Ich kann Euer „Mimimimi” nicht mehr hören

Nils Heck analysiert die Herausforderungen der deutschen Fintech- und Payment-Branche.

Wann immer deutsche Banken und Fintechs etwas Neues versuchen, ist das Geschrei groß: „Die machen das alles falsch, Idioten”. So kann es nicht weitergehen. Die neue Folge von „Nils nörgelt.”

Die Payment- and Banking-Szene ist zweifellos niemals langweilig. Kein Monat vergeht, ohne dass neue Produkte, Banken, Fintechs und Payment-Lösungen auf den Markt kommen. Aber wer braucht das eigentlich alles und muss man das alles gut finden? Unser Autor Nils Heck beleuchtet in seiner Kolumne „Nils nörgelt“ monatlich ein Produkt, Thema oder eben den „letzten heißen Scheiß“. Etwas zu meckern gibt es schließlich (fast) immer.

Die deutsche Payment-Branche hat ein gewaltiges Problem und das ist – ironisch, dass diese Erkenntnis von mir kommt – die ständige Nörgelei. Egal ob die European Payments Initiative ihr neues Projekt Wero startet, die Europäische Union den Euro vorantreibt oder sich irgendein Fintech an einer neuen digitalen Bezahllösung versucht: die Reaktionen sind allzu oft vernichtend, bevor man dem Projekt überhaupt eine Chance gegeben hat. 

Das mag eine deutsche Eigenheit sein, die sich auch in der Automobilindustrie oder anderen Branchen finden mag. Doch gerade im Payment-Bereich gleichen die Kritikpunkte sich allzu häufig. Entweder dem neuen Projekt wird vorgeworfen, dass es das vielleicht so oder so ähnlich schon aus den USA gibt und man viel zu spät dran sei. Oder man ist – wie zuletzt bei Wero – verwundert, dass ein neues Projekt in den ersten zehn Wochen nicht direkt 30 Millionen Nutzer:innen gewinnt. Oder aber es wird vorgebracht, und das ist mein liebster Kritikpunkt: ‘Wenn Google oder einer der großen Player das angeht, dann kann man das in fünf Jahren sowieso einstampfen.’ 

Solche Nörgeleien haben in den vergangenen fünf Jahren Überhand genommen – und sind schlecht für den deutschen Banking- und Fintech-Standort. Denn wenn jede Idee, jede Innovation und jedes Fünkchen Veränderung direkt mit Hohn, Spott und Kritik überzogen wird, animiert das nicht gerade zu Daniel Düsentriebschen Glanzleistungen, die wir aber dringend brauchen. Denn mit Blick auf den internationalen Zahlungsverkehr ist das Bargeld- und Geldwäsche-Eldorado Deutschland bisher kein Vorzeigeland. Und ja, das darf man kritisieren. Aber wenn man nun eine Veränderung herbeiführen will, dann muss man auch den neuen Ideen und Versuchen eine Chance geben – und das auch mal für ein paar Jahre, nicht nur Monate. 

Paymentbranche und Fintech: Nicht jede Erfindung kaputt reden

Das wird uns allen schwer fallen, keine Frage. Die deutsche Mentalität ist ja seither keine einfache. Weder sind wir besondere Gourmets, noch sind wir gute Gastgeber (Trinkwasser nur gegen Gebühr) und schon gar nicht sind wir fröhliche, ausgelassene Menschen, die sich selbst, die Familie und sowieso das ganze Leben zu lieben wissen. Ich nehme mich da keinesfalls aus. Danach gefragt, sage ich stets: Im Herzen bin ich 60 Jahre alt, habe einen Krückstock in der Hand und schreie innerlich, dass ich den Geschäftsführer sprechen will. Ich meine: Mein Gott, ich habe sogar eine Kolumne, die nur zum „nörgeln” gedacht ist. Ich muss es also sagen: Ja, auch ich liebe das Meckern. Und natürlich sollten schlechte Ideen oder schlechte Umsetzungen kritisiert werden dürfen. Das ist sogar wichtig, um besser zu werden. Aber wir müssen im neuen Jahr wieder auf ein vernünftiges Maß an Kritik zurückkehren. 

