Eine Forderung aus dem Wahlprogramm der Grünen wäre für einige Insurtechs ein echter Hammer. Stand heute hat sie es zwar nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, die Diskussion wird aber sicher weitergehen.
In den vergangenen Wochen kam es für Neo-Broker ziemlich dick. Denn die EU-Kommission plant offenbar ein Verbot von „Payment for Order Flow“. In eine ähnliche Richtung geht eine Forderung der Grünen, die nach verschiedenen Berichten in den Koalitionsvertrag eingehen sollte. Die Umsetzung würde Versicherer und einige Insurtechs empfindlich treffen.
Focus zitiert aus dem Wahlprogramm so: „Häufig werden Kundinnen und Kunden Finanzprodukte angedreht, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind. Diese Produkte sind häufig gut für die Gewinne der Banken und Versicherungen, aber schlecht für die Kundinnen und Kunden. Wir wollen die Finanzberatung vom Kopf auf die Füße stellen. (…) Wir wollen weg von der Provisionsberatung und schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen.“
Das liest sich vorderhand ziemlich verbraucherfreundlich, wäre aber so etwas wie eine „Stunde Null“ der Versicherungswelt.
Zwischen den Zeilen steht hier nichts anderes als das Verbot von Provisionen in der Versicherungsberatung, denn anders wäre auf die Dauer ein „Übergang zur Honorarberatung“ kaum vorstellbar. Ein solches Verbot würde eine ganze Branche völlig durcheinander wirbeln und sie von ihren wichtigsten Erlösquellen abschneiden. Darunter auch die Newcomer der Branche, die Insurtechs.
Die Branche lebt von (noch) von Provisionen
Wer zu den Branchenexperten gehört, möge die jetzt folgende Vereinfachung verzeihen. Über sogenannte „Netto-Tarife“ wollen wir an dieser Stelle nicht sprechen, zumal die auch eher ein Schattendasein fristen.
Entscheiden sich die Kund:innen heute für eine Leben-, Kranken- oder Sachversicherung, sind im Monatsbeitrag auch anteilig Kosten für die Abschlüsse enthalten. Darunter fällt auch die Zahlung einer Provision für den Vermittler des Vertrags. Dieser Anteil ist immer enthalten, ganz unabhängig davon, wie viel Provision auch tatsächlich an den Vermittler gegangen ist.
Besonders eindrucksvoll sind Provisionen bei der Vermittlung von Krankenversicherungen. Wie viel ein Vermittler verdient, ist hier abhängig von seinem Verhandlungsgeschick und der mit den Kund:innen vereinbarten Prämie. In den Hochzeiten vor der Finanzkrise kehrte die Branche teilweise absurde Beträge aus. Wer mehr wissen will, suche mal nach dem Film „Versicherungsvertreter – Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker“. Hatte der Vermittler eine entsprechende Vereinbarung, die ihm elf Monatsbeiträge (MB) als Provision einräumte, verdiente er die stolze Summe von 3.300 Euro, wenn die Prämie des Versicherten 300 Euro betrug. Inzwischen gibt es gesetzlich eine Obergrenze für die Provisionen, was aber nichts daran ändert, dass gerade im Bereich Kranken und auch Leben noch gutes Geld zu verdienen ist.
Solche Provisionen bleiben in anderen Sparten natürlich ein Traum. Gerade im Bereich der Sachversicherungen müssen Vermittler bei den prozentual viel kleineren Provisionen und geringeren Beiträgen ordentliche Stückzahlen abliefern, um hier kräftig zu verdienen. Aber viele Insurtechs rechnen fest mit den Vermittlungsprovisionen von Gesellschaften, oder bieten umgekehrt Vermittlern Provisionen für den Abschluss an.
Geschäft wird gesteuert, oder Wasser findet seinen Weg
Hier setzt das Konzept der Honorarberatung an: Denn wenn die Zitronia bis zu 9 MB Provision in den Tarif eingepreist hat, könnten die Versicherung deutlich günstiger werden, wenn die Abschlussprovisionen untersagt werden. Und die Kund:innen erhielten tatsächlich eine unabhängige Empfehlung.
Moment, sollte es die nicht bereits durch die Novelle des VVG aus dem Jahr 2008 geben? Schließlich müssen Vermittler ja im Beratungsprotokoll nachzuweisen, warum sie der jeweiligen Person nun gerade die entsprechende Police empfehlen?
Im Prinzip ja, aber es gibt bekanntlich eine Abkürzung: Denn wenn die Kund:innen per Unterschrift (oder Mausklick in Portal oder App) bestätigen, auf die Beratung zu verzichten, geschieht das, was ohnehin geschieht. Nämlich die aktive Steuerung des Geschäfts in Richtung von Produktgebern.
Und natürlich wird auch heute Geschäft aktiv gesteuert – das ist mal mehr, mal weniger schwierig, aber möglich. Genauso, wie sich Wasser seinen Weg sucht, findet auch Provision den Weg zum Vermittler. Wenn die Pfefferminzia der Zitronia Marktanteile wegschnappen will, findet sie, unabhängig von einem Provisionsdeckel, auch einen Weg, etwa über Sondervereinbarungen. Und der Vermittler findet seinen Weg, um die bevorzugte Gesellschaft gut dastehen zu lassen.
Ist Honorarberatung eine Lösung?
Ein Großbritannien und den Niederlanden ist die Honorarberatung schon Standard. Basierend auf den dortigen Erfahrungen führen Kritiker ins Feld, dass damit eine solide Versicherungs- und Finanzberatung nur noch für Wohlhabende existieren könnte. Denn ein unabhängiger Honorarberater kalkuliert mit 150 bis 180 Euro die Stunde. Das muss er auch, denn die Nachfrage ist aktuell ja noch eher überschaubar. Andererseits: Wenn mehr Kund:innen wüssten, wie hoch der Provisionsanteil tatsächlich ist, und ihn einmal auf Stundenbasis umrechnen, kämen noch ganz andere Stundensätze heraus.
Wie sich das Modell in Deutschland entwickelt, falls es schrittweise zum Standard würde, ist ungewiss. Für Insurtechs, die selbst Geschäft an Gesellschaften weiterreichen, wäre ein Ende von Provisionen natürlich das reinste Gift.
Keine Panik: Viel Zeit zu re(a)gieren
Aktuell scheint die Kuh erst einmal vom Eis, doch auch die SPD hat in der Vergangenheit immer mal wieder mit dem Thema geliebäugelt. Ob es nun tatsächlich neue Regeln geben wird, muss sich erst zeigen. Zumal auch die Definition von Provision geschärft werden müsste. Denn es gibt eben nicht die eine Provision (Abschlussprovision, Bestandprovision, Courtagen, Dynamikprovisionen usw.). Über Nacht wird es sicher kein Provisionsverbot geben, denn schließlich sind mehr als 200.000 Personen in Deutschland als Makler registriert. Und auch der GDV spricht sich bereits seit Jahren gegen Provisionsdeckel aus.
Es wird also für die Branche und Insurtechs noch viel Zeit bleiben, um sich vorzubereiten.