Betriebsausflüge zum Christopher-Street-Day, Diversitätsbeauftragte, Stellenanzeigen, die alle ansprechen: Viele Firmen bemühen sich endlich um Diversität und Inklusion. Warum Start-ups sich dabei trotzdem schwer tun. 

In der Wirtschaft stehen Einhörner für Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. In der Gesellschaft ist das Fabelwesen mit dem regenbogenfarbenen Schweif zum Symbol der queeren Szene geworden und ist Ausdruck von Diversität und Toleranz. Doch so sehr viele Start-ups sich den Status eines Unicorns wünschen, so bescheiden steht es intern oft um die Vielfalt, die das Fabelwesen auch verkörpert. 

Flache Hierarchien, flexibles Arbeiten, Aufstiegschancen, Selbstbestimmung und Kreativität: Start-ups wirken wie die perfekte Verkörperung der New-Work-Bewegung. Manchmal ist es aber auch nur eine Scheinwelt aus Dachterrassen und Tischkickern. Das weiß Julien Bobineau, Gründer der Denkfabrik Diversität. Sein Ziel: die Wirtschaft diverser zu machen und Unternehmen dabei zu beraten, welchen Beitrag sie leisten können. „Je größer ein Unternehmen, desto einfacher lassen sich Maßnahmen zugunsten der Diversität von Mitarbeiter:innen treffen.” Während bei großen Unternehmen Bemühungen und Bewusstsein stetig zunehmen, zeigt sich bei den kleineren ein eher homogenes Bild. Ob Kommunikation, Rekrutierung oder Personalführung: „Start-ups haben einfach strukturelle Schwierigkeiten, Diversität zu leben.” 

Von sieben Diversitätsmerkmalen werden oft nur drei berücksichtigt

Während große Unternehmen oft Diversitäts- oder Inklusionsbeauftragte haben, gründen Menschen oft neben einem Vollzeitjob. Sie sind für mehrere Geschäftsbereiche zuständig, haben so viel um die Ohren, dass ihr Fokus nicht darauf liegt, ein Team aufzubauen, das die sieben Diversitätsdimensionen erfüllt. Diese bestehen aus Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter, ethnischer und sozialer Herkunft, Religion und Behinderungen. „Der öffentliche Diskurs versteift sich oft auf die Aspekte Religion, Sexualität und Geschlecht.” Während es hier schon viel Sichtbarkeit und Fortschritte gäbe, hapere es in den anderen Bereichen in Start-ups noch mehr, sagt Bobineau. 

„In der Gründungsphase, in der Teams nur aus drei Leuten bestehen, kann man nicht erwarten, dass sie alle sieben Kriterien erfüllen.” Oftmals erfüllen sie aber gar keine. Denn anfangs holen Gründende vor allem Menschen ins Boot, die sie privat oder durch ihr Studium kennen, die dementsprechend aus einem ähnlichen Milieu, einem ähnlichen Alter stammen. „Das ist die Wurzel allen Übels”, sagt er und gesteht, dass auch er mit zwei Freunden gegründet habe. Mittlerweile besteht sein Team aus acht Mitarbeitenden, die immerhin sechs der sieben Merkmale erfüllen. Die Möglichkeiten wie ein großes Unternehmen habe er auch nicht – „aber ich schreibe neue Stellen aus, versuche, für ein gutes Miteinander zu sorgen, gehe mit den Mitarbeitenden zum CSD.” Das seien kleine Dinge, die nicht viel kosten und schon viel bewirken.

Die Kosten-Nutzen-Rechnung von Diversität fällt falsch aus

Was die Altersdiversität betrifft, sei die finanzielle Situation von Start-ups das Hauptproblem, erzählt er: Mitarbeitende suchen Gründende überwiegend über soziale Netzwerke, wo sich Ältere weniger aufhalten. Dazu kommen ihre Lohnvorstellungen: „Ältere Arbeitnehmer kosten mehr, sie sind andere Gehälter gewohnt”, sagt er. So kommt es, dass das Durchschnittsalter in Start-ups laut dem Bundesverband Deutsche Start-ups bei 35,3 Jahren liegt. Das Gehalt spiele aber auch bei der sozialen Herkunft eine Rolle: „Und Arbeiterkinder gehen nach dem Studium lieber zum Konzern, wo sie durchaus 30 Prozent mehr verdienen, weil sie sich ein geringeres Gehalt nicht leisten können.”

