Instant messages by Marcus W. Mosen: #6
Marcus W. Mosen kommentiert Payment- oder Bankingthemen auf unterschiedlichen Portalen und erfreut seine Follower auf twitter (@mwmosen) mit pointierten Beiträgen zu Payment, Fintech oder Politik. Ab sofort finden Sie bei uns monatlich seine Gastkolumne „instant messages by…“ zum aktuellen Geschehen im Payment, Banking & Co.
Kraftakte erleben wir derzeit in der europäischen und insbesondere in der deutschen Politik: vorletzte Woche machte die EU-Kommission den Vorschlag eines 750-Milliarden-Euro-Hilfspakets für die wirtschaftliche Erholung nach Corona, letzte Woche verkündete Angela Merkel am späten Mittwochabend ein Konjunkturpaket über 130 Milliarden Euro.
Diese Maßnahmen sollen den Konsumimpuls auslösen. Und sicherlich werden viele in den letzten Tagen darüber sinniert haben, welche – zusätzlichen oder bislang nicht geplanten – Konsumausgaben man jetzt vornehmen könnte… oder auch nicht. Definitive Gewinner dieses abermaligen Schusses aus der Bazooka werden Handel und Gastronomie sein. Es sei ihnen nach der Durststrecke der letzten Monate auch gegönnt. Alles gut!
In der Payment-Bubble wünschten wir uns auch manchmal den Bazooka-Schuss oder einen konzertierten Kraftakt, damit sich das digitale Payment schneller und agiler entwickelt. Aber nur wenige Entscheider hatten bislang den Mut, zur richtigen Zeit kraftvoll nach vorne zu schreiten.
Auch die derzeit andauernde Diskussion über Sinn und Machbarkeit einer Konsolidierung des nationalen Payment-Flickenteppichs und der damit verbundenen Frage nach der Entwicklung eines neuen europäischen Paymentschemes mutet eher wie ein phlegmatisches Herantasten an, statt eines mutigen unternehmerischen und strategischen Handelns.
Dabei eröffnet Covid-19 den Akteuren in diesem Szenario eine neue Perspektive, ausgelöst durch die Bewusstseinsänderung an vielen Stellen in unserer Gesellschaft. So hat uns das „New Normal“ definitiv und durch alle Altersgruppen digitaler werden lassen. Die oft mit der Digitalisierung einhergehenden Ängste rund um Fragen des Datenschutzes haben sich in weiten Teilen verflüchtigt. Ein „Goto-Meeting“ ist eben nicht mehr ein Tagestrip in eine andere Stadt. Und der im Homeoffice gestiegene Verbrauch an Kaffeekapseln lässt sich prima per Online-Einkauf beheben. Vieles, was wir in den letzten Monaten statt analog nun digital erledigt haben, hat Datenspuren im Netz hinterlassen, aber das Leben ging im Shutdown annehmbar weiter. Und viele, insbesondere die bargeldaffine ältere Generation konnte beim Bezahlen feststellen, dass es kein Makel ist, am POS eine Karte zu zücken, um einen Betrag von 5 € zu zahlen, statt seine letzten Cents im Portemonnaie zusammenzusuchen.
Auch im Payment werden wir feststellen, dass gewohnte Herangehensweisen und Entscheidungsstrukturen dem „New Normal“ nicht gerecht werden. Die unter „#DK“ diskutierte Zusammenführung der kreditwirtschaftlichen Paymentprodukte Paydirekt, Giropay, Kwitt und Girocard ist keine Lösung, die einen nachhaltigen Innovationspush geben wird. Weitere Investitionen in Millionenhöhe in diese zum Teil „Old School“- Produkte werden irgendwann als weiteres „sunk money“ verbucht werden müssen. Wer sich nur in der taktischen Gegenwart bewegt, in der es im Wesentlichen um Bewertungsfragen, Governance-Stukturen oder den möglichst langen Erhalt abgeschriebener technischer Infrastrukturen geht, wird nicht wirklich etwas Neues und aus Kundensicht „Mehrwertiges“ im digitalen Payment schaffen können. Darüber täuschen auch die aktuell hoch gepriesenen Wachstumszahlen beim kontaktlosen Bezahlen nicht hinweg. Das neue Payment ist nicht mehr in Plastik gegossen und wird auch nicht durch zahlreiche Klicks ausgelöst. Die Zukunft des Payments ist mobil und eine nahtlose Transaktion. Die technologische Basis dafür ist eine neue Plattform auf der grünen Wiese in einem neuen Geschäftsansatz.
Wenn es die politischen Entscheidungsträger mit einem neuen europäischen Paymentscheme wirklich ernst meinen, dann sollten sie nicht nur mit dem Establishment des Zahlungsverkehrs sprechen, sondern ganz gezielt auf die Internet-Handelsplattformen und Fintech-Unternehmen zugehen, die frei von jeglicher Legacy an den digitalen Lösungen von morgen arbeiten. Denn diese Unternehmen verfolgen mehr europäische oder sogar internationale Wachstumsstrategien und sind damit der natürlichere Partner einer Paymentlösung, die mit einem Hypergrowth-Ansatz sowohl auf der Akzeptanz- als auch auf der Kundenseite durchgesetzt werden müsste.
Denn von den traditionellen Retailern ist in der Diskussion über ein neues Paymentscheme hauptsächlich zu vernehmen, dass es insbesondere dann eine Unterstützung findet, wenn es weniger kostet als das, was man heute an die etablierten Paymentsysteme und Payment-Provider zahlen muss. Dies ist jedoch leider eine verkürzte Sicht auf dieses Thema. Ein neues Scheme wird nur dann eine Chance haben, wenn es für sich selbst und allen, die es unterstützen und akzeptieren, die Chance auf profitables Wachstum und in einem Open Source-Ansatz Innovation über zusätzliche Applikationen ermöglicht. Denn letztlich gilt es den Benchmark von Mastercard, Visa oder Paypal zu schlagen und nicht nur zu kopieren.
Die freundlichen Appelle aus der Politik an den Bankensektor, sich den BigTech und internationalen Schemes doch endlich entgegenzustellen, war vielleicht gut für eine Headline vor Corona. Aber im „New Normal“ stellt sich noch viel mehr die Frage, ob man für den Aufbau eines europäischen Paymentsystems nicht auch einmal die Bazooka herausnehmen sollte. Das Timing für einen solchen Payment-Kraftakt und Invest ist jetzt sicherlich ein gutes. Und vielleicht gibt es ein paar Lerneffekte aus den Corona-Apps, die derzeit in Europa live gehen und durch die Open Source Technology die Chance bieten, rasch nationale Lösungen und Grenzen zu überwinden.
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Zur Person Marcus W. Mosen
Marcus W. Mosen, Babyboomer aus dem Spitzenjahr, kommentiert Payment- oder Bankingthemen u.a. bei Finanz-Szene.de und erfreut seine follower auf twitter (@mwmosen) mit pointierten Beiträgen zu Payment, Fintech oder Politik. Mosen hatte nach BWL-Studium in Koblenz und Birmingham seine ersten berufliche Stationen bei der Treuhandanstalt in Berlin und bei einem Telekommunikationsunternehmen in Düsseldorf. Seit 1999 hat er an verschiedenen Schaltstellen der deutschen und europäischen Paymentbranche die Entwicklungen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs aktiv mitgestaltet.