Es kann nicht sein, dass wir jede deutsche Erfindung, jede europäische Innovation und jede noch so kleine Idee gleich von Anfang mit unserem Pessimismus überschütten und ihm so feindlich es eben nur geht gegenübertreten, während wir jede vermeintliche Innovation aus den USA abfeiern, als hätte uns gerade jemand das Feuer gezeigt. Ich meine, als Apple seine VR-Brille rausgebracht hat, gab es ernsthafte Überlegungen hierzulande, ob das Arbeiten und Banking noch das Gleiche bleiben könnte, jetzt, wo diese wahnsinnige Erfindung endlich die Menschheit beglücken könnte. Natürlich ist es dazu nie gekommen, wie so oft bei Apple-Erfindungen der vergangenen Jahre. Aber wäre das eine deutsche Idee oder Umsetzung gewesen, dann hätten die Kritiker sie schon als Prototyp so verlacht, dass die arme Brille sich auf keinen Spielplatz mehr getraut hätte. Ob zurecht oder unrecht sei mal dahingestellt. 

Apple Card oder JP Morgan-Offensive: Nicht innovativer als deutsche Player

Was sich im Tech-Bereich beobachten lässt, ist im Payment- und Bankingsektor noch stärker ausgeprägt. Denn der große Angriff von JP Morgan im Retailbanking bleibt bisher aus und dürfte – meiner bescheidenen Einschätzung nach – auch keine großen Verwerfungen mehr herbeiführen. Und dann ist da noch die „Apple Card.” Gefühlt wartet die gesamte Szene seit Jahren auf die alles zerstörende Karte des US-Konzerns und hatte diese schon so hochgejazzt, dass auch ich dachte: ‘Na, wenn Apple kommt, dann Gute Nacht’. Auch hier der Realitätscheck: Apple und Goldman haben sich zuletzt eine millionenschwere Strafe eingefangen, weil sie absolute Basics nicht hinbekommen haben – und Goldmann darf bis auf Weiteres keine neue Karte herausbringen. 

Das ist nicht nur peinlich, sondern zeigt auch: Nur weil Innovationen aus anderen Ländern kommen, sind sie nicht unbedingt besser. Fintechs aus UK oder den USA können ihre Geschichte, ihren Mythos einfach nur besser verkaufen. Das fehlt der deutschen Payment- und Fintechbranche. Daran muss sie arbeiten. 

Die Ideen aus Deutschland zu puschen, ist nur sinnvoll. Zum einen, um unseren eigenen Standort nicht schlechter zu reden als er ist. Zum anderen, weil die geopolitischen Abhängigkeiten von US-Unternehmen in Zeiten eines Präsidenten Donald Trump gefährlich sein können. Heißt: Wir brauchen europäische Lösungen. Wir brauchen europäische Vorreiter. Und das geht nur, wenn die Szene diese auch unterstützt. 

Ich mache da – völlig ungewöhnlich für diese Kolumne – jetzt einmal einen versöhnlichen Auftakt und nenne einige Entwicklungen, die ich zuletzt gut fand. Unsortiert, nicht chronologisch, ohne Begründung: 

  • Den Start und die Werbung von Wero 
  • Der Befreiungsschlag von N26 
  • Die Entwicklung von Scalable Capital zur eigenen Börse
  • Den Abwehrkampf der Commerzbank 
  • Dass die Sparkassen schon einiges mit KI machen

Überraschend? Vielleicht. Doch jetzt würde ich mir wünschen, wenn Ihr, liebe Leser:innen, es mir gleich tut und bei LinkedIn Eure Highlights aus der deutschen Payment- und Banking-Szene empfehlen könntet (#PaymentBankingPro). Lasst uns ein kleines, weihnachtliches Momentum schaffen. Zumindest für ein paar Tage. 

Frohe Weihnachten, 

Euer Nörgel-Nils

Autor

  • Nils Heck (geb. Wischmeyer) ist Gründer des Journalistenbüros dreimaldrei und seit März 2024 Redaktionsleiter bei Payment and Banking. Er ist zudem Autor der monatlichen Kolumne „Nils nörgelt“, in der er sich kritisch mit aktuellen Trends in der Payment- and Bankingbranche beschäftigt.

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