Wie finde ich die richtigen Tech-Talente? Zwei Erfahrungsberichte

Welche Erfahrungen machen Menschen, die täglich damit beschäftigt sind, die richtigen Tech-Kollegen für ihr Unternehmen zu finden? Gibt es den Talentemangel in Deutschland wirklich oder wurde er von Beratungsunternehmen erfunden? Suchen Fintechs anders nach Mitarbeitern als etablierte Banken? Und welche Anreize brauchen Digital-Talente, um sich an ein Unternehmen zu binden?

Dafür habe ich mich mit Friderike Schröder, Director People & Organisation bei Ratepay, und Stephan Heller, Gründer und CEO von fincompare, unterhalten.

Habt ihr genug Tech-Leute im Unternehmen?

Friderike Schröder: Von unseren 240 Mitarbeitern sind 80 Mitarbeiter Tech-Kollegen im engeren Sinn. Wir suchen vor allem in den Bereichen Engineering und Risikomanagement, also Kollegen, die sich mit Machine Learning, Risk Management, Risk Analytics, BI-Development und Data Science auskennen. Momentan müssten wir mindestens zwei bis drei neue Mitarbeiter pro Monat aus diesen Bereichen einstellen, um unsere Hiring-Ziele zu erreichen.  

Stephan Heller: Ungefähr ein Drittel unserer 75 festangestellten Mitarbeiter besteht aus Tech-Kollegen, wir haben kürzlich einen ganzen Schwung neuer Leute eingestellt. Derzeit haben wir alle Stellen im Tech-Team besetzt, aber suchen Talente für Business Intelligence, Data Science sowie im Product Management.

Stephan Heller

Wo kommen die Mitarbeiter her?

Friderike Schröder: Unsere festangestellten Tech-Kollegen kommen aus unterschiedlichen Ländern, zum Beispiel aus Polen, Russland oder Griechenland. Hier finden wir hochqualifizierte Mitarbeiter aus den Bereichen Data Science und Machine Learning, die Ausbildung dort ist fortschrittlicher.

Schwieriger ist es für uns, „ganz normale“ Entwickler zu finden. Einen Teil unseres Bedarfs decken wir über externe Berater ab, die bei uns im Haus sitzen. Viele davon würden wir gerne anstellen, aber durch die große Nachfrage am Markt binden sie sich nicht fest an ein Unternehmen.

Stephan Heller: Die Mitarbeiter aus dem Tech-Team kommen aus allen möglichen Ländern, darunter aus der Türkei, der Ukraine, Brasilien, Mexiko und Ägypten. Die einzige Frau im Team, eine Backend-Developerin, stammt aus dem Iran. Hier würden wir uns eine größere Diversität wünschen, aber leider gibt das der Talentemarkt im Moment nicht her. Unserer Meinung nach performen gemischte Teams besser. Wir brauchen in Deutschland mehr Frauen, die coden!

Zwei Kollegen kommen aus Deutschland. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass deutsche Entwickler technisch oft sehr gut sind, aber häufig fehlt ihnen die Erfahrung, kreativ Probleme zu lösen – was in einem Startup häufiger gefragt ist. Die Ausbildung an den deutschen Unis ist leider teilweise sehr verschult.

Wie läuft der Recruiting-Prozess ab?

Friderike Schröder: Abgesehen von den klassischen Recruiting-Instrumenten nutzen wir unsere Mitarbeiter als Botschafter unseres Unternehmens. Sie gehen zu Meet-Ups, nehmen an Branchenveranstaltungen teil – so finden wir immer wieder gute, neue Kollegen.

Ganz viel läuft über Empfehlungen; zum Beispiel hat unsere hohe Frauenquote eine große Anziehungskraft auf andere, hochqualifizierte Frauen. Um mehr qualifizierte Mitarbeiter aus dem Ausland an uns zu binden, haben wir unsere Unternehmenssprache von Deutsch auf zweisprachig umgestellt, sprich Deutsch und Englisch. Vorher war unser Fangnetz zu klein.

Stephan Heller: Wir beschäftigen drei Vollzeit-Recruiter und arbeiten kaum mit Headhuntern zusammen. Bei der Mitarbeitersuche, die wir in Sprints organisieren, konzentrieren wir uns immer auf eine einzelne Stelle und versuchen nicht, alle offenen Stellen gleichzeitig zu besetzen.

Um die besten Mitarbeiter zu finden, sind unsere Recruiting-Kollegen, aber auch unsere anderen Mitarbeiter sehr aktiv, gehen in die Developer-Netzwerke rein und nehmen an Meet-Ups teil.

Worauf legt ihr, außer auf die Qualifikation, bei der Einstellung Wert?

Friderike Schröder: Die Recruiting-Prozesse haben sich in allen Fachbereichen stark verändert – es geht heute nur noch zum Teil darum, was wir als Unternehmen möchten, sondern wir müssen uns beim Bewerber bewerben. Für uns als Arbeitgeber steht nicht so sehr die Qualifikation eines Bewerbers im Vordergrund, sondern vielmehr seine Erfahrung und Persönlichkeit. Rollenbilder wandeln sich durch die digitale Transformation sowieso ununterbrochen – wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass sich der Markt um Statistiker reißt –, deswegen ist die Bereitschaft eines Mitarbeiters, zu lernen und mit uns zu wachsen, für uns am wichtigsten.

„Es geht heute nur noch zum Teil darum, was wir als Unternehmen möchten, sondern wir müssen uns beim Bewerber bewerben.“

Um zu testen, ob ein Bewerber zu uns und seinen Aufgaben passt, geben wir ihm während des Bewerbungsprozesses einen Case, den er innerhalb von zwei bis drei Tagen bearbeiten muss.

