Wie sich das Retail Banking in Deutschland verändert 

Bild Gesellschafter Maik Jochen André

Nach den Versuchen verschiedenster Neobanken wie N26, Revolut oder Check24, den Markt zu verändern, mischen ihn nun ausländische Banken auf. Muss sich die deutsche Branche fürchten?

Dass sich ausländische Banken ausgerechnet auf das Privatkund:innen-Geschäft in Deutschland stürzen würden, haben wohl nicht viele vorhergesehen. Denn gerade das ist das Brot- und Buttergeschäft der Branche: geringe Margen und viel zu tun. Zudem gibt es zahlreiche Institute hierzulande, mehr als in anderen Ländern. Allein die einzigartige Sparkassen- und Volksbankenlandschaft sorgt dafür. 

Was also treibt JP Morgan mit Chase, die BBVA mit ihrem mobilen Angebot, Santander mit Openbank oder die BNP mit Nickel an? Höchste Zeit, dass unsere Gesellschafter die aktuellen Entwicklungen einmal einordnen. 

Jochen Siegert:

Ist Deutschland wirklich „overbanked“? Natürlich haben wir im Vergleich mengenmäßig viel mehr Kreditinstitute als andere Länder. In der Kund:innen-Realität, einem x-beliebigen Stadtzentrum, finden sich „die Sparkasse” und „die VR-Bank” plus die großen Privatbanken, alles also ziemlich vergleichbar mit allen anderen europäischen Ländern.

Warum aber strömen immer neue Anbieter nach Deutschland? Weil die beiden Monolithen Sparkasse und VR-Bank mit ihrem kumulierten Marktanteil von ca. 70 Prozent im Retail-Banking (Konto plus Karte) lange nicht mehr so fest im Sattel sitzen. Das hat drei Gründe dafür:

  1. Die Rolle des Bargelds und somit der (ehemalige) Vorteil eines dichten Geldautomatennetzes spielen eine immer untergeordnetere Rolle.
  2. Konstantes Filialsterben und immer weiterer Druck, Kund:innen in rein digitale Kanäle zu pressen, senken die Schwelle fürs Nutzen oder zumindest Testen rein digitaler Angebote von Drittbanken und Direktbanken. 
  3. Deutsche sind seit jeher preisgetrieben und generell offen für Discountangebote.

Diese Melange und Deutschlands Status als größte europäische Volkswirtschaft, gepaart mit der größten Bevölkerung sind wohl die Grundlage dafür, dass wir immer wieder neue Angebote im Banking erhalten. Kurioserweise wachsen sowohl die etablierten Anbieter, als auch die Herausforderer. Es gibt also keine Verdrängung von Bank A zur neuen Bank B, sondern die Kund:innen picken sich eher auf Produktebene die Rosinen heraus.

Aber: Erinnern wir uns an die Tatsache, dass die BBVA einen mehr als vermurksten Start mit einer, auch weiterhin eher schwer nutzbaren, App hingelegt hat. Sie habe damit bereits angeblich super Erfolge in Italien verzeichnet. Angesichts der vielen Bugs ist das nur schwer vorstellbar, aber sei’s drum. Oder denken wir daran, dass JP Morgan seit über fünf Jahren mit einem riesigen Team geheimnisvoll in Berlin herumwerkelt, um 2026 als Chase erst einmal „nur” mit einem 0815 Tagesgeldkonto an den Markt zu kommen. Auch da wird auf Erfolge und Infrastruktur in Großbritannien im Superlativ hingewiesen. Da fragt man sich bei beiden schon, warum dass dann so lange (JPM/Chase) und warum so schlecht (BBVA) läuft. Ein copy-paste-translate einer bereits etablierten europäischen Direktbankinfrastruktur ist heutzutage doch nun wirklich kein Hexenwerk mehr.

Wie und vor allem wann können diese Anbieter, jenseits von Lockangeboten, wirklich profitabel wachsen und sich etablieren? Deutschland hat im europäischen Vergleich eine traditionell eher schwache Margenstärke im Retailbanking. Den späteren Rückzug namhafter „Auslandsbanken” vom hiesigen Retailmarkt, die entweder sich selbst oder ihr hiesiges Potential massiv überbewerteten, gab und gibt es seit Jahrzehnten.

Maik Klotz:

Definiere mal „overbanked“. Natürlich gibt es, wie in jeder Branche, Platzhirsche. Und wie in jeder Branche kommen neue Player dazu. Insbesondere, da das klassische Filialgeschäft bei einer zu 100 Prozent digitalen Zielgruppe einen eher mäßigen Anklang findet. Aber meistens werden die neuen Angebote als zweites Konto eröffnet und so wird das Zweitkonto zum Wegwerfkonto. Alles, was schnell ausprobiert werden kann, nimmt man mit. Die spannende Frage ist am Ende: Was bleibt? Und da trennt sich die Spreu vom Weizen.

Es hilft halt nicht, wenn man zwar die X-Prozentpunkte für ein Tagesgeld schnell holt, aber dann doch wieder geht. Am Ende kommt es nicht zuletzt darauf an, wer die Schnittstelle zu Kund:innen dauerhaft besetzen kann und dazu braucht es mehr als einen schicken Zusatz wie Tagesgeld. Allen Unkenrufen zum Trotz: Es ist nicht so, dass wir schon ein paar Herausforderer haben kommen und gehen sehen. Wir erinnern uns an den Rückzug von N26 aus Großbritannien. Zu hoher Wettbewerbsdruck und auch der lokale Bezug fehlte. Und auch eine JP Morgan, die sicher nicht die kleinsten sind, muss beweisen, dass sie Deutschland kann. Es sind schon andere an unserer Sturheit gescheitert. Und ob die Anbieter den Beweis mit einem Tagesgeldkonto in einem Jahr schaffen, darüber kann man streiten.

André Bajorat:

Ein Grund wird sicher sein, dass die Einstiegsbarrieren für ein reines online oder mobiles Angebot gesunken sind und Deutschland ein großes Land ist und hier viele Kundinnen und Kunden weiter bei den klassischen Banken sind. 

Das „overbanked“-Label hatte Deutschland wohl vor allem in den Zeiten, als vor Ort Kontakt noch wichtig war. In der digitalen Welt sind diese unfairen Vorteile der Filialbanken wohl eher das Gegenteil. Man sieht ja, wie die klassischen Banken versuchen den Spagat zu schaffen, um digital und analog zu vereinen. Aber die beste Bank mit dem besten Angebot in beiden Welten zu sein, ist nahezu unmöglich.

Was mich allerdings wundert ist, dass bis auf das Kiosk-Banking Nickel der BNP, alle anderen einen sehr ähnlichen Ansatz wählen – der Weg über Konditionen und Einlagenzins. Böse Zungen könnten behaupten, dass hier eine Ergebnispräsentation einer Beratung mehrfach zum Einsatz kam.

Und wir dürfen nicht vergessen, dass es in den vergangenen 25 Jahren eine Menge Player geschafft haben, in Deutschland relevant im Banking zu werden: die ING, die DKB oder seit neuestem auch Neobroker wie Trade Republic oder Scalable. Bei all diesen Firmen fällt auf, dass sie gerade zu Beginn einen sehr spitzen Fokus und damit einen Selling-Point hatten. Ich bin gespannt, ob die neuen Player diesen auch finden.

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