instant messages #17 by Marcus W. Mosen
Marcus W. Mosen kommentiert Payment- oder Bankingthemen auf unterschiedlichen Portalen und erfreut seine Follower auf twitter (@mwmosen) mit pointierten Beiträgen zu Payment, Fintech oder Politik. Ab sofort finden Sie bei uns monatlich seine Gastkolumne „instant messages by…“ zum aktuellen Geschehen im Payment, Banking & Co.
Deutschlands Bezahlmarkt zeichnet sich durch eine bunte Vielfalt an Zahlungsformen und -präferenzen aus. Dies gilt für den POS im Handel und noch viel mehr für den Check-Out im eCommerce. Während sich der POS in Sachen Payment seit Jahrzehnten größtenteils immer noch mit Bargeld abfinden muss, kann man sich im eCommerce in einer unglaublichen Vielzahl von Bezahlmöglichkeiten ergehen.
Angefangen bei der gefühlt simplen „Vorkasse“, die per Banküberweisung erfolgt, hin zur Bezahlung mit Kredit- oder Debitkarten (zumindest wenn ein internationales Scheme dahinter steckt), weiter zum sehr beliebten PayPal oder schließlich das traditionelle Bezahlen per Rechnung – der Menschen in Deutschland liebstes Zahlungskind. Wer will da noch den Überblick behalten, welche Paymentmethode die richtige, sicherste oder sinnvollste ist?
Payment ist Gewohnheit
Für die meisten Konsumenten ergibt sich die Payment-Präferenz aus der Macht der Gewohnheit, also ein Reflex der Bequemlichkeit. Hat sich die Payment-Präferenz erstmal mental fest eingeloggt, denkt man darüber nicht mehr wirklich nach, sondern wählt die Methode, die man schon immer genutzt hat. Und wer sollte die Kund:innen auch darüber aufklären, was wann warum die bessere Bezahlmethode ist? Von der etablierten Kreditwirtschaft wurde zum Bezahlen im Internet in den letzten Jahren wenig Überzeugendes hervorgebracht. Das ist sicherlich auch mit Ursache dafür, dass viele Konsumenten nach wie vor z.B. Vorkasse (also ihr Bankkonto) als Zahlungsmittel für Onlineshopping nutzen.
Gerade bei (fake) ebay-Shops ist „Geiz geil“ und nach wie vor das Lockmittel für die Bezahlung per Vorkasse, was sich letztlich gar nicht für den Kunden auszahlt. Oder anders ausgedrückt: Covid hat nicht nur zu mehr digitalem Bezahlen, sondern leider auch zu einem rasanten Anstieg im Digital Crime geführt.
Payment-Chancen wurden in Deutschland verpasst
Seit meinem Eintritt in die Bezahlbranche anno 1999 habe ich bei verschiedensten Anlässen den deutschen Markt gerne als „Entwicklungsland“ bezeichnet, wenn es um das bargeldlose Bezahlen im Handel geht. Im allgemeinen Verständnis wird ein Entwicklungsland als ein Land bezeichnet, in dem es Mängel gibt, eine schlechte Versorgung besteht oder an traditionellen Organisationsformen festgehalten wird, statt moderne und dynamische Strukturen im Markt zuzulassen bzw. zu forcieren. Aus heutiger Perspektive werden mir sicherlich viele Experten zustimmen, dass im Payment-Entwicklungsland Deutschland zahlreiche Chancen des strategischen Fortschritts in den letzten 20 Jahren verpasst wurden und wir noch sehr viel Entwicklungspotential haben, um Payment oder auch Banking für Konsumenten und Händler zu verbessern, sprich digitaler und sicherer zu gestalten.
