird im Folgenden dann von der englischen Entsprechung „Usage-based Insurance“ die Rede sein. Die lässt sich wenigstens griffig mit UBI abkürzen. 

Abkürzung hin oder her: Seit vielen Jahren gilt UBI als das nächste große Ding in der Versicherungswelt. Keine Prognose kommt ohne den Hinweis aus, dass UBI (und in der Kfz-Welt Telematik) alles revolutionieren wird. 

Nun braucht es wohl keine empirischen Studien, um schnell zu ermitteln, dass das alles andere als Mainstream ist. Dazu genügt es, einfach mal die Nachbarn zu fragen, wer denn einen solchen Vertrag besitzt. Zuletzt war von 750.000 Telematik-Tarifen in Deutschland die Rede. An gleicher Stelle wurde dann die steile These aufgestellt, dass dies in den nächsten drei Jahren 10 Millionen sein sollen – ohne zu verraten, was denn diesen Schub bewirken soll.

Es muss also Gründe geben, warum das Thema UBI noch nicht die Traktion aufgenommen hat, die alle Studien vorhergesagt haben. Und den Anleger:innen geht es auch nicht schnell genug, wie die Kursentwicklungen etwa von Lemonade zeigen. 

Was hier nicht gemeint ist: Kurzzeitversicherungen

Zur besseren Abgrenzung, worum es hier gehen soll: Wenn von UBI und Telematik in diesem Beitrag gesprochen wird, soll es nicht um Kurzzeitversicherungen gehen, die auch als „Pay per Use“ bezeichnet werden. Die Reiseversicherung, die ich für wenige Tage im Jahr abschließe, weil ich unterwegs bin. Oder die Absicherung eines Fahrrads, die nur dann bezahlt werden muss, wenn ich ein Rad miete oder tatsächlich damit fahre. 

Diese Konstrukte erscheinen sinnvoll, vor allem bestrafen sein kein Fehlverhalten. Entschuldigung. Belohnen kein korrektes Verhalten – so ja die gewünschte Sichtweise der Anbieter.

Solidaritätsprinzip aushebeln?

Wie heißt es so schön auf der Website von Metromile?

„Traditional auto insurance is unfair to most consumers leaving 65 % of drivers overpaying for auto insurance.“

Ja, so kann man es sehen. Es ist streng genommen unfair, dass in meinem Tarif auch schon der Schaden eines anderen eingerechnet ist. Doch genau auf diesem Prinzip basiert der Kerngedanke der Versicherung. 

Die ersten Feuerversicherungen (Feuerkassen) sicherten finanzielle Verluste durch Brandschäden ab. Und die Brandgefahr in den Innenstädten lag viel höher als heute. Die Häuser standen enger beieinander, Brandschutzmaßnahmen waren unbekannt und es wurde mit Kohleöfen geheizt. Vielleicht hat es der eine oder andere Hausbesitzer als unfair gefunden, wenn er jahrelang in die Feuerkasse zahlte, aber nur das Haus zwei Straßen weiter abbrannte.

Wird der Gedanke konsequent weiter verfolgt, ist man schnell in anderen Bereichen. Ist es fair, dass in den Beiträgen meiner Krankenversicherung auch die Herz-OP meines Nachbarn enthalten ist? Obwohl der sein Leben lang zu viel gewogen hat, weil er sich schlecht ernährte? Muss die Versicherung nun wirklich noch die Augen-OP eines älteren Herren mit 78 Jahren bezahlen?

So könnte die eher schleppende Verbreitung dieser Tarifmodelle daran liegen, dass Versicherte die Frage umtreibt, was denn wäre, wenn sie einen größeren Schaden melden müssten. So völlig ohne Solidaritätsprinzip scheinen doch nicht so viele Kund:innen leben zu wollen. 

Ein weiterer Grund mag in der fehlenden Transparenz im Underwriting liegen.

