Aufrunden für den Ruin? Damit ist doch niemandem geholfen!

Fintechs werben damit, unrunde Beträge aus Einkäufen zu Gold zu machen, indem sie diese aufrunden. Dafür legen sie die wenigen Cent in Aktien an oder für die Rente zurück. Das ist ein fataler Marketinggag.

Die Payment and Banking-Szene ist unzweifelhaft niemals langweilig. Kein Monat vergeht, ohne dass neue Produkte, Banken, Fintechs und Payment-Lösungen auf den Markt kommen. Aber wer braucht das eigentlich alles und muss man das alles gut finden? Unser Autor Nils Wischmeyer beleuchtet in seiner Kolumne „Nils nörgelt“ ab monatlich ein Produkt, Thema oder eben den „letzten heißen Scheiß“. Etwas zu meckern gibt es schließlich (fast) immer.

Es fiel mir in den vergangenen Tagen sichtlich schwer, in Nörgelstimmung zu kommen. Über Ostern war ich in einem kleinen Haus mit Garten, in dem Rotkehlchen und Kaninchen gleichermaßen über die Wiesen sprangen und die Sonne einem das Gesicht rot färbte. Ganz ehrlich: Wie soll ich mich denn da über die Nichtigkeiten der deutschen Payment- und Bankingbranche aufregen?

Doch kaum war das Postfach offen, war es der Kaffee gleich mit. Die Branche schafft es einfach, mich niemals zu enttäuschen, wenn es um unnötiges, schrottiges, verwerfliches, nerviges oder dummes rund um das Thema Finanzen geht. Und nein, diesmal geht es mal nicht um Kryptowährungen. Diesmal geht es um eine andere Idee, die zwar zunächst klug und begehrlich klingt, aber bei Lichte betrachtet unnütz ist: Werde reich, in dem du Geld aus Einkäufen aufrundest. 

Kauft beispielsweise ein Nutzer für 43,45 ein, runden Firmen im Hintergrund den Betrag auf den nächsten vollen Euro auf und legen ihn entweder zurück oder investieren ihn in unter anderem auch in  Aktien. Einige Fintechs werben mit dieser ulkigen Idee und versprechen, dass ich so meine finanzielle Zukunft selbst in die Hand nehmen könnte. Endlich könne ich mir ganz einfach meine Träume finanzieren oder dass die paar Cent meine Rentenlücke schließen könnten. Aber mal ganz ehrlich, Jungs und Mädels, sparen schön und gut: Aber das Ganze  kann nicht mehr als ein Marketinggag sein. 

Aufrunden? Das sind goldene Versprechen für eine Generation mit riesiger Rentenlücke

Ich bin Jahrgang 1995 und um meine Rentenlücke zu schließen müsste Dagobert Duck jeden Mittwoch eine Wagenladung Goldtaler in meinen nicht vorhandenen Garten (danke an alle Immobilienhaie) schmeißen. Und auch davon abgesehen, dass unser Rentensystem für die kommenden Generationen ein einziges Desaster wird, ist das Aufrunden doch nicht wirklich die Lösung der Probleme. Das zeigt sich schon an den Beispielrechnern, die ich mir mal kurz geschnappt habe. Dort heißt es: Wenn du jeden Tag zehn Euro über zehn Jahre sparst und mit drei Prozent Rendite anlegst, dann hätte ich  am Ende immerhin 42.000 Euro. So weit ich das verstehe, ist das vor Inflation. Die klammern wir hier mal aus und schauen zunächst auf die anderen Annahmen.

 Über zehn Jahre Geld ausgeben: kein Problem. Drei Prozent Rendite: Sollte auch klar gehen. Aber zehn Euro jeden Tag allein aus Aufrunden? Klang mir doch so viel, dass ich nachgeschaut habe in meiner Ausgabenliste. 

Die Annahmen der Anbieter sind absurd

Morgens mal schnell zum Bäcker für Kaffee und Brötchen, etwa 5,30 Euro – 70 Cent aufgerundet. Mittags vielleicht mit den Kollegen in die Kantine: 9,20 Euro – 80 Cent aufgerundet. Dann nehmen wir noch den Wocheneinkauf von vielleicht 50,70 Euro dazu – 30 Cent aufgerundet. Und dann, ja dann wird es halt auch schon knapp an täglichen Ausgaben. Nur haben wir jetzt halt nicht zehn Euro, sondern 1,80 Euro zusammen und sind mal so gütig, auf zwei Euro aufzurunden. Dann bleiben nach zehn Jahren etwas mehr als 8500 Euro übrig, vorausgesetzt wir geben auch jeden Tag so viel aus. Dazu hätte ich dann einige Fragen, liebe Aufrunder: Das soll meine Rentenlücke schließen? Das soll mir meine Wünsche erfüllen? Das soll die Lösung für meine finanzielle Freiheit sein? Come on! 

Hier wird offenbar, was für viele Fintech-Produkte gilt: Die Entwickler gehen von völlig falschen Annahmen und einem verrückten Ausgabeverhalten aus, dass für viele Menschen nicht zutrifft und auch schlicht nicht zutreffen kann. Aber über die privilegierte Produktentwicklung sprachen wir in dieser Kolumne ja bereits. 

Sparen ist wichtig, die Altersvorsorge auch – und reale Werbeversprechen ebenso

Nicht abstreiten kann und will ich, dass eine Sparapp mit Sparzielen und automatischen Abbuchungen die Einstiegshürde zum Sparen oder vielleicht auch zum Investieren senkt. Das ist allein durch die Automatisierung gegeben. An diesem Grundprinzip habe ich wenig zu nörgeln. Übel aufstoßen mir die hochtrabenden Werbeversprechen der Firmen. Denn ähnlich wie der Aktiensparplan für einen Euro wird auch das Aufrunden die Menschen nicht plötzlich wohlhabend(er) machen oder sie gar aus der Altersarmut holen. 

So wird aus dem Traum im schlimmsten Fall ein Albtraum, wenn die Menschen den Werbeversprechen der Finanzbranche tatsächlich vertrauen und glauben, dass das Aufrunden ihnen finanzielle Freiheit bietet, ihre Rentenlücke schließt oder sie reich und unabhängig macht. Ich muss es hier ganz klar sagen: Das wird nicht funktionieren. Und wenn Menschen es glauben, sorgen sie nicht mehr oder nur noch weniger an anderer Stelle vor, sparen weniger, weil das ja eh übers Aufrunden geht oder setzen sich nicht endlich mal hin und bauen sich ein ETF-Depot zusammen. Dann führt das Aufrunden eher in den Ruin. Na danke. 

Headerbild, iStock: Bildnachweis:D-Keine

Autor

  • Nils Wischmeyer ist Gründer des Journalistenbüros dreimaldrei und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Wirtschaftswoche und die brandeins. An der Finanzbranche findet er (fast) immer was zum Nörgeln.

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