„Viele Menschen spüren, dass sich das Finanzwesen radikal verändern muss“

„Viele Menschen spüren, dass sich das Finanzwesen radikal verändern muss“

Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt in unserer Gesellschaft eine immer größere Bedeutung. Nicht erst, aber besonders seit „Fridays for Future“ haben viele, vor allem auch sehr viele junge Menschen eine Vorstellung davon bekommen, wie sie künftig auf diesem Planeten leben möchten: vegetarisch, vegan, Zug statt Flugzeug, campen statt Kreuzfahrt. Doch wie ist es eigentlich in Sachen Nachhaltigkeit beim Thema Finanzen bestellt?

Ein Unternehmen, das nachhaltiges Banking raus aus der Nische und rein in die Mitte der Gesellschaft zu holen versucht, ist das in Hamburg beheimatete Fintech Tomorrow, ein Konto für alle „mit einem Smartphone in der Hand und einem gesunden moralischem Kompass im Kopf“. Das Unternehmen richtet sich an moderne, oft urbane Menschen, die sozial- und umweltbewusst eingestellt sind.

„Viele Menschen spüren, dass sich das Finanzwesen radikal verändern muss“

Das Fintech wurde 2017 von Jakob Berndt, Inas Nureldin und Michael Schweikart gegründet. Berndt gründete zuvor das Getränke-Startup Lemonaid. Mit der gleichnamigen Fairtrade-Limonade und dem Bio-Eistee Charitea baute er zwei bekannte Marken auf. Für ihren nachhaltigen Businessansatz in der Finanzwelt hat das Unternehmen bereits eine Reihe Preise eingesammelt, unter anderem auch den Publikumspreis von Payment & Banking.  Tomorrow kooperiert dabei mit der Berliner Solarisbank im Hintergrund, sie stellt die Banklizenz zur Verfügung und wickelt die Transaktionen ab. 

Mit Jakob Berndt sprachen wir über die neue Zielgruppe im Finanzwesen, über den nachhaltigen Fußabdruck, Geld als Mittel für positiven Wandel und warum das Thema „Green Finance“ in Deutschland bislang verschlafen wurde.

Welches Problem wollt ihr mit eurem Businessmodell lösen?

Banking muss deutlich transparenter werden und aufhören die Blackbox zu sein, die es heute ist. Und es muss seiner ethischen Verantwortung gerecht werden und anfangen, Geld als Mittel für positiven Wandel zu begreifen. Das versuchen wir, mit Tomorrow anzugehen.

„Viele Menschen spüren, dass sich das Finanzwesen radikal verändern muss“

Wir stehen noch ganz am Anfang, aber ich denke die Leute spüren, dass die Richtung die richtige ist. Wir bieten den Menschen ein Konto, dass genau das kann, was in anderen Lebensbereichen längst möglich ist: einen bewussten, nachhaltigen Lebensstil pflegen ohne dabei auf Komfort, Technologie und Ästhetik verzichten zu müssen.

Wir lösen den Widerspruch auf, dass Banking entweder cool und zeitgemäß ist ODER ethisch verantwortungsvoll. „Put your money where your mind is“ sagt man im Englischen. Das kann man jetzt in 5 Minuten haben.

Für euch ist das Thema Nachhaltigkeit besonders wichtig: Gibt es in der Finanzbranche eurer Meinung nach ein einheitliches Verständnis für Nachhaltigkeit?

Der Begriff Nachhaltigkeit ist nicht geschützt und wird deshalb auf jeden Fall sehr unterschiedlich ausgelegt. Gerade im Finanz-Bereich ist das fatal und führt dazu, dass das Label ‚nachhaltig‘ teilweise auf Produkte und Dienstleistungen geklebt wird, die es – zumindest in unserem Verständnis – ganz und gar nicht sind. Das kann zum Beispiel heißen, dass Unternehmen in scheinbar nachhaltigen Fonds zu finden sind, ihr Geld mit Öl-Förderung, Zigaretten oder Kohlekraft verdienen. Bei nachhaltigen Finanzen geht es nicht um ein „bisschen-besser-als-der-Rest“ oder Bauchgefühl oder einzelne Teil-Dimensionen, sondern darum, wirklich zukunftsfähige Industrien und Institutionen zu finanzieren, die nachweislich positiven Impact leisten. Deswegen prüfen wir alle Projekte und Investments sehr genau und legen den Prozess für die Auswahl komplett offen.

