Die Frühstart-Rente sei ein guter Ansatz, findet Max Linden von Lemon Markets. Nur damit sie ihre volle Wirkungskraft erreichen kann, brauche es klare Prinzipien, argumentiert er in seinem Gastbeitrag.
Mit 18 Jahren wollte ich zum ersten Mal investieren: 500 Euro, gespart aus Nebenjobs, bereit für den Kapitalmarkt. Was mich erwartete? Zehn Euro Gebühren – zwei Prozent meines Kapitals – verloren, bevor ich überhaupt starten konnte. Dazu eine unübersichtliche User Experience mit vielen fremden Begriffen und Klicks. Für mich war das nicht nur frustrierend, es war ein Weckruf.
Warum ist Investieren so teuer, kompliziert und technisch rückständig? Diese Fragen ließen mich nicht mehr los. Aus dieser Frustration entstand lemon.markets – mit der Vision, Investieren zugänglicher zu machen. Für mich. Für meine Generation. Für alle.
Seitdem ist einiges passiert: Neobroker und junge Direktbanken haben neue Standards gesetzt und dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen mit Geldanlage beschäftigen. Doch zugleich bleibt eine viel größere Baustelle bestehen: unser Rentensystem. Schon vor fast zehn Jahren mahnte Wolfgang Schäuble, wir müssten uns auf den demografischen Wandel vorbereiten, um die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren. Geschehen ist seither wenig. Und auch wenn wir den Blick hier auf Deutschland richten, das Problem betrifft ganz Europa.
Gesetzliche Rente im Rückwärtsgang – warum wir jetzt handeln müssen
Die Zahlen sprechen für sich: Die gesetzliche Rente beträgt im Schnitt nur 48 Prozent des letzten Nettolohns. Sie soll die Existenz im Alter sichern – nicht mehr. Doch reicht das? Schon heute ist fast jede*r Fünfte in Deutschland armutsgefährdet. Das Umlagesystem und der Generationenvertrag geraten durch den demografischen Wandel an ihre Grenzen: Bereits jetzt stützen jährlich 120 Milliarden Euro Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, das Rentenniveau sinkt seit Jahren und bis 2030 werden rund 6,5 Millionen Erwerbstätige weniger einzahlen als noch 2010.
Dabei handelt es sich um ein akutes und strukturelles Problem. Viele Reformideen greifen jedoch zu kurz: höhere Beiträge, neue Garantien oder das Verschieben in die Zukunft. Das Grundproblem bleibt: zu viel Umverteilung, zu wenig Eigeninitiative. Wer keine Mittel für private Vorsorge hat, fällt durch das Raster. Das System ist unübersichtlich und verstärkt Ungleichheit – mit wachsender Rentenlücke und steigender Altersarmut, besonders bei Geringverdienern und Teilzeitkräften.
Umso wichtiger ist private Vorsorge. Der Kapitalmarkt bietet langfristig die besten Renditechancen, wird aber in Deutschland noch zu wenig genutzt. Zwar steigt das Interesse: Laut Blackrock nahm die Zahl der Anleger seit 2022 um 14 Prozent zu, besonders unter 18- bis 34-Jährigen.
Jetzt ist die Chance da, diese Dynamik weiter zu verstetigen. Die Idee einer „Aktienrente“ ist weitgehend versandet, doch mit der Frühstart-Rente gibt es einen neuen, vielversprechenden Ansatz: Jedes Kind soll ab Geburt ein staatlich gefördertes Wertpapierdepot erhalten, einfach, digital, wachstumsorientiert.
Damit dieser Ansatz die gewünschte Wirkung erzielt und nicht wie die Riester-Rente an Bürokratie und Intransparenz scheitert, braucht es klare Prinzipien:
Automatischer Start mit digitalem Zugang: Jedes Kind sollte ab Geburt ein Depot erhalten, ohne Papierkram & komplett digital. Altersvorsorge muss so einfach sein wie ein Girokonto.
