Im Jahr 1911 fand der erste Weltfrauentag statt, seit 1921 wird er jährlich am 8. März begangen. Seit fast 100 Jahren also soll (nicht nur) dann darauf aufmerksam gemacht werden, dass es ein langer Weg zu Gleichberechtigung und Chancengleichheit der Geschlechter war – und immer noch ist, wie Studien, Zahlen und Auswertungen zu Gehaltsniveau, Zugang zu Leadship-Funktionen, Arbeitszeitmodellen sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer wieder offenlegen. Knapp zusammengefasst arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit, verdienen weniger, bekleiden seltener Führungspositionen und werden seltener Unternehmerinnen oder gründen gar ein Start-up.
Auch die Zahlen aus der Startup- und Tech-Welt sind ernüchternd. Auf beiden Seiten des Atlantiks zählen Frauen in der Startup-Szene nach wie vor zur Minderheit. Laut dem Female Founders Monitor 2019 des Bundesverbands Deutsche Startups liegt der Anteil von Gründerinnen in Deutschland bei nur 15 Prozent – und Risikokapital von professionellen Geldgebern erhalten von weiblichen Teams geführte, junge Unternehmen deutlich seltener.
In der Finanzbranche sieht es kaum besser aus. Im Gegenteil: Der Anteil weiblicher Gründer ist hier noch einmal niedriger und die Anzahl der Frauen im Vorstand lässt sich kaum mehr als an einer Hand abzählen. Nur 8,8 Prozent beträgt der Frauenanteil in den Vorständen der 160 börsennotierten Unternehmen in Deutschland – so wenig wie in kaum einem anderen westlichen Industrieland, so das Ergebnis der AllBright Stifung aus dem April 2019.
Miriam Wohlfarth, Gründerin des Berliner Unternehmens RatePay und Mit-Initiatorin von Payment & Banking, setzt sich seit vielen Jahren für die bessere und stärkere Förderung von Frauen in der Digitalbranche ein. Anlässlich des Weltfrauentages sprechen wir mit ihr über bessere Chancen für Frauen und Mädchen, über Rollenklischees und die unternehmerischen Möglichkeiten sowie die gesellschaftliche Pflicht, Chancengleichheit zu leben und sie aktiv mitzugestalten.
Am 8. März ist Weltfrauentag. Was bedeutet dieser Tag persönlich für dich?
Am Wochenende bin ich mit ein paar Frauen verabredet. Dieser Tag wird eine gute Gelegenheit sein, auch über dessen Bedeutung und Notwendigkeit zu sprechen. Da wir eine altersgemischte Gruppe sind, werden die Positionen sicher sehr unterschiedlich sein. An meiner Teenager-Tochter stelle ich fest, dass sie mit einem anderen Rollenverständnis aufwächst, als ich seinerzeit. Die Mädchen haben heute andere Vorbilder. Es sind immer noch zu wenige, aber es wird! Da bin ich optimistisch!
Aber nicht nur Frauen verändern sich, sondern auch die
Männer. Ich erlebe es tagtäglich bei uns im Unternehmen. Es gibt eine neue
Generation Väter, die da heranwächst. Sie nehmen Elternzeit und fordern diese
auch ganz aktiv ein. Das ist zum einen von ihnen selbst gewünscht, gleichzeitig
nehmen die jungen Frauen Männer heute viel mehr in die Pflicht, auch bei Themen
wie Hausarbeit und Kinderbetreuung. Es ist möglich, dass Väter reduziert oder
gar in Teilzeit arbeiten und trotzdem Leitungsfunktionen bekleiden können.
Was heißt es für ein Unternehmen, wenn nun nicht mehr nur die Frauen einfordern, in Elternzeit gehen zu können? Wie kann das organisatorisch aufgefangen werden?
Das ist in der Tat eine Herausforderung für Unternehmen, und bei RatePay müssen wir jeweils gemeinsam mit den Mitarbeitern planen und individuelle Lösungen finden. Bisher hat das dank guter Absprachen gut funktioniert. Falls das nicht mehr funktioniert, müssen wir neue Wege finden.
Wie wichtig ist die Unternehmenskultur, damit sich Männer (und Frauen) ermutigt fühlen, in Elternzeit gehen zu können, ohne Sorge zu haben, dass der Kollege oder die Kollegin ohne Kinder in der Zeit der Kinderpflege befördert wird?
Sie ist enorm entscheidend. Als Unternehmen ist man in
der Lage, Wandel mitzugestalten, und neue, moderne Formen im Arbeitsleben zu
suchen. Es braucht eine Kultur, in der das Gefühl vorherrscht, miteinander
statt gegeneinander zu arbeiten. Diese Gewissheit baut Ängste ab.
