Onlinebanking über den Fernseher, Urzeitkrebse aus dem Yps-Heft und eine EC-Karte, die ihren Namen verlor: Die 80er waren schriller, langsamer und digitaler als gedacht. Eine Retroreise in die Zukunft von gestern.
Früher war ja mehr Lametta. Und die Welt analog. Die 80er Jahre waren nicht nur eine Welt voller Neonfarben, Vokuhilas und Moonboots, sondern auch der Startpunkt vieler technischer Innovationen. Echte technische Innovationen. Es gab zwei Sorten Magie: die aus dem Yps-Heft und die aus dem Wohnzimmer der Eltern.
Es war auch die Geburtsstunde der Generation X. Der Generation, die beim Versuch, die YPS-Urzeitkrebse in der Küchenschüssel zu züchten, die Anfänge der EC-Karte erleben durfte. Die Karte, die damals noch wirklich so hieß.
Und im Wohnzimmer lief ein Colt für alle Fälle, Agentin mit Herz oder BTX, was so was wie das Internet war. Nur eben langsamer und grafisch, sagen wir mal, pixelig. Das passierte alles in Deutschland und das muss man sich heute mal auf der Zunge zergehen lassen, damit waren wir digitaler Vorreiter. Wirklich.
Meine Bank im Wohnzimmer
In den 80ern fuhren die coolen Kids ein BMX und wenn es sich die Eltern leisten konnten, gabs zu Hause BTX. Wobei BTX etwas weniger cool für „Bildschirmtext” stand. BTX war kein Gimmick aus dem Yps, sondern das „Internet“ der Deutschen Bundespost. Im Grunde sowas wie Videotext nur interaktiver. Und teurer.
Genau genommen war es 1980, in Bonn. 200 Testkunden in Neuss tippten *300# und machten, was heute als Fintech-Sensation durchgeht: Onlinebanking. Die Verbraucherbank, heute Norisbank, versprach nicht weniger zu sein als „Meine BANK im Wohnzimmer“. Aber sie war damit nicht allein. Auch die Bayerische Vereinsbank, die Dresdner Bank und die Frankfurter Sparkasse waren von Anfang an beim BTX-Banking dabei. Eine illustre Runde, die damals digitale Pionierarbeit leistete.
Die Norisbank, genau genommen Alfred Richter, der technische Leiter der damaligen Verbraucherbank, erfand auch das für BTX notwendige PIN/TAN-Verfahren. Man loggte sich mit einem zehnstelligen Passwort ein, nutzte einmalige TANs und überwies Geld mit der Geschwindigkeit eines 14.400er-Modems. BTX war das Web 1.0 lange, bevor jemand wusste, dass es mal ein Web 1.0 geben würde.
Obwohl insbesondere „emotionaler“ Content wie Sexshops von Beate Uhse von Anfang an eine große Rolle beim BTX spielten und BTX technologisch gesehen als Innovation galt, blieb der kommerzielle Erfolg aus. Statt der prognostizierten eine Million Nutzer:innen innerhalb der ersten drei Jahre sollten es nur 60.000 werden. Damals wie heute galt, Technik allein reicht halt nicht. Und BTX war furchtbar teuer und noch furchtbarer zu bedienen. Auch für damalige Verhältnisse.
Technik, die begeistert – und Kabel, die Stolperfallen waren
BTX funktionierte nämlich nicht einfach so. Es brauchte spezielle Hardware. Den Decodier-Adapter der Bundespost. Das war sowas wie der Flux Kompensator aus „Zurück in die Zukunft”, nur dass der Decodier-Adapter zwischen Fernseher und Telefonbuchse geklemmt wurde. Dazu ein Fernsehgerät mit Tastatur oder BTX-Terminal etwa von Grundig oder Siemens und schon konnte man loslegen.
Zumindest, wenn man den passenden Anschluss hatte. Denn es brauchte einen zusätzlichen Telefonanschluss mit BTX-Funktion (später ein ISDN). Zum Glück lieferte die Bundespost den natürlich mit. Zu luxuriösen Preisen. Die Anschlussgebühr für BTX in Deutschland betrug zum Start 1983 einmalig 55 DM. Dazu kamen eine monatliche Grundgebühr von 8 DM sowie weitere Kosten für die Aufrufe der Seiten. Richtig gelesen: Der Aufruf einer BTX-Seite kostete Geld. Von 0,01 DM bis zu 9,99 DM war alles möglich. Die Hardware übrigens auch. Da kamen gern ein paar 1000 DM zusammen.
Wer sich heute über langsames WLAN beklagt, hat nie erlebt, wie sich eine Banküberweisung über Bildschirmtext anfühlt. Die Usability: grenzwertig. Die Innovation: bahnbrechend.
