Ein Beitrag von Marcus W. Mosen
Die Banken in Europa und in Deutschland haben derzeit sicherlich keine Langeweile. Und mit dem Corona-Virus kommt nun eine neue Herausforderung hinzu: viele Projekte, denen bis vor kurzem noch höchste strategische Bedeutung beigemessen wurde, könnten nun dank Corona an Wichtigkeit verlieren.
Noch vor wenigen Wochen haben viele Branchenvertreter voller Überzeugung beteuert, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr eine geschäftskritische Priorität für Banken und Sparkassen hat. Denn seit Sommer letzten Jahres verfolgt die Deutsche Kreditwirtschaft unter dem Projektnamen „X-Pay“ in einem Gemeinschaftsprojekt das Ziel, ihre Produktangebote im bargeldlosen Zahlungsverkehr zukunftsfähiger aufzustellen.
Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die „Girocard“, immer noch besser bekannt als ec-Karte, die Onlinebezahlmöglichkeiten „Paydirekt“ und „GiroPay“, sowie „Kwitt“, mit dem Zahlungen von Person zu Person möglich sind. Parallel zu „X-Pay“ läuft das Projekt „EPI“ (European Payment Initiative). In dieser Initiative haben sich 21 europäische Banken mit dem Ziel zusammengeschlossen, Rahmenbedingungen für eine neues europäisches Zahlungssystems zu schaffen. Insbesondere Banken aus Deutschland und Frankreich stehen an der Spitze dieser Initiative, die von der EU Kommission und der EZB sowie auf deutscher Seite von der Bundesbank und dem Bundesfinanzministerium politische Unterstützung erhält.
Alternatives europäisches Paymentscheme
Der bisherige Zeitplan beider Initiativen sieht vor, dass in den nächsten Tagen und Wochen Grundsatzentscheidungen getroffen werden sollen, ob und wie diese beiden Projekte weiter vorangetrieben werden. Den beteiligten Parteien auf deutscher Seite ist durchaus bewusst, dass das Produktsammelsurium und die divergierenden Interessenlagen innerhalb der „drei Säulen der Kreditwirtschaft“ bereinigt werden müssten, wenn man überhaupt noch eine Chance haben will, den BigTech-Unternehmen etwas Marktfähiges im Zahlungsverkehr entgegenzusetzen. Die politischen Stakeholder sind ebenfalls bereit, Banken und Sparkassen dabei zu unterstützen, den Paymentgiganten Mastercard, Visa und Paypal ein alternatives europäisches Paymentscheme entgegenzustellen.
Die Ausgangslage in der deutsche Finanzindustrie ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine schwierige. Denn die Ausgabe von Debit- und Kreditkarten an ihre Kunden war in Deutschland nie wirklich ein Kerngeschäft der Banken und der bargeldlose Zahlungsverkehr stand daher nicht wirklich im Fokus der Vorstände deutscher Banken.
Auch die Vermittlung der Kartenakzeptanz und die Vermietung von POS-Terminals durch „Akquirer“ an den Handel galt als „commodity“ Service, den Banken bestenfalls an Tochtergesellschaften auslagerten. In beiden Bereichen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs fanden daher in den letzten Jahren kaum Investitionen statt. Die Akquirer waren im Vergleich zu anderen internationalen Anbietern zu klein und/oder finanziell nicht so ausgestattet, als dass sie in der auf europäischer Ebene stattfindenden Konsolidierung eine aktive Rolle hätten einnehmen können.
In der Folge sind in den letzten 10 Jahren sämtliche deutschen Akquirer verkauft worden – ausschließlich an ausländische Paymentunternehmen oder Private Equity Gesellschaften. Damit hat die deutsche Finanzindustrie kaum noch Einfluss auf das Paymentgeschäft im Handel. Dieses Ökosystem wird heute von international aufgestellten Unternehmen wie eine Worldline, Nets, Wirecard oder Adyen bestimmt.