Allerdings sehe ich gleichzeitig die Gesellschaft in der Pflicht, neu zu denken.
Diese leidige Diskussion um die so genannten Rabenmütter muss aus den Köpfen
verschwinden. Zum Glück gibt es in meiner Wahrnehmung immer mehr und vor allem
junge Menschen, bei denen sich das Rollenverständnis verschiebt.
Hilft es im Recruitment, diese Kultur zu betonen? Ist es so einfacher, qualifizierte Talente zu bekommen?
Ja. Es ist beispielsweise auffällig ist, dass sich bei RatePay deutlich mehr Frauen bewerben, als in anderen Fintechs. Es spricht sich herum, dass es bei uns auch in Führungspositionen möglich ist, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Das hat schon eine gewissen Signalkraft.
Du setzt dich seit Jahren stark auch für die Förderung von Frauen in Fintechs ein, hast Frauen unter deine Fittiche genommen, die sehr erfolgreich geworden sind. Warum ist dir das so wichtig?
Man muss Frauen stärker fördern, weil sie sich anders als Männer manchmal nicht so trauen und man sie deshalb in Rollen schubsen und ermutigen sollte, Dinge auszuprobieren und neue Schritte zu gehen. Wenn wir gesehen haben, dass sie das Zeug dazu haben, dann haben wir Frauen aktiv gepusht. Frauen sind zögerlicher, nach mehr Verantwortung zu greifen. Ich ermutige Frauen, sich mehr mit ihren Stärken zu beschäftigen als mit ihren Schwächen. Niemand muss perfekt sein. Wer das akzeptiert, bekommt Tempo und verliert sich nicht in Details.
Natürlich unterstütze ich auch Männer, aber mehr als Frauen lernen sie schon als kleine Jungs, sich im Wettbewerb besser zu positionieren.
Obwohl es schon heute hochqualifizierte Frauen auf dem Arbeitsmarkt gibt, ist es trotz aller Bemühungen ein schleppender Prozess, mehr Frauen für die Digitalwirtschaft zu gewinnen. Woran liegt das?
Wir brauchen deutlich noch mehr Frauen in Führungspositionen, auch in der Internetbranche. Warum schrecken so viele Mädchen vor Berufen im Techniksektor zurück? Weil sie gar nicht wissen, welche tollen Aufgaben es in dieser Branche gibt, zum Beispiel auch für Quereinsteiger, Geisteswissenschaftler und andere Fächer. Nicht jeder muss Programmierer sein. Unternehmen müssten Frauen dort abholen, wo sie zu finden sind. Und den Kindern müsste bereits viel eher und noch stärker gezeigt werden, was die coolen Berufe der Zukunft mit Perpektive sind – für Frauen und Männer gleichermaßen.
Gleichzeitig muss man sich klar machen, wie Recuitment aber einer bestimmten Ebene funktioniert. Je höher man kommt, desto mehr geht über die Netzwerke. In männlichen Netzwerken gibt es nach wie vor zu wenige Frauen. Hinzu kommt, dass sich die weitere Karriere zu einem Zeitpunkt entscheidet, in der Frauen schwanger werden. Es ist ein Karrierekiller schlechthin, wenn Frauen in dieser Zeit zu lange pausieren. Der Pool, aus dem rekrutiert wird, verkleinert sich dadurch maßgeblich.
In der “Rushhour des Lebens” gäbe es durchaus viele gute Gründe, nicht zu gründen.
Das stimmt. Deshalb müssen wir müssen uns als Unternehmen über neue Modelle Gedanken machen. Wie kriegen wir eine Familienvereinbarkeit in den Unternehmen hin? Wir müssen Möglichkeiten schaffen, trotz Familie im Beruf zu bleiben. Männer müssen heutzutage nicht mehr der alleinige Ernährer der Familie sein. Diese Last wollte ich nicht tragen.
Ich habe mir die Entscheidung, RatePay zu gründen, damals wirklich nicht leicht gemacht. Und mir war zum Beispiel klar: Ohne ein Au-pair-Mädchen schaffe ich das nicht. Ich habe viel Kritik dafür eingesteckt, mir diese externe Hilfe zu holen. Ich weiß, dass ich meinem Kind Schmerzen zugefügt habe, weil ich sie nur an ihren Geburtstagen von der Schule abgeholt habe. Für andere Kinder war das selbstverständlich. Meine Tochter war damals oft sehr traurig, und das war nicht angenehm für mich.