Warum ist „Green Finance“ ein Thema, das in Deutschland bislang verschlafen wurde?

Gute Frage. Wir glauben, dass die allermeisten Leute keinerlei Bewusstsein für die Wirkung von Geld haben. Bei Strom, Lebensmitteln oder Mode sind die nachhaltigen Alternativen kein Geheimtipp mehr. Zum Glück. Aber, dass das eigene Geld einen Fußabdruck hinterlässt, wissen die allermeisten nicht. Das hat nicht zuletzt viel mit Verschleierungstaktiken der Branche zu tun. Welche konventionelle Bank legt schon offen, wo sie das Geld ihrer Kunden arbeiten fällst? Deswegen wollen wir Aufklärung betreiben und dafür sorgen, dass das Thema endlich raus aus der Nische kommt.

In fast allen Nachbarländern ist der Marktanteil nachhaltiger Anlagen deutlich höher als in Deutschland: Warum ist das so?

Welche Weichen müssten gestellt, welche Anreize geschaffen werden, damit große Finanzinstitute hierzulande „grüner“ werden? Welche Kommunikation, welches Versprechen dem Kunden gegenüber wäre wichtig? Das sind viele Fragen auf einmal, und keine kleinen dazu. Zum einen mangelt es vor allem an ausreichend Bewusstsein der Menschen, siehe oben.

Und an der Möglichkeit, sich Bewusstsein zu verschaffen: Die Art und Weise wie Banken arbeiten ist in aller Regeln eine Black Box, kaum jemand kann hinter die schicken Glasfassaden schauen. Hier muss viel mehr Transparenz her. Wir mit Tomorrow haben dafür beispielsweise das Impact Board geschaffen, in dem die Nutzer in Echtzeit sehen können, wo und wie Ihr Geld wirkt. Wenn das nur ansatzweise zum Standard werden würde, wenn jede Bank ihren Kunden sagen würden, was sie finanziert -es wäre viel gewonnen. Denn dann würde der Markt schnell in Bewegung kommen.

„Die Art und Weise wie Banken arbeiten ist in aller Regeln eine Black Box. Kaum jemand kann hinter die schicken Glasfassaden schauen. Hier brauchen wir viel mehr Transparenz.“

Zum anderen braucht es mehr und andere Kommunikation: die nachhaltigen Akteure, die Geld tatsächlich zu einem Teil der Lösung werden lassen, müssen raus aus dem Elfenbeinturm und rein in den Zeitgeist. Das Thema ist viel zu groß und zu wichtig für die Nische. Wir müssen Eintrittsbarrieren abbauen, Türen öffnen: durch andere Kampagnen, durch andere Partnerschaften – und nicht zuletzt durch andere Produkte. Wenn wir wollen, dass all die Fridays-for-Future-Kids ihr Geld zukunftsfähig unterbringen, dann brauchen wir coole, zeitgemäße Lösungen. Die wollen nicht 20 Seiten Papier ausfüllen, die wollen das gleiche Maß an Komfort und Design wie Netflix und Spotify.

Wie schafft ihr es, eure Kunden anzusprechen und zu überzeugen?

Unsere Kunden und Kundinnen und Interessierte spiegeln uns immer wieder, dass sie einerseits das Konzept und andererseits die Aufmachung von Tomorrow spannend und letztendlich auch überzeugend finden. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir anders agieren als konventionelle Anbieter. Wir versuchen das Thema Banking so darzustellen, dass es alle verstehen und auf diese Weise die Wirkung von Geld deutlich wird. Wir finden, nachhaltiges Banking sollte niedrigschwellig und für alle zugänglich sein. Das spiegelt sich in der Darreichung der Thematik, dem Produkt selbst und der transparenten Kommunikation von uns als Unternehmen wieder.