Auf der kartenherausgebenden Seite hat man in Deutschland lange nur auf die Girocard gesetzt. Das Argument: jeder, der ein Girokonto hat, hat sie im Portemonnaie. Der Nachteil: sie ist bis heute nur am POS, nicht jedoch im Onlinehandel einsetzbar. Dank der Aufrüstung der POS-Terminals mit der Möglichkeit des kontaktlosen Bezahlens erzielte die Girocard im letzten Jahr Transaktionszuwächse von fast 20 %. Damit rückte die Girocard ins Zentrum der Überlegungen im „X-Pay“-Projekt.
Auch das 2015 eingeführte Paypal-Konkurrenzprodukt „Paydirekt“, das bislang im Handel und bei Verbrauchern auf wenig Interesse stieß, wird sich in einer künftigen Produktkonsolidierung wohl einfügen müssen. Dieser durchaus sinnvolle Schritt böte die Möglichkeit, eine Bezahllösung zu schaffen, die am POS und im Onlinehandel akzeptiert würde.
Im Zeitalter fließender Grenzen zwischen diesen Handelskanälen ist dies die essenzielle Anforderung an jedes Bezahlsystem!
Handel: Akzeptanz von Bargeld wird weiter abnehmen
2018 wurde dann so manchem Bank-Vorstand schlagartig bewusst, dass Payment vielleicht doch nicht nur commodity ist. Damals verdrängte Wirecard die Commerzbank aus dem DAX und der holländische Payment Services Provider Adyen legte einen fulminanten Börsengang hin. Beide Unternehmen haben jeweils eine Marktkapitalisierung im zweistelligen Milliardenbereich.
Der nächste „wake-up call“ war die Einführung von Google Pay und Apple Pay, ebenfalls 2018. Auch mobiles Bezahlen war für die deutschen Banken und Sparkassen kein Thema mit hoher Priorität und an den Erfolg insbesondere von Apple Pay wollten viele Banker lange nicht glauben. Aber spätestens seit Unternehmen wie PayPal, Apple, Facebook oder Google nicht nur mit Zahlungsdiensten, sondern immer öfter auch mit weiteren Finanzdienstleistungen in Zusammenhang gebracht werden, ist nun allen Bankern klar, dass Payment eine zentrale Funktion und Dienstleistung sowohl für gewerbliche als auch private Kunden darstellt.
Und wegen Corona wird die Akzeptanz von Bargeld im Handel weiter abnehmen. Derzeit gibt es kaum noch einen Discounter, der nicht aktiv darauf hinweist, kontaktlos mit Karte oder Smartphone aus Hygienegründe zu zahlen. Bargeld befindet sich schon jetzt in einer „declining curve“ im Handel, denn Kunden und Verkaufspersonal empfinden das kontaktlose Bezahlen als Erleichterung. Und bei jeder bargeldlosen Transaktion verdienen Kartenherausgeber, Akquirer und das jeweilige Kartenscheme einen kleinen Betrag. Ein Umsatzpotential, auf das Banken im Zeitalter von Niedrigzinsen ungerne verzichten wollen. Die beiden Initiativen „X-Pay“ und „EPI“ kommen daher jetzt noch im richtigen Moment.
Gewaltige Konkurrenz
Aber auch die amerikanischen Kreditkartengesellschaften MasterCard und Visa sind in den letzten Jahren nicht untätig gewesen. Sie haben im Handel die NFC-Technologie, die das kontaktlose Bezahlen erst ermöglicht, mit ihren Regelwerken durchgesetzt. Ihre strategischen Wachstumspläne haben sie auch in Europa mit Zukäufen sowie mit gezielten Investitionen in Fintechs untermauert. Sie verfolgen das „EPI“-Projekt mit Argusaugen, denn es soll nicht nur eine Alternative zu den beiden Paymentgiganten sein, sondern diese in der Endstufe vielleicht sogar zurückdrängen.
