Versicherer und Insurtechs auf dem Krisen-Prüfstand
Ein Gastbeitrag von Christian Wiens, CEO und Co-Founder von Getsafe.
Die Corona-Krise friert weite Teile des wirtschaftlichen Lebens ein. Unter dem Lockdown leiden einige Branchen mehr, andere weniger. Wie sieht die Prognose für Versicherer und Insurtechs aus?
Mit den nötigen Nahrungsmitteln versorgt sein, ein Minimum an Sozialkontakt pflegen, sich und seine Angehörigen gesund erhalten – in Krisenzeiten besinnen sich die Menschen auf Basisbedürfnisse. Gemein ist ihnen das Streben nach Sicherheit. Versicherungen bedienen für bestimmte Bereiche dieses Sicherheitsbedürfnis und gewinnen darum an Relevanz für die Gesellschaft. Gerade in Zeiten, in denen Corona unseren Alltag auf den Kopf gestellt hat.
In Schieflage geraten sind dabei nicht nur die Privathaushalte. Ein Blick auf die Börsenkurse verrät: Die Pandemie hat massive Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Besonders hart trifft es etwa die Fluggesellschaften und den Tourismussektor. Aber auch, wenn das Thema Sicherheit gerade besonders großgeschrieben wird, so macht sich die Krise ebenfalls bei den großen Versicherern wie Axa und Allianz in drastisch fallenden Börsenkursen bemerkbar.
Pflicht zur Digitalisierung
Wie hingegen schlagen sich Insurtechs in dieser Gemengelage? Getsafe beispielsweise verzeichnet im krisengebeutelten März einen allgemeinen Aufwärtstrend. Für das Insurtech war es der stärkste Monat seit Bestehen des jungen Unternehmens: Es konnte über 10.000 Neukunden gewinnen und außerdem sein Versicherungsportfolio weiter ausbauen.
Wie das trotz Corona funktioniert? Neu ist der Gedanke nicht, aber die Versicherungswelt muss sich digitalisieren. Unter den Extrembedingungen der Corona-Krise zeigt sich nun: Versicherer und insbesondere Agenten und Makler, die sich nicht an digitale Strukturen angepasst haben, bekommen Schwierigkeiten, der Vertrieb stürzt ihnen aktuell ein.
Eine Hauruck-Umstellung auf digital ist oft nicht ohne Weiteres möglich. Das liegt einerseits daran, dass die Technologie fehlt, andererseits braucht es für den erfolgreichen digitalen Direktvertrieb auch ein anderes Mindset. Wo diese Tech-Affinität nicht vorhanden ist, entsteht langfristig gesehen ein Nachwuchsproblem für die Unternehmen. Als selbständiger Versicherungsvermittler im Vertrieb zu arbeiten, wird für die kommenden Generationen immer weniger attraktiv.
Corona wird Startups aussortieren
Social Distancing bedeutet für Unternehmen: Homeoffice. Insurtechs sind mit einer guten technologischen Infrastruktur ausgestattet, sodass es ihnen ohne großen Aufwand gelingt, ihren Betrieb auf remote umzustellen.
Versicherern, die technologisch weniger gut aufgestellt sind, fällt diese Umstellung schwerer: Gerade bei personalintensiven Prozessen im Underwriting, beim Kundenservice und bei der Schadensbearbeitung wird das problematisch. Wenn hier Engpässe entstehen, wirkt sich das schnell negativ auf die Kundenzufriedenheit aus.
Klar ist aber auch: Um in der Krise zu bestehen, reicht Modernität allein nicht aus. Für unterfinanzierte Start-ups wird die Lage brenzlig, weil damit zu rechnen ist, dass die Finanzierung in den nächsten Monaten einbricht. Die Pandemie wird Start-ups aussortieren, die kein nachhaltiges Geschäftsmodell haben.
Technologie- und Mentalitätswandel
Die Bundesregierung hat bereits zugesichert, dass auch Start-ups Mittel aus dem sogenannten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) beantragen können. Das ist ein positives Zeichen, geht dem Bundesverband Deutscher Start-ups jedoch noch nicht weit genug. Der Verband unter Federführung von Christian Miele hat deshalb einen Vier-Stufen-Plan ausgearbeitet und dem Bundeswirtschaftsministerium sowie der Kreditanstalt für Wiederaufbau vorgelegt. Der Clou: Der Plan sieht vor, die finanziellen Hilfen nicht den Start-ups selbst, sondern den Investoren zu geben. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass nicht Start-ups gerettet werden, die bereits vor der Krise kein aussichtsreiches Geschäftsmodell hatten. Es steht zu hoffen, dass die Regierung hilft, das große Sterben der Start-ups zu vermeiden.
Die traditionellen großen Versicherer haben hingegen keinen Konkurs über Nacht zu befürchten. Die größten globalen Versicherungsunternehmen haben Jahresumsätze von jeweils weit über 100 Milliarden Dollar, das entspricht mehr als dem Doppelten des Umsatzes von Facebook im Jahr 2018. Bis Insurtechs sich annähernd in dieser Größenordnung bewegen und vergleichbar signifikante Marktanteile vorweisen können, werden Jahre vergehen.
„Bis Insurtechs vergleichbar signifikante Marktanteile und Jahresumsätze vorweisen können, werden Jahre vergehen.“
Und doch bin ich auch überzeugt: Etablierte Unternehmen brauchen nicht nur einen technologischen Wandel, sondern vielmehr einen Mentalitätswandel. In 5 Jahren findet das Maklergeschäft keinen Nachwuchs mehr, in 10 Jahren stehen mittelständische Versicherer vor existenziellen Schwierigkeiten, in 20 Jahren hat keiner mehr Policen aus Papier im Schrank stehen. Die Coronavirus-Pandemie könnte diesen digitalen Wandel massiv beschleunigen.