Wie aufgeschlossen sind Investoren gegenüber „Green Finance“- Themen?

Wir sprechen vor allem mit Impact-getriebenen Investoren, bei denen Nachhaltigkeit ohnehin eine übergeordnete Rolle spielt und auf großes Interesse stößt – oder gar fundamentales Kriterium ist. Aber auch bei ‚normalen‘ Investoren, zum Beispiel klassischen VCs, sind Geschäftsmodelle wie unseres heute immer weniger erklärungsbedürftig. In Zeiten von Fridays for Future kann und will sich ja niemand der Tatsache entziehen, dass auch und gerade aus der Wirtschaft entscheidende Impulse kommen müssen.

Wie erklärungsbedürftig ist euer Modell gegenüber Investoren und gibt es Unterschiede zwischen nationalen und internationalen Geldgebern?

Ehrlich gesagt klopfen derzeit so viele potentielle Partner an unserer Tür, dass wir scheinbar gar nicht mehr viel Aufklärung betreiben müssen. Aber klar, eine konsequent nachhaltige und konsequent digitale Bank zu entwickeln, ist und bleibt ein komplexes Unterfangen: Wie wollen wir künftig Geld verdienen? Wie reif ist das Thema tatsächlich für den Massenmarkt? Wie sieht die Bank von Morgen wirklich aus? Da gibt es viel zu besprechen.

„Viele Menschen spüren, dass sich das Finanzwesen radikal verändern muss“

Wir haben in den letzten Monaten jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Leute, denen die Idee hinter Tomorrow gefällt –und das sind sehr viele – schnell verstehen, wohin unsere Reise gehen soll und wir dann gemeinsam fruchtbare, konstruktive Gespräche führen. Oft können und wollen Investoren ja auch Know-How einbringen – und rennen damit offene Türen bei uns ein. Wir verstehen uns als lernwillige Organisation, die sich durch Erfolgsrezepte aus anderen Branchen und Kontexten inspirieren lässt. Unterschiede bei internationalen oder nationalen Geldgebern konnten wir bislang noch nicht feststellen.

Warum ist für euch persönlich das Thema „Nachhaltigkeit“ so wichtig und seid ihr damit Vertreter einer bestimmen Generation oder seid ihr „Blase“?

Nachhaltigkeit ist für uns weit mehr als ‚nur‘ ein Thema, das wir bedienen. Wir sind davon überzeugt, dass Geld einen Beitrag dazu leisten kann und muss, dass unser aller Morgen grün und lebenswert ist – anstatt weiterhin ein Treiber der Probleme zu sein. Bestimmt und hoffentlich sind wir irgendwie Vertreter einer bestimmten Generation, das Thema Klimaschutz treibt im Moment viele um und war DAS Thema der Europawahl. Insofern spricht Tomorrow nicht nur für oder mit einer Nische oder Blase, sondern richtet sich an alle, die wollen, dass das Geld einen positiven Wandel anstößt.

Autor

  • Nicole Nitsche ist studierte Theaterwissenschaftlerin und hat mehrere Jahre als Regieassistentin beim Thalia Theater Hamburg gearbeitet. Danach war Nicole Leiterin der Presse-und Marketingabteilung eines Hamburger Musiklabels. Als klassische Quereinsteigerin hat sie die komplette Kommunikation sowie den Aufbau der Redaktion bei Payment & Banking geleitet und verantwortet. Nicole ist seit August 2021 Geschäftsführerin von Payment & Banking und ist verantwortlich für die Bereiche Struktur, Planung, Umsetzung und Konzipierung von allen Events (z.B PEX, BEX, TRX & CryptX).

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