Am Ende war BTX dann vor allem eine teure technische Spielerei. Und die starke Präsenz von Erotikangeboten führte zu einem entsprechenden Image und in der Konsequenz dazu, dass sich andere Unternehmen zurückzogen oder erst gar nicht mitmachten. Außer Banken, die blieben bis zum Ende von BTX.
Von der Zukunft zur Faxnummer
Was im Banking das BTX war, war im Zahlungsverkehr die EC-Karte. 1979 bekam die gute alte Eurocheque-Karte einen Magnetstreifen verpasst. Ab 1982 spuckten erste Geldautomaten Bargeld aus, 1990 konnte man an der Kasse mit „Electronic Cash“ zahlen. Es war die Zeit, als Technik noch wie Science-Fiction wirkte.
Die Karte, die später zur EC-Karte wurde, wurde irgendwann Standard in deutschen Portemonnaies. Und auch hier lohnt sich ein Blick in die Abgründe der Markenpolitik: Die Bezeichnung „EC-Karte“ stand ursprünglich für „Eurocheque-Karte“ – ein Gemeinschaftsprojekt europäischer Banken. In den 90ern wurde daraus dann „electronic cash“. Doch was die wenigsten wissen: Die Rechte an der Marke „EC“ liegen heute bei Mastercard. Deswegen musste die deutsche Kreditwirtschaft 2007 reagieren und aus der EC-Karte wurde offiziell die „Girocard“. Raider heißt also Twix, nur dass die Nutzer:innen hartnäckig am alten Namen festhalten. Und der Handel auch.
Anders als BTX war die EC-Karte, sorry, Girocard, ein Erfolg. Das hatte weniger mit der Innovationsfreude der Branche zu tun, sondern rein praktische Gründe. Der Nutzen war für die Anwender sofort klar und “Rund-um-dieUhr-Bargeldversorgung” ein klarer Nutzen.
Beim Geldabheben sollte es auch erstmal bleiben. Obwohl man schon Anfang der 90er immer mehr in Geschäften mit der Karte zahlen konnte, sollte es noch fast 30 Jahre dauern, bis die Kartenzahlung Bargeld überholen sollte. Laut EHI wurden 2018 rund 209 Milliarden Euro mit Giro- oder Kreditkarte bezahlt, was einem Umsatzanteil von 48,6 Prozent entsprach. Im gleichen Zeitraum wurden 208 Milliarden Euro bar beglichen, was 48,3 Prozent des Umsatzes ausmacht. Nur 0,3 Prozent Unterschied. Aber gewonnen ist gewonnen.
Die Lehren aus dem Krebsterrarium
Man könnte meinen, wir hätten das Momentum genutzt und wir sind heute europäischer Vorreiter für Digitalisierung. Sind wir nicht. Stattdessen diskutieren wir 40 Jahre später über Faxgeräte in Gesundheitsämtern, freuen uns über kontaktloses Bezahlen, als hätten wir den Mond besiedelt, und nicht wenige glauben immer noch, dass ein Girokonto mit App „Innovation“ sei.
BTX war mehr als ein digitaler Gehversuch. Es war die Blaupause für das, was hätte kommen können. Und im Zahlungsverkehr kam nach der EC-Karte bzw. Girocard nichts mehr. Eigene Lösungen wie beim Mobilen Bezahlen mit dem Smartphone haben wir in Deutschland genauso verpasst wie den E-Commerce.
Aber wie so oft in Deutschland war der Mut zur Vision kleiner als die Angst vor dem Kontrollverlust. Die Nutzerzahlen, einst euphorisch prognostiziert, verpufften. Die Bürokratie gewann. Und BTX endete als Fußnote in der Geschichte des Homebankings.
Vielleicht war es wie mit den Urzeitkrebsen: Anfangs war die Aufregung groß, man starrte fasziniert ins Wasser, wartete auf das Wunder. Doch irgendwann verdunstete das Wasser. Was bleibt, ist eine krustige Erinnerung an das, was möglich gewesen wäre.
Doch es muss nicht immer so enden.
Mit Wero haben wir zum ersten Mal seit Langem wieder die Chance, das nachzuholen, was wir einst verpasst haben. Uns zu erinnern, was damals möglich war und es heute möglich zu machen.
Wenn Banken, Handel und Menschen gemeinsam den Mut fassen, eine echte Alternative zu den Big Techs zu bauen, dann könnte das der erste echte Neuanfang seit der Einführung der girocard sein.
Und vielleicht schreiben wir dann in 40 Jahren eine neue Retro(spektive). Eine, die nicht mit einem „Hätte, wäre, könnte“ endet. Sondern mit einem Happy End. Also: Lasst uns dieses Mal nicht nur ins Wasser starren, sondern die verdammten Urzeitkrebse wirklich großziehen.