Visa, Mastercard und der Traum vom Shopping mit KI 

Visa startet KI-Shopping: So soll der Checkout neu gedacht werden

Die großen Card-Schemes stellen sich darauf ein, dass statt Menschen bald die KI shoppen geht. Welche Überlegung dahinter steckt und was sich die Unternehmen von der Umstellung versprechen. 

Wie das US-Unternehmen Visa sich die Zukunft vorstellt, lässt sich in einem kurzen Video beobachten. In diesem Clip tippt ein Mensch nur die Worte „Buy me the best” und eine Art Suchmaschine komplettiert den Satz mit Worten wie Kaffeemaschine oder „Geburtstagsgeschenk”, danach landet er im Shopping-Bereich und kann in scheinbar wenigen Klicks einfach so eine Maschine kaufen. Oder er schreibt: „Bald gibt es neue Kopfhörer“ und die KI fragt nur noch nach einem Limit, bevor sie ganz von allein beim nächsten Angebot zuschlagen darf. Oder die KI sagt sogar, dass die eigenen Vorräte im Laden zu Neige gehen, fragt, ob sie die auffüllen darf – und mit nur einem Klick werden in diesem Beispiel Blumen geliefert. 

Möglich macht all das ein neues Feature, das Visa in den vergangenen Tagen vorgestellt hat: „Visa Intelligent Commerce.“ Dieses Programm soll es ermöglichen, dass Menschen ganz einfach ihre Kreditkarte beim Chatbot ihres Vertrauens hinterlegen und dieser dann im Internet auf Shoppingtour geht. Neue Kopfhörer, die nächste Ferienwohnung oder Catering: Mit nur wenigen Klicks könnten die Menschen – so suggeriert es das Video – Produkte und Dienstleistungen kaufen. Und auch Jack Forestell, Chief Product and Strategy Officer von Visa, betont in einer passenden Meldung dazu: „Bald werden KI-Agenten im Auftrag von Verbraucherinnen und Verbrauchern Produkte suchen, auswählen, kaufen und verwalten.“ 

Was zunächst nach einer netten Vision von Visa klingt, ist in der Tat ein erstes Anzeichen dafür, wie sich das Einkaufsverhalten der Menschen in den kommenden Jahren verändern wird und damit auch das Geschäft der großen Payment-Firmen beeinflussen wird. Auch Mastercard hatte vor einigen Tagen ein ähnliches Feature vorgestellt, wenn auch in deutlich kleinerem Rahmen. Und passend dazu hat ChatGPT vor einigen Wochen sein erstes Shopping-Feature vorgestellt, das erstaunlich an Google-Shopping in Chatbot-optimiert erinnert. Erleben wir gerade die nach dem Internet nächste große Revolution beim Shopping? Und was erhoffen sich die Payment-Firmen davon? 

Die Zukunft des Einkaufens: Ein KI-Agent auf Shoppingtour

Schon heute suchen die meisten Nutzerinnen und Nutzer weniger Informationen bei Google als noch vor einem oder gar fünf Jahren. Stattdessen fragen sie auch bei Kleinigkeiten ChatGPT, Gemini oder Perplexity. Dort aber bekommen die Menschen auf Fragen wie „Welche Kaffeemaschine sollte ich kaufen?“ nicht mehr hunderte Seiten von Google-Treffern und externe Links zu Webseiten, Vergleichsportalen und Zeitungsartikeln, sondern eine sehr kondensierte Antwort, die meist nur wenige Produkte empfiehlt. Das führt dazu, dass es für Firmen zum einen wichtiger wird, in einer dieser Antworten aufzutauchen, um überhaupt noch präsent zu sein. 

Es führt zum anderen aber auch dazu, dass sich ganz neue Geschäftsmodelle wie das von Visa nun entwickeln könnten. Die Payment-Firma nämlich setzt mit seinem Angebot insgeheim darauf, dass künftig nicht mehr Menschen, sondern eben personalisierte KI-Agenten im Internet auf Produktsuche gehen. Basierend auf den Informationen, die diese KI-Agenten über die Person aus vorherigen Suchanfragen und auch Kreditkartenumsätzen ziehen, werden sie künftig Produkte empfehlen, die – so die Hoffnung – deutlich zielgenauer zu den Personen passen. Das würde womöglich dazu führen, dass einige wenige Marken sich deutlich stärker durchsetzen könnten, weil sie die KI besser mit Informationen füttern. Für Kunden könnte das aber dazu führen, dass sie deutlich komfortabler im Internet einkaufen könnten. Die große Welle an Informationen, die sonst über einem zusammenbricht, wäre nur noch ein kleines Plätschern. 

Checkout dürfte sich verkürzen: Steigen dadurch die Umsätze? 

Die Produktsuche ist das eine. Visa hat das mit seinem Angebot offenbar weiter gedacht und sich gefragt: Wollen die Leute weiterhin auch im Internet einkaufen? Bisher ist es recht unerlässlich, dass die Menschen von der Google-Suche auf einzelne Plattformen wie Amazon, Online-Shops wie Otto oder auf einzelne Webseiten von Online-Händlern gehen. Dort müssen sie dann meist noch den Checkout durchlaufen und erst dann können sie das Produkt tatsächlich kaufen. Auf so einer „Customer Journey“, wie es neudeutsch heißt, gehen nahezu immer Umsätze verloren: Kunden verlieren auf halbem Weg die Lust oder überdenken ihren Kaufimpuls noch einmal neu, die Webseite ist zu kompliziert zu bedienen – oder man hat die Kreditkartendaten nicht zur Hand. Mit dem Angebot von Visa – und einem ähnlichen, wahrscheinlich dann zeitnah auch von Mastercard – ließen sich diese Abbrüche womöglich reduzieren. Denn wenn nun die Kreditkarte direkt beim KI-Agenten liegt und dieser mit diversen Limits zum Shopping ausgestattet wird, sparen Kunden sich die Umwege über Webseiten und Paymentportale und schlagen deshalb womöglich öfter zu. Genau das wäre dann die Kalkulation von Visa und Mastercard, die sich so höhere Umsätze durch häufigere Käufe erhoffen. 
Bleibt nur die Frage: Was, wenn die KI einfach halluziniert beim Shoppen? Wäre doch gelacht, wenn die ständig falschen Antworten der aktuellen KI-Agenten nicht dazu führen würden, dass sie statt einer Kaffeemaschine in Silber auch mal ein Fahrrad in Schwarz oder andersherum kaufen. Auch wer haftet, wenn die KI sich mal verirrt, ist bisher noch unklar. Bei Visa heißt es dazu zwar selbstbewusst, dass man schon Wege finden werde, wie das Handelsblatt berichtet. Wie realistisch diese Einschätzung aber ist, werden erst die nächsten Monate zeigen. Dann soll das neue Feature tatsächlich auf den Markt kommen.

Autor

  • Nils Heck (geb. Wischmeyer) ist Gründer des Journalistenbüros dreimaldrei, Buchautor und seit März 2024 Redaktionsleiter bei Payment and Banking. Er ist zudem Autor der monatlichen Kolumne „Nils nörgelt“, in der er sich kritisch mit aktuellen Trends in der Payment- and Bankingbranche beschäftigt. Wenn er nicht gerade meckert, jongliert er professionell.

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