Banken und Fintechs wollen immer stärker auf vermögende Kunden setzen und nennen es „affluent Banking“. Dabei vernachlässigen sie viel größere Zielgruppen, was nur mal wieder zeigt: Sie wissen nichts von der normalen Gesellschaft.

Die Payment and Banking-Szene ist unzweifelhaft niemals langweilig. Kein Monat vergeht, ohne dass neue Produkte, Banken, Fintechs und Payment-Lösungen auf den Markt kommen. Aber wer braucht das eigentlich alles und muss man das alles gut finden? Unser Autor Nils Wischmeyer beleuchtet in seiner Kolumne „Nils nörgelt“ ab monatlich ein Produkt, Thema oder eben den „letzten heißen Scheiß“. Etwas zu meckern gibt es schließlich (fast) immer.

Schon der Name kotzt mich an: Digital Affluent Banking. Ein englischer Begriff, der eigentlich nur sagt, dass man den vermögenden Menschen unter uns doch mal ein paar tolle Angebote machen sollte. Da zieht sich bei mir als Arbeiterkind der Magen zusammen und die Faust ballt sich in der Jackentasche. Allein den Begriff „Affluent” müssen wahrscheinlich 99 Prozent aller Menschen in Deutschland erst einmal in ihrem Wörterbuch nachschlagen.  Schulenglisch ist das nicht und weiter entfernt von der Community und Zielgruppe geht eigentlich geht. 

Wenn es eine Sache nicht braucht, dann sind das ganz sicherlich noch mehr Angebote für reiche oder wohlhabende Menschen. Jede Privatbank küsst diesen Kunden doch den Hintern, jeder Vermögensverwalter rollt ihnen den roten Teppich aus und ihre Renditen sind schon heute jenseits all dessen, was wir Normalo-Bürger von unseren aktuell abstürzenden ETF-Portfolios erwarten dürfen. Und nun soll mir Affluent Banking sagen, dass das nicht reicht, gar eine vernachlässigte Zielgruppe ist? Nun, meine lieben Freunde, kann man so sehen, teile ich aber nicht. Vielmehr würde ich behaupten, dass die meisten Bankprodukte vollkommen an den Bedürfnissen von normalen Menschen vorbeigehen? 

Welche Gesellschaft soll „affluent Banking“ abbilden?

Ich beobachte diesen Trend inzwischen seit einigen Monaten. Und das zunehmend skeptisch. Fintechs, aber auch traditionelle Banken, entwickeln Produkte, die für eine winzige Minderheit der Menschen in Deutschland relevant sind und verkaufen das unter dem Deckmantel der „Demokratisierung der Geldanlage”. Statt fünf Millionen müssen die Privatanleger nur noch 100.000 Euro investieren oder 50.000 je Fonds, aber gut wäre, wenn man drei oder vier kauft. Das sind also irgendwas zwischen 100.000 Euro und 200.000 Euro, die man mal eben a) auf Kante haben und b) verzocken können muss. Denn nur weil das Investment hoch ist, heißt es ja nicht, dass die Rendite garantiert ist. Welche Gesellschaft soll so ein Angebot denn abbilden? Demokratisieren heißt also: von den Superreichen zu den Reichen.

Eure Produkte gehen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei

Mir zeigt das einmal mehr, wie abgehoben die Start-up-Bubble in Berlin und ihr Frankfurter Banken-Pendant mittlerweile sind. Die allermeisten Angebote richten sich nicht an Normalverdienende oder sogar finanzschwache Menschen, sondern bedienen einen wirklich kleinen Teil der Gesellschaft. Selbst wenn wir den Durchschnitt (und da sind alle Milliardenvermögen eingerechnet) aller Vermögen nehmen in Deutschland, hätte jeder Deutsche nur 88.000 Euro Nettovermögen zur Verfügung. In der Realität ist es natürlich viel weniger. Allein die reichsten zehn Prozent besitzen 60 Prozent des Gesamtvermögens, für sie sind Lösungen wie „Digital Affluent Banking“ oder Services wie „Wir gründen dir schnell fünf GmbHs“ bestimmt nett. Aber von der Lebensrealität der allermeisten Menschen ist es so weit weg wie Elon Musk von einem sauberen Image. 

Das gilt für solche Luxusangebote natürlich im Extrem. Es beginnt aber schon viel früher: Schön, dass ihr alle hübsche Banking-Apps baut, die bunt leuchten und mit denen ich in Krypto investieren kann. Aber ein nicht zu unterschätzender Teil in Deutschland hat nicht einmal Reserven. Genauer gesagt sind es zwei Drittel oder rund 66 Prozent der Menschen in Deutschland, die keine Rücklagen haben. Die Hans-Böckler-Stitung schreibt: „Rund zwei Drittel haben netto kein oder nur ein geringes Geld- oder Sachvermögen.“ All diese Menschen können nicht 100 Euro jeden Monat in Krypto und 250 Euro in einen ETF-Sparplan stecken.

Einige wenige Pioniere machen es schon richtig

Und all diese Menschen haben Probleme, deren Lösung sowohl Banken als auch Fintechs bieten können. Aber sie tun es zu großen Teilen nicht, oder wie ist der Schuldenberater der Großbanken, der Kunden digital beim Sparen hilft? Wo ist die App, die mein Handy ausmacht, wenn ich schon wieder was auf Kredit kaufen will? Die meisten Gründer wollen das nächste Revolut bauen oder das nächste Klarna und vergessen dabei, dass diese Angebote den finanzschwachen Menschen ebenso wenig helfen wie den Normalverdienern. Meist sogar eher im Gegenteil. 

Hier mein Fazit: Fuck the rich

Ich möchte daher dafür plädieren: Fuck the rich – und kümmert euch endlich um Menschen und Zielgruppen, die digitale Lösungen nötig und natürlich auch verdient haben. Einige wenige Start-ups machen das schon. Sie helfen Menschen, mit Schulden umzugehen, sie helfen älteren Senioren, ihr Geld zusammenzuhalten oder helfen Frauen dabei, mit 65 Jahren nicht in den Abgrund zu fallen, der sich Rentenlücke schimpft. Sie alle setzen darauf, diesen Menschen zu helfen und dann an der schieren Masse der Menschen zu verdienen, statt einigen wenigen Vermögenden das Leben noch etwas leichter zu machen als es sowieso schon ist. 

In eigener Sache:

Über das Thema „Digital Affluent Banking: Wie traditionelle Banken eine wachsende & attraktive Zielgruppe vernachlässigen“ sprechen am 24. Juni auf der Banking-Exchange unter anderem Ralf Heim von Fincite sowie Christine Kiefer. von Ride Capital

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