Neobanken buhlten lange allein um digitalaffine, junge Kund:innen. Doch das ist vorbei. Wenn sie weiter wachsen wollen, müssen sie kreativ sein – und in die Nische gehen. 

Vertical Villages, Vertical Farming, Vertical AI: Das Zauberwörtchen mit „V” scheint der Anfang von allem zukunftsfähigen und innovativen zu sein. Dabei ist es zumindest im Bankensektor eigentlich so gar nichts Neues. Da ist zum Beispiel die Bank of America, das wohl bekannteste und älteste Beispiel aus dem Vertical Banking: Amadeo Giannini hat sie 1904 als Geldinstitut für die vielen italienischen Einwanderer gegründet. Aus dieser Nische heraus ist die heute achtgrößte Bank der Welt entstanden. 

Vertical Banking ist also ein  vielversprechendes Geschäftsfeld, das eigentlich gerade boomen sollte. Und  Denn der Wunsch nach Individualisierung in der Gesellschaft war vermutlich noch nie größer und nichts anderes ist ja ein Vertical: Eine Bank oder ein Bankprodukt, das speziell auf eine bestimmte Kundengruppe ausgerichtet ist. Statt allgemeiner Bankdienstleistungen für die breite Masse, konzentriert sich Vertical Banking auf eine Nische und bietet maßgeschneiderte Lösungen und Produkte für diese: Ein spezialisiertes Produktportfolio, das auf das Selbstbild, die Emotionen und Bedürfnisse einer bestimmten Zielgruppe. Und genau hier liegt der Hebel für das künftige Wachstum von Neobanken. 

Junge Kund:innen sind keine Nische mehr

Im deutschen Markt gibt es einige Geldhäuser, die sich als Vertical oder mit Vertical-Produkten versuchen. Bei Tomorrow sind es umweltbewusste Kund:innen, die ihr Geld in nachhaltige Finanzprodukte stecken wollen. Das läuft gut: 2023 setzte Tomorrow insgesamt 12 Millionen Euro um und damit mehr als doppelt so viel wie noch 2022. Bei Kontist sind es Geschäftskonten speziell für Freelancer:innen, die zu ihrem Konto auch Zusatzleistungen wie einen automatisierten Buchhaltungsservice oder Umsatzsteuerrechner bekommen. Und bei der KT Bank sind es Muslime, die ihre Bankgeschäfte gemäß des islamischen Rechts tätigen wollen.

Darüber hinaus könnte man sagen, dass Neobanken an sich vertikale Kundengruppen ansprechen: Junge Menschen, die keine Filiale und keinen Berater brauchen, die ihre Bankgeschäfte digital verrichten und deren Smartphone die Bankkarte ersetzt hat. Und vor zehn Jahren hätte das sicherlich auch noch zugetroffen. Damals, als die ersten Neobanken aufkamen, lautete ihr Versprechen: Modernität und Innovation. 2015, als N26 gegründet wurde, war es die erste Bank, die sich gezielt an eine junge Kundengruppe gerichtet und ihre Bedürfnisse erkannt hat.

Doch heute sind Neobanken nicht mehr die einzigen, die es auf diese Kundengruppe abgesehen hat und die Produkte speziell für junge, digitale Anleger:innen und Sparer:innen anbietet. Die großen Banken haben nachgezogen. Sie alle haben mittlerweile ein digitales Angebot. Es ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr, keine Nische, die mehr bedient wird. Es wurde zur Grundvoraussetzung für die breite Masse. Von den einst 17 Neobanken im deutschen Markt gibt es heute deshalb nur noch rund die Hälfte. Aufsehenerregende Neugründungen gab es jüngst keine – weil alle Nischen bedient sind? Weil alle das gleiche wollen? Wohl kaum.

Mikrokredite, soziale Investments, Start-up-Förderung: Besondere Bankenprodukte punkten

Blickt man auf die Abschlüsse der deutschen Banken, dann sticht die evangelische Bank heraus. Während die Kirchenmitglieder schrumpfen und schrumpfen, wachsen und wachsen die Kirchenbanken, die es seit rund 100 Jahren gibt. 2023 übertraf die evangelische Bank ihre Ergebnisprognose um ganze 28 Prozent. Eigentlich konzentrierten sich die fünf Kirchenbanken, die es heute in Deutschland noch gibt, lange auf Darlehen für soziale Einrichtungen und Krankenhäuser. Sie finanzieren soziale und ökologische Projekte, vergeben Kredite für bezahlbaren Wohnraum, Mikrokredite in Schwellenländer und stehen dennoch mit ihren Konditionen den großen Geldhäusern in nichts nach. Viele Privatkund:innen  schätzen das – auch solche, die weder gläubig sind noch in der Kirche arbeiten. Mittlerweile ist der Anteil der Privatkund:innen bei der Evangelischen Bank laut Vorstandssprecher Peter Güllmann auf 15 Prozent gewachsen. Die katholische Bank des Bistums Essen gewann im vergangenen Jahr 1500 neue Privatkund:innen. Sie wollen nicht nur Geld, sondern auch ein gutes Gewissen.

Denn eben weil sich die Bankenprodukte heute so ähneln, weil es so ein großes Angebot gibt, gilt es mehr denn je, einen individuellen Mehrwert zu bieten und Kund:innen persönlich anzusprechen. Und das funktioniert nicht mehr, wie die Neobanken bisweilen glauben, schlicht durch digitale Kerndienstleistungen. Was Kund:innen an Vertikal-Banken schätzen, sind die Angebote abseits jenes Kerngeschäfts, die Palette von Dienstleistungen, die dem Konto Farbe verleihen, sei es gebührenfrei oder nicht. Die die individuellen Probleme und Bedürfnisse einer spezifischen Gruppe lösen, was keine andere Bank kann. Für die Neobanken wäre das ein enormes Potenzial, um sich neben herkömmlichen Banken weiter zu etablieren, die sich in den letzten Jahren einiges bei ihnen abgeschaut haben. Denn auch wenn Neobanken wachsen: Ihre Bekanntheit ist ausbaufähig. Am ehesten ist den Deutschen noch N26 ein Begriff. Doch auch den größtenPlayer kennen laut einer aktuellen Umfrage nur 41 Prozent. 

Ein Fintech, das das verstanden hat, ist Amina (ehemals Seba). Kürzlich hat die 2018 gegründete Bank ein neues Banking-Paket auf den Markt gebracht, das sich an Gründer:innen von Web3-Startups und Scale-Ups richtet. Das Banking-Agebot soll ihre Innovationen fördern, indem es ihnen in der Wachstumsphase umfassende Finanzinstrumente und -dienstleistungen zur Verfügung stellt und viele der traditionellen Barrieren beseitigt. „Diese Start-ups haben oft Schwierigkeiten, Bankpartner zu finden, die die Feinheiten digitaler Assets verstehen und Produkte anbieten, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten sind”, erklärt der Amina-Produktmanager Myles Harrison. Wie erfolgreich das sein wird, wird sich noch zeigen.

Fakt ist aber: Verticals wären ein Ansatz, um profitabel zu werden. Das haben europaweit bis jetzt nämlich nur vier Neobanken geschafft. Denn wofür Kund:innen nicht mehr bereit sind zu zahlen, sind Kerndienstleistungen. Die gibt´s mittlerweile oft genug gratis. Wofür sie durchaus bereit sind zu zahlen, ist das Ökosystem, die Benefits, das gute Gewissen, die ihnen durch Vertical Banking bereitgestellt werden.

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