Beim digitalen Bezahlen sind der „deutsche Michel und die deutsche Michaela“ erst durch Corona aufgewacht. Aber nach wie vor trifft er/ sie auf POS Händler, die entweder gar keine Kartenakzeptanz anbieten, nur die ec-Karte (in Fachkreisen auch Girocard genannt) akzeptieren oder die Karte erst ab 10 € Mindestkaufsumme akzeptieren. All dies ist letztlich auch Zeugnis eines z.T. anachronistischen Dienstleistungsverständnisses in der etablierten Paymentdienstleister-Community. Denn einige hadern dort nach wie vor damit, den Kundenwunsch nach internationaler Kartenakzeptanz und damit einer höheren Kundenzufriedenheit dem Händler näher zu bringen.
In Deutschland fehlt der Wille zur Umsetzung
Im eCommerce ist es nicht viel anders, vielleicht sogar noch schlimmer. Auch hier hat die deutsche Kreditwirtschaft den Kundenwunsch nach einer sicheren, effizienten und einfachen, also mit wenigen Klicks durchzuführenden Bezahlung viel zu spät erkannt. Wallet-basierte Zahlungsmethoden wie Paypal oder Klarna konnten sich daher schon lange im Markt etablieren, bevor mit Paydirekt die „Gegenoffensive“ gestartet wurde. Paypal und Klarna sind bei vielen Konsumenten und Händlern beliebt, da einfach in der Nutzung sowie bei der Integration im Checkout. Hinzu kommt, dass diese Paymentmethoden – neben den Kartenschemes Mastercard und Visa – natürlich auch in europäischen/internationalen Plattformen und Shops akzeptiert werden. Beide Firmen verfolgen inzwischen eine Strategie, die über reines Payment weit hinausgeht und den digital-affinen Kunden im Fokus hat.
Und was tut sich in Deutschland? Nun – hoch dotierte Beraterprojekte haben in den vergangenen Jahren zahlreiche kluge Zahlungsverkehrsstrategien hervorgebracht. Aber bevor eine dieser Strategien zur Umsetzung kam, wurde sie von den Realitäten des Marktes oder neuen Entwicklungen im Konsumverhalten rechts überholt oder es mangelte schlicht am Willen zur Execution. Seit einigen Jahren kommen – zum Ärger des Establishments – noch Fintechs mit auf den Plan und rütteln die innovationsarme Landschaft u.a. mit moderner IT in der Cloud, innovativer User-Erfahrung und/oder kessen, skalierenden Marketingkonzepten wach.
Inzwischen ist einigen in den Frankfurter Türmen und den Berliner Gremien klar, dass die drei Säulen des Kreditgewerbes im digitalen Zahlungsverkehr vielleicht doch nicht mehr so fest stehen, wie man dies jahrzehntelang annahm, und deren Fundamente nun von digitalen Plattformen untergraben werden könnten.
Den BNPL-Trend treiben andere voran
Und zu allem Überdruss kommt jetzt noch eine neue Zahlungsmethode auf den Plan – BNPL (Buy Now Pay Later) – die weiteres Überraschungspotential für die paymentstrategischen Überlegungen der DK bietet. Dort wird seit über einem Jahr in verschiedensten Gremien darüber diskutiert, ob man das Girocardsystem für ein neues, europäisches Paymentverfahren mit dem Arbeitstitel „EPI“ opfern soll. Um dieses neue Scheme aufzubauen, bedarf es nicht nur mehrerer Jahre Markteinführung, sondern – wie zu hören ist – auch mehrerer Milliarden Investition. Sollten sich nicht genügend Unterstützer für EPI in der EU finden, verfolgen die Beschützer und Bewahrer in der DK den Alternativplan, das gute alte Girocardsystem mit vergleichsweise homöopathischen Investitionsdosen ein wenig aufzuhübschen und onlinefähig zu machen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Zusammenlegung von Giropay und Paydirekt, die nächste Entwicklungsstufe ist dann die „Girocard im Internet“. Ein Paymentservice, auf den die großen Onlineshops wie z.B. Amazon, Zara oder Zalando sicher schon seit vielen Jahren sehnsüchtig gewartet haben – wer es glaubt…
BNPL – made and owned in Germany? Leider Fehlanzeige!