Auch KI kann irren

Damit ein UBI-Tarif die „Fairness“ bietet, die er verspricht, muss das Verhalten hinter dem Steuer permanent überwacht und ausgewertet werden. Übertragen auf die Gesundheitsvorsorge hätten medizinische Geräte und Sensoren die Aufgabe, zu ermitteln, wie viel ich schlafe, mich bewege und was ich esse. 

Völlig abgesehen von der Frage, wem diese Überwachung rund um die Uhr tatsächlich gefällt, steckt dahinter ein technologisches Problem.

Denn Sensoren liefern Daten in sehr großen Mengen. Selbst ein Auto, das wenig bewegt wird, liefert dann im Jahr über seine eingebauten Sensoren Datenmengen zurück, die eher im Terabyte- als im Gigabyte-Bereich liegen. Das kann kein Mensch auswerten und beurteilen. 

Also verlassen wir uns auf KI: Nur wissen wir hinlänglich, dass KI zumindest aktuell weder über ein Bewusstsein verfügt (zum Glück, man denke nur an Terminator oder Matrix), noch besonders intelligent ist. Denn sie ist von Menschen entwickelt. 

Noch recht jung sind Überlegungen zur Ethik bei der Programmierung von IT-Systemen. Doch „BIAS“ haben die meisten schon gehört. Menschliche Voreingenommenheit setzt sich im Quellcode von Algorithmen fort, die die Grundlage für KI sind. Und damit für automatisierte Entscheidungen.

Ob das tatsächlich mit Fairness zu tun hat? Das Insurtech MileAuto erklärt auf seiner Website zu seinem angeblich fairen Tarif, wie der denn berechnet wird:

„Both your base rate and your per mile rate are based on standard insurance variables like your driving history, location, vehicle type and use, age and gender, years of driving experience, credit history…“

Äh, Moment: Geschlecht, Alter, Kredithistorie? Alle sind gleich, nur manche sind gleicher als andere? Ist es das?

Versicherung läuft Gefahr, zum Überwacher und Erziehungsberechtigten zu werden

Eines der gewichtigsten Argumente für Telematik- oder besser für „Pay how you drive“-Tarife in der Kfz-Versicherung lautet immer, dass wohl niemand Interesse daran haben kann, Verkehrs-Rowdys mitzuversichern. Auch hier könnte jetzt ganz hervorragend unter ethischen Gesichtspunkten gestritten werden.

Aber generell scheint die Industrie an dieser Stelle relativ gut aufgestellt zu sein. Zumal aktuelle und zukünftige Fahrzeuggenerationen ohnehin mehr und mehr zu einem vernetzten Computer auf Rändern werden. Wenn denn, siehe das Beispiel MileAuto, eher unerwartete Parameter bei der Bewertung herausfallen. 

Unkritisch dürften auch Bereiche der parametrischen und auf Sensoren basierenden Versicherungen sein. Zum Durchbruch wird es hier kommen, wenn sich die Versicherten an variable Tarife gewöhnt haben. 

Die Parametrik sorgt nur dafür, dass der Schaden widerspruchslos anerkannt wird. Eine Dürre ist eine Dürre. Den Unterschied bildet nur der Wunsch, wie hoch die Absicherung sein soll. Will der landwirtschaftliche Betrieb nur einen finanziellen Zuschuss oder soll ein Ernteausfall insgesamt abgesichert sein?

In anderen Segmenten sind aber noch mehr als genug Fragen offen. Auf UBI in der Krankenversicherung müssen wir also noch weiter warten – wenn wir sie denn überhaupt wollen.

Autor

  • Stephan ist seit Anfang der 90er Jahre online und hat eine ausgeprägte Fintech-Vergangenheit (Star Finanz, Hypoport). Bei der Hypoport-Tochter Dr. Klein war er u.a. für das Produktmanagement und den Bereich Business Development verantwortlich. Seit über 10 Jahren schreibt er über ausschließlich über Tech, Retail, E-Commerce und Insurance.

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