Aber ist das realistisch? Diese Frage wollen die Spitzenvertreter von Banken, EZB, nationalen Währungshütern und Regierungen in den nächsten Tagen entscheiden. Vor acht Jahren ist ein ähnliches Vorhaben mit dem Namen „Monnet“ gescheitert, wohl auch deshalb, weil es nicht von den Spitzenvertretern der Banken, der Regierungen und der EU Kommission unterstützt wurde. Dies ist jetzt anders: selbst den CEOs deutscher Banken, den Chefs von EZB und Bundesbank ist „EPI“ inzwischen ein Begriff. Und politisch erhält es die Unterstützung aus dem Bundeskanzleramt und dem Elysee Palast. Dies ist wirklich bemerkenswert, denn es ist offensichtlich vielen bewusst, dass sich andernfalls der europäische digitale Zahlungsverkehr zunehmend auf den globalen Plattformen aus Amerika stattfinden wird.
Und da digitales Bezahlen eine elementare Funktion in jeglichem Ökosystem darstellt, werden nationale Zahlungssysteme in Europa auch in anderen Industrien keine relevante Rolle spielen, z.B. in den digitalen Plattformen der Autoindustrie. Dass europäische Banken in diesen Geschäftsfeldern nur noch Nebenrollen einnehmen würden, ist offensichtlich.
Herausforderungen der Zukunft
Die Fragen, die die Entscheider jetzt beantworten müssen, sind nicht trivial. Denn ein neues europäisches Zahlungssystem wird nicht nur einen Milliardenbetrag in Aufbau und Marketing verschlingen, sondern etablierte nationale Paymentlösungen und Infrastrukturen müssten mutmaßlich eingestellt oder zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine europäische Governance eingebracht werden. Die Entscheidung über die Konsolidierung von Unternehmen und Infrastrukturen steht jetzt auch im „X-Pay“-Projekt an. Hier wird sich zeigen müssen, ob Entscheidungen nicht auf Basis von politischen Kompromissen getroffen werden.
Eine zukunftsfähige Paymentlösung sollte auf den Prinzipien industrieller Logik basieren, also ihre Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit aus dem Mehrwert für Kunden und Händler ableiten. Eine mittelfristige Einbringung eines konsolidierten Girokartensystems in eine europäische Lösung wäre nicht nur wünschenswert, sondern sogar zwingend. Denn den Konsumenten ist in vielen Einkaufssituationen oder bei Auslandsreisen nicht mehr vermittelbar, dass sie zum Bezahlen unterschiedliche Lösungen nutzen müssen.
Ob nach der mit Corona einhergehenden wirtschaftlichen Krise die Banken und Sparkassen noch die Motivation haben, hohe dreistellige Millionenbeträge in den Zahlungsverkehr investieren zu wollen, ist fraglich. Die politischen Entscheidungsträger sollten jetzt stärker in eine Mitverantwortung gehen, die über bloße politische Absichts-erklärungen hinaus geht. Eine Finanzierung des „EPI“-Projektes durch z.B. die Europäische Union hätte den Vorteil, dass ein offenes Payment-Ökosystem in Europa entstehen könnte, an dem sich neben Banken auch Fintechs oder Technologie-Startups mit neuen Anwendungen einbringen könnten.
„Die politischen Entscheidungsträger sollten stärker in eine Mitverantwortung gehen, die über bloße politische Absichtserklärungen hinaus geht.“
Eine Zahlungsverkehrsplattform, die nur von traditionellen Strukturen definiert und betrieben wird, hat eher geringe Chance, sich vom globalen Wettbewerb zu differenzieren. Denn es besteht die Gefahr, dass abermals ein Vorgehen auf kleinstem gemeinsamen Nenner erfolgt, oder nur eine Alternative zu Mastercard und Visa die Leitlinien für die Zielsetzung der Entscheider sind. Dann droht ein weiteres „Monnet“…
Zum Autor:
Marcus W. Mosen, Babyboomer aus dem Spitzenjahr, kommentiert Payment- oder Bankingthemen u.a. bei Finanz-Szene.de und erfreut seine follower auf twitter (@mwmosen) mit pointierten Beiträgen zu Payment, Fintech oder Politik. Mosen hatte nach BWL-Studium in Koblenz und Birmingham seine ersten berufliche Stationen bei der Treuhandanstalt in Berlin und bei einem Telekommunikationsunternehmen in Düsseldorf. Seit 1999 hat er an verschiedenen Schaltstellen der deutschen und europäischen Paymentbranche die Entwicklungen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs aktiv mitgestaltet.