Am schwierigsten haben es aber Menschen mit Behinderungen in der Start-up-Landschaft. Wächst ein Unternehmen auf über 20 Mitarbeitende, muss es eine Ausgleichsabgabe leisten, wenn es nicht mindestens fünf Prozent Menschen mit Behinderung einstellen. Und viele zahlen lieber, sagt Bobineau, „denn die Inklusion kostet Zeit, die sich Gründende oft nicht nehmen.” Neben den Berührungsängsten und den gesellschaftlichen Stigmata müssen sich Gründende damit auseinandersetzen, was die Person braucht, um gut arbeiten zu können. „Aber es lohnt sich, weil man im Gegenzug top motivierte Mitarbeiter:innen bekommt, die sich wertgeschätzt fühlen.” 

Homogene Teams sind wirtschaftlich weniger erfolgreich

Es ist nur einer von vielen Vorteilen, die Diversitätsmanagement für Start-ups hat: Arbeiten Menschen mit verschiedenen Hintergründen zusammen, ist der Prozess oft zwar anstrengender, das Ergebnis dafür aber umso besser. „Diversität macht erfolgreich”, sagt Bobineau. „Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht oft zulasten der Diversität, aber das ist falsch.” Das zeigt die aktuelle Vielfalts-Studie von McKinsey: Europäische Unternehmen mit einer guten Diversität haben eine über 60 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Im Gegenzug zeigte sich, dass weniger diverse Unternehmen eine um 66 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit haben, finanziell besser abzuschneiden als der Durchschnitt. „Wer sich darum nicht kümmert, riskiert, den Anschluss zu verlieren”, heißt es in der Studie. 

Die Zahlen stammen zwar aus großen Unternehmen, lassen sich aber auf Start-ups übertragen, sagt Bobineau. Treffen unterschiedliche Lebenswelten, Probleme und Blickwinkel aufeinander, entstehen kreativere Lösungen als in homogenen Teams. „Und das ist ja der Kern von Start-ups”, sagt Bobineau.: „Innovative Ideen.” 

Es lohnt sich also, Diversität von Beginn an zu fördern, findet Bobineau: „Gründende sollten sich trauen, auch mal eine Anzeige in der Tageszeitung zu schalten, generell außerhalb des persönlichen Umfelds zu rekrutieren.” Und stehen an der Spitze drei weiße Cis-Männer, bewerben sich automatisch weniger diverse Menschen. Damit das nicht mehr passiert, gibt es Initiativen wie Inklupreneur, das Unternehmen zu einem inklusiven Umfeld machen will. Start-ups wie N26, Recup, Einhorn, Everdrop oder HelloFresh setzen auf das Projekt, um mehr inklusive Arbeitsplätze zu schaffen. Letzteres setzt dafür etwa auf ein Diversity- & Inklusions-Komitee, das Vielfalt im Unternehmen fördern und verankern soll. So wurde das Thema Teil des Onboarding-Prozesses, für bestehende Mitarbeitende gibt es Schulungen. Solche Personen gibt es auch in vielen anderen Start-ups, die schon wachsen konnten: Blinkist etwa hat den Diversity and Inclusion Manager Mertcan Uzun, der ein gutes Arbeitsklima für alle schaffen soll. Bei N26 ist das Thema nach dem Skandal um den Betriebsrat, den die recht homogene Chefetage verhindern wollte, ebenfalls angekommen.

Kleineren Start-ups, denen die Kapazitäten dafür fehlen, empfiehlt Bobineau Gründertreffen und Netzwerkgruppen: Hier kommen sie mit Menschen aus anderen Bereichen in Kontakt und können sich auch in Anfangsphasen externen Input in ihr Unternehmen holen – und werden so mit dem wirtschaftlichen Erfolg belohnt, den Diversität nachweislich ermöglicht.

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