Stephan Heller: Wir möchten „SWANs“ einstellen – Smart, Works hard, Ambitious, Nice. Wichtiger als Zertifikate sind für uns Kreativität und Empathie. Im Moment weiß z.B. niemand, wohin sich das Thema Künstliche Intelligenz entwickelt, deswegen reicht es nicht, sich mit Computern auszukennen.

Unser Einstellungsprozess ist mehrstufig und dauert relativ lang. Neben den klassischen Bewerbungsgesprächen machen wir einen Persönlichkeitstest und geben Bewerbern einen technischen Case, den sie bearbeiten müssen, zum Beispiel eine Coding Challenge.

Wir arbeiten eher mit erfahrenen Tech-Mitarbeitern zusammen und stellen niemanden direkt von der Uni ein; da bekommen wir Bewerber, die zu wenig praktische Erfahrung haben. Auch hier liegt das Problem ganz klar bei der universitären Ausbildung. Sowohl erfolgreiche als auch abgelehnte Bewerber bitten wir um Feedback zu unserem Einstellungsprozess, damit wir ihn weiter verbessern können.

Was bietet ihr euren Talenten, damit sie bei euch arbeiten wollen und bei euch bleiben?

Friderike Schröder: In unseren Gesprächen sehen wir, dass Top-Talente vor allem drei Anforderungen haben:

  • Gestaltungsspielraum: Entwicklungsmöglichkeiten und die Möglichkeit, mit uns zu wachsen.
  • Weiterbildung: Konferenzen, Fachliteratur, der Austausch mit anderen Top-Talenten und -Kollegen.
  • Arbeitsumfeld: Ein Team, in dem sie sich entfalten können, ein Chef, der fördert und inspiriert, hohe Flexibilität bei Arbeitszeiten und Arbeitsort.

Den Engineering-Kollegen ist unser technischer Standard sehr wichtig, der muss „State of the Art“ sein. Wir zahlen marktübliche Gehälter, aber die sind nicht ausschlaggebend, wenn sich ein Bewerber für uns entscheidet. Um die Zusammenarbeit zwischen den Teams zu fördern, bieten wir unter anderem Sprachkurse an – Englisch für unsere deutschen Kollegen und Deutsch für unsere ausländischen Mitarbeiter.

IT-Talentemangel Teil 2:  Wie finde ich die richtigen Tech-Talente? – Zwei Erfahrungsberichte

Stephan Heller: Wir pflegen eine High Performance-Kultur, deswegen fühlen sich bei uns vor allem Mitarbeiter wohl, die Leistung bringen wollen. Meiner Meinung nach wünschen sich das die meisten Arbeitnehmer, die Sehnsucht nach einer spannenden Aufgabe und Challenge ist rollenübergreifend.

Gehälter sind bei uns nicht ausschlaggebend, wenn sich ein Talent für uns entscheidet. Wir zahlen aber marktübliche Gehälter und korrigieren die auch konstant mit dem Wachstum unseres Unternehmens nach oben.

Nach meiner Erfahrung ist es für gute Tech-Mitarbeiter am wichtigsten, dass sie bedeutungsvolle Arbeit in einem bedeutungsvollen Umfeld leisten können, dass ihre Persönlichkeit und Leistung gesehen und anerkannt werden. Ich lade jede Woche drei Kollegen und ihre Partner zu mir nach Hause zum Essen ein – das hilft mir, um jeden Mitarbeiter wirklich kennenzulernen.

Was sind Stärken und Schwächen der Standorte Berlin und Deutschland?

Friderike Schröder: In Berlin haben wir viel Konkurrenz im Wettbewerb um die besten Talente, der Markt ist extrem umkämpft. Umso wichtiger ist es für uns, unsere Unternehmenswerte zu schärfen und unsere Arbeitgebermarke nach außen zu transportieren.

Letztlich haben wir aber eine sehr enge Zielgruppe – jemand, der bei uns glücklich wird, passt wahrscheinlich nicht zur Konkurrenz. Auf Deutschland bezogen denke ich, dass Bürokratie und Sprachbarrieren ein Problem im internationalen Wettbewerb um die besten Talente darstellen. Selbst wenn wir im Unternehmen Englisch sprechen – die Mitarbeiter beim Bürgeramt tun das nicht unbedingt.

Stephan Heller: Der große Vorteil an Berlin: Die Stadt ist weltbekannt. Es ist schwieriger, Talente aus Südamerika nach Mönchengladbach oder Emsdetten zu holen. Umgekehrt möchten einige deutsche Bewerber wegen Haus und Familie nicht nach Berlin ziehen.

„Der große Vorteil an Berlin: Die Stadt ist weltbekannt.“

Wenn wir in Deutschland die digitale Transformation schaffen möchten, müssen wir viel verändern. Das geht bei der Schul- und Uni-Bildung los – abgesehen von Unis wie in München, Heidelberg und Karlsruhe gibt es einfach zu wenige gute – und hört bei der Infrastruktur auf.

Bewerber aus der Türkei sind geschockt, wenn sie sehen, wie schlecht das Internet hier ist. Glasfaser, 5G, LTE? Außerdem müsste man in Deutschland viel schneller von A nach B gelangen können, spricht: schnelle Züge, gut an die Innenstädte angebundene Flughäfen.

Teil 1: IT-Talentmangel: Die Achillesferse der Digitalisierung

Teil 3: Der „Digital-Mitarbeiter“ – wer soll das sein? (oder so ähnlich) coming soon…

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