Parallel zu diesen (deutschen) Planspielen haben sich bei BNPL große Anbieter mit den Namen Affirm.com (gegründet 2012 in USA) oder Afterpay.com (gegründet 2014 in Australien) entwickelt. Diese verfolgen derzeit sehr konkrete Wachstumspläne in Europa. Also genau in der Region, wo Instant-Payment genau das Gegenteil zu BNPL ist und die Banken zurück ins Paymentgeschäft bringen soll. Auch im Payment-Entwicklungsland Deutschland gab es einmal Gründungen, die BNPL als Vision hatten.
Die eine, Billpay.com (gegründet 2009), ging 2017 in Klarna auf, die andere, Ratepay.com (gegründet 2009), verkaufte die Otto-Gruppe ebenfalls 2017 an die Concardis-Gruppe, die nach einem zweijährigen skandinavischen Zwischenspiel als Tochter von Nets inzwischen zur italienischen Nexi-Gruppe gehört. BNPL als Paymentservice – made and owned in Germany? Leider Fehlanzeige!
BNPL-Firmen überbieten sich gegenseitig
Den Eindruck, dass BNPL vielleicht doch mehr ist als nur eine Zahlungsmethode, konnte man gewinnen, als kürzlich das mit ca. 100 Mrd. € bewertete Fintech Square.com ankündigte, Afterpay.com für eine Bewertung von schlappen 29 Milliarden $ übernehmen zu wollen. Und das ausgerechnet Paypal.com einen japanischen BNPL-Anbieter namens Paidy.com für 2,7 Milliarden $ übernimmt kann einen ebenfalls ins Grübeln bringen. Europäische Neobanken wie N26 oder Revolut sehen in BNPL auch ihre Chance, dem Kunden mehr Wahlfreiheit beim Bezahlen einzuräumen. Beide Fintechs bieten dieses Feature neuerdings in ihren Apps an und gewähren ihren Kunden damit mehr Flexibilität bei der Rückzahlung bei größeren Ausgaben.
Vielleicht führt diese – oft von deutschen Medien negativ besprochene BNPL-Paymentmethode – nicht in die Schuldenfalle, sondern ist zunächst die Übersetzung des Kundenwunsches erst dann zu bezahlen, wenn sich der Kunde final für den Kauf entschieden hat. Also in dem Moment, wenn er/sie die Ware zuhause hat, fällt die Entscheidung, was er/sie behalten möchte. Im realen Shop will der Kunde ja auch nicht alle Hosen bezahlen, solange man noch in der Umkleidekabine steht und anprobiert. BNPL ist vor allem eine Methode, den Kauf im Internet von der anschließenden Bezahlung zu entkoppeln. Dass dem Kunden in einem App-basieren Prozess die Möglichkeit der Ratenzahlung angeboten wird, ist nur digital-konsequent und sicherlich ein transparenteres Verfahren, als die im Vergleich eher analog anmutende Überziehung des traditionellen Girokontos, die man dann später im Kontoauszug übermittelt bekommt.
Ist das Rennen längst entschieden?
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen bleibt es spannend zu beobachten, ob und mit welcher Ambition sich das Projekt „EPI“ in unserem Payment-Entwicklungsland Deutschland durchsetzen kann. Wird es Scheme, Infrastruktur, Feature oder Plattform? Darüber sind sich womöglich die derzeitigen Stakeholder selbst noch nicht im Klaren. Hierin liegt vermutlich auch das Dilemma: in der digitalen Plattformökonomie wurden und werden Visionen von einem Gründergeist entwickelt und nicht in Gremien, deren Teilnehmer sich fortwährend fragen, ob sich überhaupt ein gemeinsamer Nenner finden lässt. Mein Bauchgefühl sagt mir jedenfalls, dass ein bisschen Girocard im Internet nicht der Stein der Weisen sein wird, um den Klarnas, Paypals & Co. etwas Substantielles entgegenzusetzen.