Ist euch schon einmal aufgefallen, wie unterschiedlich sich Fintechs und InsurTechs gegenüber den Kund:innen positionieren? Wieso sind die nur stets so defensiv, wenn es um die Darstellung ihrer Produkte geht?
Vor ein paar Tagen bin ich in meinen Notizen über ein sehr aussagekräftiges Zitat von Christian Mumenthaler, Group Chief Executive Officer der Swiss Re, gestoßen:
„Kein Mensch setzt sich abends hin und hat Spaß daran, sich eine neue Police auszusuchen – darum haben es selbst coole und günstige digitale Versicherer so schwer.“
Da sagt also ein Branchenvertreter nichts anderes, als dass die Produkte nicht besonders ansprechend (in Agentursprache „sexy“) sind und die Menschen darauf keine Lust haben. Mit der Haltung würde es mir ziemlich schwerfallen, diese Zeilen überhaupt zu verfassen, wenn ich dabei den Gedanken hätte, dass das ohnehin niemanden interessiert.
Wenn ich mir auf den Webseiten und in den App-Stores die Angebote von Nuri, N26 und anderen Fintechs ansehe, könnte man fast ein schlechtes Gewissen bekommen, dort kein Konto zu eröffnen. Noch nie war demnach Banking so einfach, noch nie war es so leicht, selbst mit wenig Kapital ein Vermögen aufzubauen.
Blicke ich dagegen auf die Seiten von InsurTechs (von Versicherungsgesellschaften fange ich gar nicht erst an) erklären die in erster Linie, dass sie es endlich geschafft haben, Versicherungen verständlich und unkompliziert zu machen.
Irgendetwas läuft da schief.
Autos und Smartphones sind nicht relevanter als Versicherungen
Zugegeben, steile These: Aber vielleicht tun sich InsurTechs und Versicherer deshalb so schwer, neue Kund:innen zu gewinnen und mehr Geschäfte mit bestehenden Versicherten zu machen, weil die Produkte unterschwellig so schlecht dargestellt werden?
Ein Auto oder ein Smartphone sind jetzt nicht aus sich heraus die „besseren“, „attraktiveren“ oder „relevanteren“ Produkte. Sie werden nur intelligenter verkauft. Der Unterschied zu einer Versicherung passiert in unserem Kopf.
Klar, man kann eine Risikolebensversicherung oder Berufsunfähigkeitsversicherung auch so betrachten, dass da letztlich Geld verschwendet wurde. Denn im besten Fall zahlt der Versicherte über Jahrzehnte Geld und bekommt dafür vorderhand nichts.
Er ist nur nicht vorzeitig verstorben und hat seine Angehörigen unversorgt zurückgelassen. Während Auto und Smartphone binnen eines Jahres extrem an Wert verloren haben, steigt der Wert einer Risikolebensversicherung streng genommen mit zunehmenden Alter, weil das Risiko, vorzeitig zu sterben, steigt.
Versicherungen sind nicht kompliziert, nur doof positioniert
„Versicherung endlich verständlich?“ Das scheint im Umfeld von Neo-Versicherern und InsurTechs wohl der kleinste gemeinsame Nenner bei der Ansprache der Kund:innen zu sein. Das geht im Kern von einer ebenso defensiven wie negativen Grundhaltung gegenüber dem Produkt aus. Versicherungen sind nicht kompliziert!
Zumindest nicht alle: Logisch; ein Deckungskonzept für eine Fahrzeugflotte eines Großunternehmens oder die Gebäude einer Wohnungsbaugesellschaft benötigen ein sehr umfassendes und komplexes Vertragskonstrukt. So etwas kauft aber auch niemand per App oder das Internet.
Aber Policen in der Hausratversicherung, Haftpflicht, Unfall, Cyber, Kfz usw. sind nicht schwer verständlich. Wenn Dieter Bohlen oder Til Schweiger durchs Werbefernsehen stolpern und ihnen dabei arge Missgeschicke passieren, macht das zwar auf die potenziellen Risiken aufmerksam, aber erklärt das tatsächlich, warum ich gerade bei diesem Anbieter eine Versicherung abschließen soll? Und beginnt mit dem Abschluss des Vertrags dann eine richtige Beziehung zwischen Versicherten und Unternehmen?
Wohl kaum: Und ob die Police nun ausgedruckt im Aktenordner verstaubt oder als Datei in meiner App ruht, spielt keine Rolle. So wird sich wohl niemand tatsächlich abermals mit seiner (Neo-) Versicherung beschäftigen.
Was soll eigentlich dieses „Partnerschaft“ sein?
Es ist der gesamten Versicherungsbranche in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Produkte von ihrer komplizierten Anmutung zu befreien. Erst unter dem zuletzt erkennbaren Druck von Branchenfremden geht es jetzt um „Partnerschaft“. Man stehe an der Seite der Kund:innen und will sie in „Lebenswelten“ begleiten.
Vermutlich wäre das der richtige Weg. Aber hinter vorgehaltener Hand geben die Versicherer auch zu, dass die Kund:innen ihnen jetzt nicht gerade die Bude einrennen, um Teil dieser „Partnerschaft“ zu werden. Wie auch?
Versäumnisse aus Jahrzehnten lassen sich nicht über Nacht heilen. Und wenn Versicherer und auch viele Insurtechs maximal auf Facebook und Twitter gelegentlich routinemäßig ein paar Brosamen an Content herauspusten, erscheint es rätselhaft, wie da Kund:innen in Lebenswelten abgeholt werden oder gar eine „Community“ entstehen soll.
Neo ist offensichtlich nicht deswegen besser, weil es neu ist
Ein Blick auf die Kurse von Neo-Versicherern in den USA zeigt einen rapiden Wertverfall im vergangenen Jahr (damit hatten wir uns vor ein paar Tagen beschäftigt.) Eine mögliche Erklärung dafür könnte auch sein, dass den Investor:innen stärker bewusst wird, dass es in der Branche inzwischen weniger auf einen Kampf zwischen „alt“ (in der Eigenbeschreibung also tradiert) und „neu“ ankommt, sondern zwischen guten und schlechten Versicherern. Was auch die Dimension der Ansprache von Kund:innen umfasst.
Denn wenn sich selbst „coole digitale Versicherer“ schwertun, die von ihnen erwartete Traktion aufzunehmen, könnte das daran liegen, dass es ihnen auch nicht gelingt, den Staub vom Produkt Versicherung zu pusten. Und es als genauso nutzwertig wie das neue iPhone zu positionieren.
Es wäre vielleicht einmal an der Zeit, über die Positionierung von Versicherungen und echte Mehrwerte nachzudenken.
Denn es geht in B2C nicht um bessere Technik, smart Prozesse oder die schickere App: Es geht um Menschen und deren Emotionen.