Gleichzeitig aber hat mir die Gründung meines Unternehmens unglaublich viel Energie gegeben, auch die vielen Nachteile auszuhalten. Ich habe vieles nicht geschafft. Im Nachhinein bin ich aber überzeugt, dass es richtig war. Ich habe ein super Verhältnis zu meiner Tochter.
Was würdest du dir wünschen?
Die Vorstellung ist unglaubwürdig, alles im Handumdrehen zu schaffen, dabei mega erfolgreich zu sein, Zeit für Sport zu haben, immer toll auszusehen. Und das, ohne je müde zu sein. Es ist wichtig, einfach ehrlich darüber zu sprechen. Alles andere ist abschreckend. Es wäre besser, wenn Frauen ehrlicher wären und starker in die Offensive gingen.
Viele Frauen leiden unter dem “Mental Load”, dem Gefühl für alles alleine verantwortlich zu sein. Um das zu vermeiden, müssen Eltern die Verantwortung teilen und klären, wer sich um die Ausrichtung eines Kindergeburtstagen kümmert, den Kauf neuer Kleidung oder die Organisation des Nachhilfelehrers.
Warum hältst du ein Plädoyer für mehr Frauen in der Finanzbranche?
Ganz einfach: Damit es bessere Produkte gibt. Und damit meine ich nicht die pinke Kreditkarte. Erfolgreiche Unternehmen sind die Unternehmen, die ihre Kunden gut verstehen und wissen, was der Kunde will. Für mich ist Diversität sehr wichtig, um unterschiedliche Ansichten auf Dinge und Themen miteinander zu kombinieren, um erfolgreiche Unternehmen in der Zukunft zu bauen. Wo alle gleich sind, entsteht keine Reibung, kein Austausch, keine Innovation.
Du bist ja eine dieser erfolgreichen Frauen, die offensive mit diesem Thema in die Öffentlichkeit gehen. Wünschst du dir mehr Frauen an deiner Seite?
Es bestärkt mich, wenn mir Frauen schreiben, dass meine Tipps sie so positiv bestärkt haben, um nun selbst den Schritt in die Gründung zu wagen. Das freut mich. Wir werden mehr! Ich kenne viele tolle Gründerinnen, von denen noch viel zu erwarten ist. Das ist gut so!
Bist du für die Quote in der Finanzbranche?
Nein, nicht für die Quote als solches. Ich wäre aber dafür, dass Unternehmen sich freiwillig eine solche Quote setzen. Heißt: Es sollten positive Anreize geschaffen werden. Unternehmen sollten dafür belohnt werden, beispielsweise durch steuerliche Vergünstigungen, wenn sie Diversität aktiv vorantreiben und umsetzen. In den USA gibt es in jedem großen Unternehmen Diversity Manager. In Deutschland habe ich bisher von keinem gehört. Dabei ist es extrem wichtig, Vielfalt zu fördern.
Zum Glück hat sich in den Unternehmen schon viel getan, aber das Thema müsste auch im Mittelstand ankommen. Die großen Konzerne sind da schon viel weiter.
Könntest du dir vorstellen, ausschließlich mit Frauen zusammenzuarbeiten?
Oh, nein! Das würde mich nerven. Ich finde die Mischung ziemlich gut.
Zurück zu deiner Teenager-Tochter: Wie würde sie definieren, was typisch weiblich, was typisch männlich ist.
Vermutlich macht sie sich darüber gar keine so großen Gedanken mehr. Ich denke, dieses typischen Rollenzuschreibungen erlebt sie gar nicht mehr so sehr. Ich beobachte an vielen jungen Menschen gerade in dem Alter, dass sie kumpelhafter miteinander umgehen. Das Geschlechterthema nimmt auch bei gemischten Freundkreisen weniger Raum ein. Für mich ist das ein Hinweis darauf, dass sich in dieser Generation etwas verändert. Dabei muss berücksichtigt werden, dass meine Tochter in einem urbanen Umfeld aufwächst.
Die Skandinavier sind da schon sehr viel weiter. Sie haben ein entspannteres Verhältnis zwischen Frau und Mann im Arbeitsleben, aber auch grundsätzlich. Für mich hat das Vorbildcharakter. Kommen wir da in Deutschland hin? Das kann ich schwer beantworten, aber wir müssen lockerer werden. Die Digitalisierung bietet viele Chancen. Dinge einfach mal zu machen. Auch, wenn Fehler können. Es braucht nicht immer den großen Masterplan.
Früher hieß es: „Hinter einem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau”. Wie müsste der Spruch in die Zukunft gedreht heißen?
Es müsste heißen: „Hinter einer erfolgreichen Frau steht ein unterstützendes Umfeld.“