Kapitalmarkt statt Garantien: Beitragsgarantien bremsen Rendite, wie das Beispiel ETF-Riester gezeigt hat. Die Förderung sollte ohne Garantie erfolgen, nur so wird echte Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung möglich.
Nahtloser Übergang ins Altersvorsorgedepot zur Volljährigkeit: Das Kinderdepot sollte automatisch ins Altersvorsorgedepot übergehen – ohne Verluste, Brüche oder neue Bürokratie. Damit wird Klarheit und Planbarkeit fürs Individuum geschaffen.
Flexible Nutzung im Alter: Menschen brauchen Wahlfreiheit – ob durch regelmäßige Auszahlungspläne oder Teilentnahmen ab einem festgelegten Alter. Lebensrealitäten sind vielfältig – das muss die Altersvorsorge auch sein.
Freiwillige Zuzahlungen ermöglichen: Eltern und Großeltern sollten das Konto mit Einzahlungen stärken können, auch ohne staatliche Förderung. So wird Altersvorsorge zur Familienaufgabe mit Signalwirkung, denn so kann der Zinseszins von früh auf besser wirken.
Diese Punkte sind keine Wunschliste. Sie sind zentrale Anforderungen, die wir gemeinsam mit über 30 führenden Fintechs, Banken und Asset Managern in einem Positionspapier an die Politik übergeben haben, weil wir überzeugt sind: Nur so wird die Frühstart-Rente zum Wendepunkt für unser Vorsorgesystem.
Früh übt sich – nicht nur beim Sparen, sondern auch beim Verstehen
Die Frühstart-Rente kann mehr sein als ein Finanzprodukt, sie kann ein Bildungsinstrument werden. Laut Bankenverband lernen 80 Prozent der Jugendlichen in der Schule kaum etwas über persönliche Finanzen, 92 Prozent wünschen sich mehr Wirtschaftswissen, und ein Drittel kann nicht erklären, was eine Aktie ist. Früh investieren heißt auch: früh verstehen. Mit eigenem Depot und „Learning by Doing“ werden Märkte, Risiken und der Zinseszins greifbar. Wer früh beginnt, profitiert überproportional – 1.000 Euro wachsen bei fünf Prozent Rendite in 50 Jahren auf 11.467 Euro, bei einfacher Verzinsung wären es nur 3.500 Euro. Eltern und Großeltern können mit Zuzahlungen nicht nur Kapital weitergeben, sondern auch Verantwortung und Wissen.
Kapitalmärkte sind Teil der Lösung – nicht des Problems
In Deutschland gelten Kapitalmärkte oft als risikobehaftet und etwas elitär. Doch Länder wie Schweden, die Schweiz oder Großbritannien zeigen: kapitalgedeckte Rentensysteme schaffen Stabilität und Gerechtigkeit. Schweden kombiniert eine Prämien- mit einer Garantierente, die Schweiz verpflichtet alle Beschäftigten zur beruflichen Vorsorge (2. Säule: BVG), Großbritannien verdoppelte mit Auto-Enrollment die Vorsorgequote bei Geringverdienern. OECD-Daten zeigen: Diese Modelle führen zu höherer Beteiligung und geringerer Altersarmut als das deutsche System.
Deutschland darf den Anschluss nicht verpassen. Die Frühstart-Rente allein wird Altersarmut nicht beseitigen. Seien wir ehrlich, zehn Euro pro Kind und Monat reichen nicht. Aber sie ist ein entscheidender Anfang, um das System zu entlasten und generationengerecht weiterzuentwickeln.
Ein System, das trägt. Ein System, das befähigt. Ein System, das wächst.
Ganz nach dem chinesischen Sprichwort:
„The best time to plant a tree was 20 years ago. The second-best time is now.“
Lasst uns diesen Baum jetzt pflanzen. Für eine Rente mit Zukunft. Für eine Altersvorsorge mit Zukunft. Und für ein Land, das wieder mutig investiert: in Menschen, Märkte und Unternehmen.