In einem Blog der EZB wird vor Stablecoins gewarnt. Sie könnten gar die Finanzstabilität Europas untergraben. Die Argumente sind nicht völlig von der Hand zu weisen.
Als AllUnity im Juli dieses Jahres die E-Geld-Lizenz der Bafin erhielt, da war die Freude groß. Wohl zurecht, denn das Start-up, hinter dem maßgeblich die DWS, der Market Maker Flow Traders und das Krypto-Unternehmen Galaxy stehen, brachte mit EURAU den ersten in Deutschland regulierten Euro-Stablecoin auf den Markt. Es war ein kleiner Meilenstein, der damit in Deutschland erreicht wurde. Doch es ist auch eine Mahnung. Besonders in den USA ist man in Sachen Stablecoins schon erheblich weiter. Und das sieht man bei der Europäischen Zentralbank (EZB) offenbar mit etwas Beunruhigung.
EZB-Experte Jürgen Schaaf warnt beispielsweise vor einer Gefahr durch Stablecoins mit dem US-Dollar an der Spitze. „Ohne eine strategische Reaktion könnten die Währungshoheit und die Finanzstabilität Europas untergraben werden”, schreibt er in einem Blogbeitrag der Zentralbank. Nun spiegeln derartige Blog-Beiträge bei der EZB offiziell nicht die Meinung des Hauses wider, sondern nur der Autor:innen – doch geben sie einen Einblick, wie in Frankfurt über solche Themen gedacht wird. Wir fassen Schaafs wichtigste Punkte zusammen.
Risiko für das gesamte Finanzsystem
Gut 99 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung gehen laut Schaaf von US-Dollar-basierten Stablecoins aus. Jene, die auf den Euro denominiert sind, blieben marginal. Daran kann, trotz großen Jubels in Deutschland, auch ein Start-up wie AllUnity kurzfristig nichts ändern. Immerhin: Der Marktanteil Euro-denominierter Stablecoins dürfte in Zukunft steigen. Denn gleich mehrere europäische Banken arbeiten an entsprechenden Projekten.
Die Verflechtung zwischen alter Finanzwelt und Stablecoins, beispielsweise durch Verwahrungsvereinbarungen und Derivateengagements, birgt laut dem EZB-Experten aber potenzielle Risiken für die Finanzstabilität. „Ein ungeordneter Zusammenbruch könnte sich auf das gesamte Finanzsystem auswirken, und das Risiko einer Ansteckung gibt den Zentralbanken zunehmend Anlass zur Sorge“, schreibt er.
Kommt es zur Kapitalflucht aus Schwellenländern?
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnt in ihrem aktuellen Jahreswirtschaftsbericht vor Stablecoins. Sie könnten die Währungshoheit untergraben, es gebe Transparenzprobleme und es bestehe das Risiko einer Kapitalflucht aus Schwellenländern. Wie die genau aussehen soll, wird nicht erklärt. Vermutlich ist der Gedankengang der folgende: Schwankt die Währung eines Schwellenlandes, wirken Stablecoins sicherer. Zudem sind sie digital und damit relativ leicht verfügbar. Sparer in solchen Ländern könnten also auf Stablecoins umschwenken.
Zudem wiesen viele Stablecoins erhebliche Abweichungen vom Nennwert auf, gibt Schaaf den Bericht wieder. In anderen Worten: Stablecoins machen genau das nicht, wozu sie unter anderem geschaffen wurden: Stabilität schaffen.
Und dann wäre da noch das Regulierungsthema: Die hat mit MiCA vorgelegt. Die USA ziehen nun mit ihrem Genius Act nach, der wohl weniger streng ist als die EU-Variante. „Infolgedessen gehen Marktanalysten davon aus, dass das Angebot an Stablecoins von 230 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 auf zwei Billionen US-Dollar bis Ende 2028 anwachsen könnte“, meint Schaaf.
Vor Gefahren durch Stablecoins warnte zuletzt auch Paweł Tokarski von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einem Blogbeitrag. „Da Stablecoins hauptsächlich auf kurzfristigen US-Schulden basieren, bieten sie einen erheblichen Anreiz, weiterhin US-Anleihen zu kaufen, trotz wachsender Zweifel an der Schuldentragfähigkeit der USA.“ Dies könnte zu einer steigenden Nachfrage nach US-Schuldtiteln führen, während die Renditen europäischer Anleihen steigen. Das sei insbesondere ein Risiko für überschuldete Länder des Euro-Währungsgebiets.
Bezogen auf den Genius Act schreibt Tokarski, dass die USA einen „grundlegend anderen Weg als Europa“ einschlagen würden. Sie setzten auf die rasche Entwicklung privater, an den Dollar gekoppelter Währungen. In der kämpft man sich stattdessen am digitalen Euro ab.
Angst vor Kontrollverlust
Besonders kritisch sieht EZB-Experte Schaaf noch einen weiteren Trend: Einige Plattformen böten inzwischen Zinsen auf Stablecoin-Bestände an. Einnahmen können auch durch die Verleihung von Stablecoins, die Bereitstellung von Liquidität oder durch „Yield Farming“ erzielt werden. „All dies generiert eine Rendite, ähnlich wie bei einem Sparkonto, allerdings mit höheren Risiken.“ Durch die Zahlung von Zinsen ähnelten Stablecoins Geldmarktfonds. Wenn verzinsliche Stablecoins sich durchsetzen und mehr Unternehmen sie nutzen, so Schaaf, könnten sie Einlagen von traditionellen Banken abziehen, was die Finanzintermediation gefährden und die Verfügbarkeit von Krediten beeinträchtigen könnte. Für einen Kontinent wie Europa, wo Banken eine zentrale Rolle im Finanzsystem spielen und Einlagen ihre Hauptrefinanzierungsquelle sind, wäre das ein großes Problem.
Dies könnte dann auch die Kontrolle der EZB über die monetären Bedingungen schwächen. „Angesichts des Netzwerkcharakters von Stablecoins und der damit verbundenen Skaleneffekte wäre eine solche Dynamik nur schwer umkehrbar“, so Schaaf. In anderen Worten: „Je größer ihre Verbreitung, desto schwieriger wäre es, sie wieder abzubauen.“
Pushen, pushen, pushen
Was also kann Europa tun? Schaaf nennt eine Reihe von Möglichkeiten. Zum Beispiel könnte mehr Unterstützung für ordnungsgemäß regulierte, auf Euro lautende Stablecoins bereitgestellt werden. So etwas ist zwar eigentlich die Aufgabe von Behörden, es könnte laut Schaaf aber die aktuelle Blindstelle ausmerzen. In der Branche dürfte man das noch gerne hören. Anders sieht es wohl bei Schaafs zweiten Vorschlag aus: der digitale Euro. Der sei ein komplementäres Projekt zu Innovationen des privaten Sektors. „Im Bereich der Point-of-Interaction-Zahlungen verspricht der digitale Euro eine robuste Verteidigungslinie für die europäische Währungshoheit zu sein.“ Der digitale Euro würde also zum Schutzschild Europas vor den USA. Vielleicht verringert das ja die Skepsis der Branche an dem Projekt.